Digital Twin

Wo ist mein digitaler Zwilling?

Warum eigentlich gelingt es uns so schlecht die Smartphones aus der Hand zu legen, bei allem was wir heute über sie wissen? Es ist nicht nur so, dass Sascha Lobo zu einem dramatischen Stilmittel für ein übertriebenes Argument greift, wenn er die modernen Anhängsel als „famose Premiumwanzen“ beschreibt. Auch Thomas Kremer, im Vorstand der Deutschen Telekom zuständig für Datenschutz, warnte in dieser Woche auf dem Forum für Cyber-Security des BSI davor, „dass wir unsere Smartphones nicht so behandeln, wie wir sie behandeln müssten“. Sie seien schließlich „keine Handys, sondern mobile Computer, eventuell leistungsfähiger als die, die wir zuhause auf dem Schreibtisch haben“.

Selbst wenn die Arbeitsgeschwindigkeit der Prozessoren tatsächlich noch geringer ist, in den Aspekten, die heute Leistungsfähigkeit ausmachen, übertreffen fast alle Smartphones herkömmliche Computer. Beispielsweise weil sie zwei Kameras, zwei Mikrofone, Sensoren für Helligkeit, Nähe und Feuchtigkeit haben, Spracherkennung vollständig integriert wurde und auch Ort und Lage des Geräts ständig erfasst und verarbeitet werden. Notebooks sind im Vergleich dazu längst zur Schreibmaschine degradiert worden, man braucht sie häufig nur noch, weil sie eine große Tastatur haben.

Dass diese Integration von Software und Sensorik in den Alltag so reibungslos gelang, ist ein wirkliches Wunder. Unternehmer, die Ähnliches versuchen, dabei aber klare Ziele im Blick haben, statt sich wie Menschen durch den Alltag treiben zu lassen, können davon erzählen, wenn sie über die „Industrie 4.0“, also die automatisierte Integration von allem mit allem sprechen. Smartphones sind der vorläufige Gipfel der digitalen Erfindungen, sie bilden nicht, wie es Fernseher und Schreibtischcomputer tun, mehr oder weniger nutzergesteuert ein Programm ab, sondern sie überführten die digitale und physische Welt in einen unauflösbaren Überlagerungszustand.

Eine der aussagekräftigsten Studien, die das Phänomen verbildlicht, ist die inzwischen knapp zwei Jahre alte Beobachtung von Forschern der Universität Maryland, dass Jugendliche weniger bereit sind, bei kleinen Unglücken auf der Straße anderen Menschen zu helfen, wenn sie das Gefühl haben ihren Freundeskreis per Smartphone ständig um sich zu haben. Wer sich von virtuellen Freunden umgeben wähnt, muss keine Freundschaften auf der Straße schließen.

Smartphones haben demnach einen unmittelbaren sozialen Einfluss auf ihre Träger. Was wir nun aber von Edward Snowden gelernt haben, ist, dass nicht nur unsere Freunde zu unseren ständigen Begleitern wurden. Die Unterscheidungen von online und offline, anwesend und abwesend sind nicht nur mit Bezug auf Familie und Freunde aufgehoben worden, sondern auch mit Bezug auf die Beamten des spionierenden Staats. Das Smartphone machte sie omnipräsent.

Soziale Kontrolle ist demnach kein ortsgebundenes Konzept, sondern kann ebenso ein virtuelles Phänomen sein. In dem Text-Hinweis von Sascha Lobo, der Alltag im Überwachungsstaat sei vergleichbar mit einem Aufenthalt auf dem Flughafen, geht es also nicht nur um die Kontrolle durch Überwachung, weswegen niemand auf Flughäfen Witze über Bomben und den Jemen macht. Der Flughafen ist darüber hinaus eine interessante Metapher, weil in ihr noch die Unruhe aus der Unterscheidung von Nähe und Ferne steckt. Die These zur digitalen sozialen Kontrolle umgekehrt, heißt: Souveränität ist heute mehr als eine Frage des Raumes. Wenn wir unsere Smartphones mit im Büro und Schlafzimmer haben, sind wir weder allein noch unter uns.

Und auch diese These lässt sich umkehren. Das führt zur Frage: Wenn ständig jemand bei mir ist, bin ich dann auch nicht ständig woanders? Wo ist mein digitaler Zwilling und was macht er da?

(Bilder: Esther Vargas, Jim Epler)

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