Digital Twin

Wir wollen doch nur spielen

Würde man Leute auf der Straße fragen, welche Videos die höchsten Zuschauerzahlen bei Youtube erzielen, wäre die Antwort der meisten wohl: Musik-, Comedy- oder Katzenvideos. Aber es sind sogenannte „Let’s Plays“, Videomitschnitte von Computerspielen, die die Spieler mit Live-Kommentaren unterlegen und anschließend ins Netz stellen. Im vergangenen Jahr brachen sie alle Rekorde: Unter den zehn erfolgreichsten Youtubern Deutschlands sind inzwischen allein sechs professionelle Lets-Player vertreten, mit zusammen etwa 6,5 Millionen Abonnenten. Der bekannteste unter ihnen, Erik Range alias „Gronkh“ steigerte die Zahl seiner Abonnenten binnen eines Jahres von 1,2 Millionen auf über zweieinhalb Millionen.

Warum nur sind die Videos so beliebt? Warum schauen Millionen Menschen anderen Menschen beim Comuterspielen zu? Die einfachste Erklärung lautet: weil sie alle möglichen Zielgruppen ansprechen: Potentielle Käufer, die sich ein Bild von der Spielmechanik machen wollen, Jugendliche, die das Spiel noch nicht kaufen dürfen, Ältere, die es nicht mehr kaufen aber sehen wollen, und Spieler, die nach Tipps suchen. Ein „Lets Play“ ist zugleich Spielrezension und Gebrauchsanweisung.

© creative commons licence, Blake PattersonAls Computerspielen noch eine ernste Angelegenheit war.

Darüberhinaus behandelt ein Teil des Publikums die Videos wie eine Unterhaltungsserie. Ob das gut oder schlecht funktioniert, hängt sowohl vom Spiel als auch seinem Moderator ab. Im Idealfall gehen beide eine Symbiose ein: Der Moderator verstärkt die Atmosphäre wo es möglich ist, und ironisiert sie, wo es ihm geboten scheint. Je cineastischer die Umsetzung des Computerspiels ist, desto mehr sollte er sich zurückhalten. Sarazar, der wohl ernsthafteste „Let’s Player“ den die Szene bislang hervorgebracht hat, ist ein Experte dieser Form. Sein tief gerauntes „Hallo, liebe Freunde“ zu Beginn jeder Folge dürfte bereits zum Legendenschatz der jüngeren Youtube-Generation gehören.

In einem Interview sagte Sarazar einmal: „Die Leute wollen keinen Moderationsroboter mehr, wie er oft im Fernsehen agiert, sondern sie wollen, glaube ich, eine ehrliche Persönlichkeit. Gerade im Internet kommen die Leute durch, die sie selber sind. Das ist das Rezept an der Sache, wenn man überhaupt ein Rezept haben kann.“ Natürlich ist das ein bisschen kokett, und wenn Sarazar nach einem ausgestandenen Kampf zum wiederholten Mal mitteilt: „Boah, ich bin völlig fertig gerade. Freunde der guten Unterhaltung, war das krass“, ist das vor allem eine mehr oder minder gelungene Inszenierung von Authentizität. Insgesamt aber lässt sich die Unverfälschtheit Sarazars und der „Let’s Player“-Szene durchaus ernst nehmen. Regelmäßig werden die Kommentare der Zuschauer in die kommenden Spielfolgen miteinbezogen, die Nähe zu den Fans ist wie bei allen Formaten im Netz größer als in der angestammten Unterhaltungsindustrie. Er wolle nur kurz Bescheid sagen, schrieb Sarazar gestern bei Facebook, dass er die zweite Staffel von „The Walking Dead“ doch erst am 6. März werde spielen können. „Ist in Ordnung“, antwortete ein Fan.

© creative commons licence; JoeyVorläufer von Let’s Play Videos? Gemeinsames Zocken in der Spielhalle.

Ihre forcierte Unmittelbarkeit macht die Videos zwar häufig banal. Scheiternde Spielmomente werden nicht nachträglich rausgekürzt, und so kann man manchen „Let’s Playern“ zwanzig Minuten dabei zuschauen, wie sie für eine Schraube den richtigen Schraubenzieher suchen. Und wenn zum fünften Mal hintereinander auf die Geschlechtsorgane der virtuellen Mitspieler angespielt wird, drängt sich die Frage auf, mit welchem Freudschen Entwicklungsstadium man es bei diesem Spieler zu tun hat. Immerhin aber mögen authentische Banalitäten leichter zu ertragen sein als die oft inszenierten des Fernsehens.

Jamin Warren, Moderator der „Game Show“ bei PBS erklärte unlängst, die Beliebtheit der „Let’s Play“-Videos liege in der gemeinsamen Spielerfahrung, die sie ermöglichten. Gewissermaßen holten sie die versunkene Atmosphäre der Spielhöllen aus den Achtziger Jahren zurück ins Wohnzimmer. Der Vergleich ist in doppelter Hinsicht gut gewählt, denn natürlich stellt sich die Frage, ob „Let’s Plays“ nicht einfach nur Teenie-Heldentum und Zeitgeistphänomen sind, die genauso schnell aus dem Boden schießen und wieder verschwinden werden wie die Arcade Hallen in den Vereinigten Staaten. Vorläufig aber ist ein Unterhaltungsformat entstanden, dass sich in seinen besten Momenten an der Schnittstelle zum Film bewegt.

Das Spiel „Beyond Two Souls“, entwickelt von Quantic Dream, wird getragen von den Hollywoodschauspielern William Dafoe und Ellen Page, ihre Gestik und Mimik wurde nachträglich gerendert, also mit einer graphischen Oberfläche versehen. Es ist eines von zwei Computerpielen, die bislang auf einem Filmfestival vorgestellt wurden. Zu Beginn sieht man das besorgte Gesicht eines Sheriffs. Die Frau, die ihm gegenübersitzt, hat es vorgezogen zu schweigen. Draußen zieht ein Gewitter vorüber, ein Blitz erleuchtet für einen Sekundenbruchteil das Büro. Er könne ihr nicht helfen, wenn sie ihm nicht helfe, sagt der Sheriff. Schließlich erhält er doch noch eine Antwort: „Sie kommen“. Dann stürmt ein Sondereinsatzkommando die Polizeiwache, wie es sich für einen Actionfilm gehört. Nur ist es kein Film, sondern ein Computerspiel. „Hallo liebe Freunde, und herzlich Willkommen zu Let’s Play: Beyond Two Souls“, sagt Sarazar.

Zur ersten von Folge von „Let’s Play: Beyond Two Souls“.

(Bilder via Blake Patterson und Joey)

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