Der erfolgreichste deutschsprachige Roman des 21. Jahrhunderts, Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“, handelt von zwei Entdeckern. Einer der beiden, Alexander von Humboldt, macht sich auf, um die Grenzen der Welt buchstäblich zu erkunden, der andere, der Mathematiker Carl Friedrich Gauß, versucht sie kraft seiner Gedanken auszuloten. Zum Schluss hat Gauß sowohl den Umgang mit Prostituierten als auch der Mathematik revolutioniert, Humboldt wenigstens alle Land- und Seekarten dieser Welt. Seither, sagte Kehlmann einmal in einem Interview, sei die Zeit der großen Pioniere an ihr Ende gekommen. Ob dem Roman auch das Bedauern darüber eingeschrieben sei? Kehlmann dementierte es jedenfalls nicht.
Sechs Jahre später, am 12. August 2012, schaute Kurt J. Mac zum letzten Mal nach, wie weit er im Computerspiel „Minecraft“ bisher gelaufen war. Er kletterte auf einen Berg, richtete seinen Avatar nach Osten, wo die Reise begann, und drückte unter den Blicken der Livezuschauer auf „F3“.
„Minecraft“ ist eines der wenigen open world games. Sein Spieluniversum wird prozedural berechnet, ein Algorithmus erzeugt also immer dann eine neue Pixel-Landschaft aus Bergen, Wald und Wasser, wenn der Spieler die Grenzen des Horizonts überschreitet. So entsteht ein prinzipiell unendliches, digitales Universum. Ab einer bestimmten zurückgelegten Distanz kommt es allerdings zu Fehlern: die Spielwelt wird eintöniger, mit großen Blöcken aus nur einem Material, und die Bewegungen des Spielers verlangsamen sich. Chefentwickler Markus Persson nannte diesen Bereich die „Far Lands“.
Sie sind Macs Ziel. Seit drei Jahren reist der Amerikaner bereits durch die virtuelle Landschaft. Und obwohl die Beschreibung der „Far Lands“ nicht wie eine Verheißung klingt, und manche Minecraft-Spieler vermuten, dass Mac noch mindestens zweiundzwanzig Jahre braucht, um sie zu erreichen, falls er vorher nicht wegen eines Programmierfehlers stecken bleibe, hat sein Youtube Kanal „Far Lands or Bust!“ inzwischen über 300000 Follower.
Was haben der Erfolg von Macs Vorhaben und Kehlmanns Roman gemeinsam? Beide scheinen eine Sehnsucht nach Grenzgängern zu befriedigen, die sich über zivilisatorischen Landmarken oder Gedankengebäude hinausbewegen, um sie zu erweitern. Mit einem wichtigen Unterschied: Kehlmann erinnert an die Vergangenheit, Macs Projekt, so bizarr es zunächst wirken mag, weist in die Zukunft.
In einer Welt, in der sich die Karten von Google wie ein Gitternetzwerk über unsere Realitätswahrnehmung legen, in der tausend Augen auf uns gerichtet sind und dem monströsen staatlichen Überwachungsapparaten anscheinend nur noch mit Kunst beizukommen ist, ist kaum Platz mehr für Entdecker. Wo keine Geheimnisse bleiben, kann nichts mehr entdeckt werden. Bis wir auf der Suche nach den letzten Geheimnissen anfangen, uns Scheinwelten zuzuwenden. Pioniere findet man deswegen vor allem im Internet und unter den Computerspielern.
Es sind weniger die von Leistung und Wettbewerb angetriebenen E-Sportler als virtuelle Grenzgänger wie Kurt J. Mac, die versuchen, der Öffentlichkeit die Schnittstellen digitaler Systeme nahezubringen. Robert Overweg läuft durch Computerspiele wie Half Life 2 oder modern warfare 2, um ihre Aussenbezirke zu fotografieren. Wir sehen graue, leerstehende Bürokomplexe und Straßen, die in Nichts führen. Die letzten leerstehenden Orte einer Zivilisation, die alles erobert und damit begonnen hat, sich mittels Überwachungsprogrammen selbst zu erobern.
Je perfekter virtuelle Welten simuliert sind, desto mehr entwickeln sie sich zu einem sozialen Experimentierfeld, in dem sich die Anarchie und das Eldorado der großen Entdeckerreisen simulieren lässt. Wir spielen open world games wie „GTA V“ oder „Minecraft“ weil wir gut unterhalten werden, aber auch weil wir das Chaos und die Improvisation suchen, und genügend Platz, in dem wir uns ausbreiten und unsere eigene Welt erobern können. Es geht darum, Gefahren zu meistern, um den unmittelbaren Erfolg oder die Niederlage, also einen Überlebenskampf, den unsere Gesellschaft stark sublimiert und verkompliziert hat.
Das Indy-Computerspiel „Mirrormoon-EP“ wirft den Spieler in eine prozeduales Online-Universum, das nach demselben Prinzip funktioniert wie „Minecraft“. Sobald eine Galaxie erforscht ist, errechnet der Algorithmus eine neue. Jeder Spieler, der zuerst auf einem Planeten landet, hat das Recht, ihn zu bennenen. Schon das Cockpit des Raumschiffs ist ein einziges Rätsel. Es erinnere an die Frontiergesellschaft, als die Navigation noch ein großes Mysterium war, schrieb Christian Donlan. Die meiste Zeit wissse man weder, was man tue, noch wo man sich befinde. „Aber die wahren Entdecker waren soweiso die meiste Zeit verloren, oder?“
Nur wenn man versteht, dass die virtuelle Welt das Amerika des 21. Jahrhunderts ist, versteht man auch die Enttäuschung, die sich in Sasche Lobos Auspruch vom kaputten Internet ausdrückt, und über den sich soviele beschwert haben. Es ist nicht der Frust über ein defektes Werkzeug, sondern über den Verlust eines Sehnsuchtsorts.
(Bilder via Norman B. Leventhal Map Center)
der Weg in die Zukunft oder Vergangenheit
Schon die Chinesen sagten sinngemäss die Zukunft liegt in unserer Vergangenheit
wenn ich die letzten Tage 100 Jahre und ältere Zeitungen durchblättert habe, ist es wie eine Entdeckungsreise in die menschliche Welt der Ängste und Wünsche, soviel wiederholt sich in seltsamen Nuancen, das vermutlich auch eine völlig neue und unbekannte Welt schnell als vom Menschen gemacht entlarvt wird.
Wie sagte schon Salomon, alles kehrt wieder, es gibt nichts Neues unter der Sonne.
Unsere schrägsten und weitesten Phantasien können wir nur aus der Erfahrung, aus der Vergangenheit kreieren, und da stossen wir bei immer mehr Erinnerung und Datenspeicherkapazität an die Grenzen des erträglich Wiederkehrenden.
Lassen sie mich mal checken.....
Sie meine das alles schon ironisch, oder?
Entdecker heute und gestern
Ein recht salbungsvoller Artikel. Nun denn, Entdecken im Computerspiel oder im Netz. was riskiert man eigentlich? Den Verstand? Die Entdecker früherer Zeiten haben noch ihr Leben riskiert. Und wie kann man verloren sein, wenn man in seinem Sessel abhängt? Entschuldigung, aber mir erschließt sich dieses Gerede nicht. Lieber Herr Freidel, Grenzgänge kann man durchaus noch in der realen Welt haben. Ich habe in der Türkei, Aserbaidschan, Kasachstan und Russland gelebt und wohne derzeit in Indien. Bei Interesse können Sie sich gern bei mir melden,
Bis dahin empfehle ich folgendes: https://ernstwilhelm.wordpress.com/2008/09/28/kommen-sie-nicht-nach-xinaliq/
Sofasurfen
Mit welcher Software dürfen wir denn jetzt buchen? Wer stellt die entsprechende Hardware bereit? Einfach lostrampen ist ja out beim Sofasurfen. Und triffst du Buddha unterwegs, sag ihm, er sei nur ein Virtual CloneDrive.
Titel eingeben
Buddha wäre sicher schon im analogen Zeitalter begeistert gewesen, hätte man ihn als Virtual CloneDrive bezeichnet…