Für das Alte und das Neue Testament, bestätigt das “Lexikon für Theologie und Kirche,” sind Dürrezeiten und Wüsten gängige Erzähl-Motive mit durchaus ambivalentem Status. Als Strafe kommen anhaltende Trockenheit und die daraus erwachsenden “ökologischen Folgen” (wie wir sie heute nennen) über Gottes Volk und dessen Feinde, Leben verzehrend und ohne Auswege offen zu lassen für Katastrophen-abwendende Reaktionen. Doch Einsamkeit, Hunger und Hitze machen Zeiten der Dürre und Wüsten-Gegenden auch zum bevorzugten Ort von Ekstase, Vision und Erscheinung.
Seit dem Ende des vergangenen Sommers, dessen Trockenheit alle seit dem Beginn systematischer Klima-Beobachtung bestehenden Rekorde brach, ist nun mit einem vielfach bedrohlichen Wassernotstand in Kalifornien zu rechnen – vor allem im Central Valley, der angeblich weltweit produktivsten Landwirtschafts-Region. Dass die eben hinter uns liegenden, weiter trockenen Herbst- und Wintermonate diese Krisensituation noch verschärft haben, ist täglich in eher verhaltenen Zeitungsmeldungen zu lesen und inzwischen auch ins Bewusstsein der Bevölkerungs-Mehrheit gedrungen. Mich selbst sehe ich als einen typisch “amerikanischen Fall” in dieser Hinsicht an. Denn so plausibel mir auch die meisten ökologischen Verhaltensverschreibungen erscheinen wollen, lasse ich mich doch nur selten auf sie ein und bin so meiner (vor allem akademischen) Umgebung oft mit klammheimlicher Freude ein Dorn im grünen Auge.
Diesmal jedoch geht es mir anders. Seit einem Monat ungefähr lasse ich tatsächlich die Badewanne kaum mehr voll laufen und warte täglich (bisher vergebens) darauf, dass endlich die Transparenz der kalifornischen Tage von Regenwolken aufgesogen wird. Während dies aber immer unwahrscheinlicher wird, beginne ich, verbrannte Rasenflächen überall zu sehen, selbst da, wo noch nie Rasen gewachsen war, und freue mich über Flecken von blass-grünem Gras wie einer, der im Regen tanzen will.
Am vergangenen Wochenende hat Präsident Obama mit Gouverneur Brown einige Farmer in Landstrichen besucht, deren Wasservorrat jetzt für kaum noch hundert Tage reicht. Doch trotz all dieser vernünftigen Maßnahmen, stößt die Bedrohung der Dürre auf eigentümliche Grenzen in den Reaktionen, die sie auslöst. Wir sprechen ja kaum von ihr, außerhalb der landwirtschaftlichen Gegenden jedenfalls, und die Verschiebung in der individuellen Wahrnehmung, wie ich sie neuerdings an mir beobachte, ist noch nicht umgeschlagen in kollektive Sorge oder Furcht. Ich kann mir gut vorstellen, wie man in Europa solches Zögern als ein weiteres Symptom jener “typisch amerikanischen Oberflächkeit” deuten wird, die sich angeblich in Prozessen von Verdrängung oder Verschiebung vollzieht. Aber gerade für die amerikanische Resonanz auf das Wetter trifft dies ja nicht zu. Noch den europäischen Übersetzungen solcher Berichte merkt man oft einen amerikanischen Hang zur Dramatisierung an, und gerade angesichts von Wetterkatastrophen — das habe ich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren nun schon einige Male erlebt – läuft der Durchschnitts-Amerikaner zu bewundernswerter moralischer Größe in Solidarität und Hilfsbereitschaft auf.
Warum, frage ich mich also weiter, warum wirft die immer näher kommende Dürre – wenn überhaupt – nur so unaufgeregt schwache Schatten voraus? Eine bündige, wenigstens mich selbst ganz überzeugende Erklärung kenne ich nicht – doch der am meisten versprechende Erklärungs-Horizont mag mit einem neuen Verhältnis zum Wetter zu tun haben, das sich während der vergangenen Jahrzehnte nicht nur hier entwickelt hat. In dem Maß, wie die Wetterberichte aus einem permanenten Anlass des Spotts und des Witzelns zu mittelfristig zuverlässigen Rahmen der Verhaltensorientierung geworden sind, traten auch effiziente Technologien der Wetter-Manipulation hervor. Schneemangel bei Olympischen Winter-Spielen etwa lässt sich nun kurzfristig kompensieren; Niederschläge können bedarfsgerecht provoziert werden – und die globale Wirtschaftssituation unserer Gegenwart impliziert das Versprechen, dass auch Menschen an der Peripherie ihrer Gesellschaften nicht unter den Folgen von Wetterlagen leiden sollen (noch die Negation dieser Möglichkeit klingt ja wie in Kollektivschuld-Geständnis). Ganz im Gegensatz zum Alten Testament, dessen Gott sich aus einen Wetter-Gott zum einzigen Herrn über Meere, Wolken, Heuschrecken und Pharaonen entwickelt hatte, fällt es unserer von den elektronischen Fortschritten der vergangenen Jahrzehnte noch einmal neu geformten Vorstellungskraft offenbar schwer, Grenzen der menschlichen Handlungsreichweite anders zu denken als in der Tonalität und Farbigkeit hochdramatischer Fiktionen. Hier liegt die überraschende Grenze unserer Vorstellungskraft.
Dass aus der uns bevorstehenden Dürre die dramatischste Wette-Katastrophe der letzten fünfhundert Jahre werden könnte, hat erst kürzlich ein durchaus vertrauenswürdiger Spezialist festgestellt – doch es gelingt uns einfach nicht, Sensationsmeldungen dieses Kalibers in Vorstellungen von für vielleicht immer verbrannten Rasenflächen, weniger Duschzeit am Morgen und einer reduzierten Auswahl im Supermarkt umzusetzen. Viel leichter und gleichsam natürlicher ruft unsere Imagination hingegen Szenen des apokalytischen Endes oder des jubelnden Erfolgs ab. So habe ich mir zum Beispiel seit langem als Folge des Global Warming, das sich nicht wenige von uns mit heimlich und angenehm gemischten Gefühlen vorzustellen scheinen, eine Situation ausgemalt, in der die Halbinsel zwischen dem Pazifik und der Bay von San Francisco, auf der wir jetzt leben, langsam überschwemmt wird – und ausgerechnet Silicon Valley, das doch den Raum aus unserem Alltagsleben eliminiert hat, zum Umziehen, ja zur Flucht gezwungen wird. Welten wie die Welt des Drehbuchs in meinem Kopf, wo Mark Zuckerberg, Marissa Mayer von Yahoo und die Google-Gründer ihre Büros fast zu spät und also überstürzt auf Aqua-Scooters verlassen, haben wir alle schon einmal entworfen.
Liegt darin, frage ich mich, die eigentliche Grenze unserer sonst immer ins Unendliche strebenden Vorstellungskraft – dass sie jederzeit, mühelos und anscheinend mit einigen Selbstgenuss hochdramatische und farbige, biblische oder Hollywood-hafte Szenen projizieren kann, während Nuancen und graduelle Veränderungen für sie zu einer echten Herausforderung werden? Liegt hier auch, frage ich mich weiter, ein Grund für jenen eigenartig negativen Enthusiasmus, mit dem wir an längst etabierten Szenarien des Global Warming gegen alle Skepsis und gegen allen weniger dramatischen Realismus festhalten wollen? Wäre am Ende diese spezifische Grenze unserer Vorstellungskraft, die nicht zwischen den Extremen denken und entwerfen kann, eine kaum je erwähnte – und noch weniger in Rechnung gezogene – Erfolgsbedingen der grünen Politik gewesen?
Gestern war auf der Titelseite des von unseren Studenten herausgegebenen “Stanford Daily” das Photo eines “ikonischen Brunnens” auf dem Campus zu sehen – der nun auf Beschluss der Universitätsverwaltung bis auf weiteres ganz ohne Wasser bleibt. Rechts oben auf derselben Seite wurde das Wetter für heute als “regnerisch” angekündigt. Jetzt, als ich diesen Satz schreibe, ist es kurz nach sieben Uhr morgens. Ein sehr grauer Tag für kalifornische Verhältnisse, ein Tag, an dem es regnen könnte. Sich davon ein Bild zu machen, bevor der Regen wirklich zu fallen beginnt, ist anstrengend. Leichter wäre es gewesen, an die strahlende Sonne oder einen Wolkenbruch mit Überschwemmung zu denken. Denn das Wirkliche bleibt hinter unseren Vorstellungen fast immer zurück. Die Nuancen des Wirklichen zu treffen, das macht jeden Realismus so schwer.