Digital Twin

Unsere sehr ernsten Spiele

„Bullshit“ nannte der Computerspieledesigner Ian Bogost den Begriff „Gamification“, als er sich vor etwa drei Jahren in Wirtschaftskreisen zu verbreiten begann. Er meine das natürlich nicht wörtlich, schrieb Bogost. Aber die Übertragung von spielerischen Elementen in eine nichtspielerische Arbeitsumgebung, um Mitarbeiter bei Laune zu halten, sei nichts weiter als eine Verschleierungstaktik. Man hole sich einen bonbonbunten Trend in die graue Arbeitswelt, mache alles ein bisschen cool und hip, und wolle am Ende nur zwei Dinge: Gewinne maximieren und den Druck auf die Belegschaft aussehen lassen wie eine Explosion der Lust. Fortan solle man „Gamification“ also besser „Ausbeutungsware“ nennen.

© Robert OverwegEine Treppe in den Himmel? Der Fotograf Robert Overweg fotografiert Grenzbereiche von Computerspielen.

Zwar wurde Bogost nicht müde zu betonen, dass von Computerspielen in ihrer durchrationalisierten Form nur noch ein totes Gerüst übrig bleibe. Vor kurzem aber veröffentlichte der Independent-Spieleentwickler Paolo Pedercini einen Videovortrag, der den Gegenbeweis führt: Computerspiele, so lautet seine These, seien das ästhetische Pendant zu Rationalisierung und tayloristischer Arbeitsoptimierung. Sie enthalten ein Feedback- und Belohnungsystem – Level, Punkte, usw. – und meist einen vorgegebenen Pfad, den zu verlassen unmöglich ist. Über die Landschaften legt sich ein Gitternetzwerk eroberungsfähiger Planquadrate. Spielumgebung und -personen definieren sich nur über ihren Wert für den Spieler und müssen durch ihn instrumentalisiert werden. Damit verbreiten Computerspiele eine Logik, die auch Wirtschaftsabläufen zu eigen ist: Ihr Ziel ist die Etablierung von Optimierungskreisläufen. Sie symbolisieren gewissermaßen die pixelgewordene Vermessung der Welt.

Pedercinis Gedanke ist nicht neu und schon vor zwei Jahren kritisierte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts das Beharren auf „klaren Zielen und eindeutigem Feedback“ als eines „der hartnäckigsten Dogmen des modernen Game-Designs“. Und natürlich lässt sich fragen, wo eigentlich der Unterschied zu herkömmlichen Brettspielen liegt. Ist Schach nicht das prototypische Beispiel eines Eroberungsfeldzugs? Werden wir nicht alle zu Großkapitalisten, wenn wir Monopoly spielen? Sicher, und trotzdem enthalten die meisten Spieleklassiker zumindest ein irrationales Moment. Der Würfel ist dafür nur der sinnfälligste Ausdruck, auch in Kartenspielen entscheidet oft Glück und nicht Können allein. In Blockbustercomputerspielen aber sehen wir uns einer durch Algorhithmen simulierten Welt gegenüber, die wir nur mittels konditionierter Berechnung und Geschicklichkeit überstehen können.

„Das Spiel“, schrieb der Medienwissenschaftler Claus Pias, „ist nun plötzlich, da es nicht mehr um ‚Freiheit’, sondern um Optimierung geht, zugleich Arbeit“. Was bedeutet das für jene wirtschaftlichen Prozesse wie „Gamification“ oder „Industrie 4.0“, wenn also Spielstrukturen auf die Wirtschaft übertragen werden, die schon für sich genommen Arbeit sind? Man darf davon ausgehen, dass eine Gesellschaft Spiele erfindet, die sie spiegeln: Nicht zufällig entstand Monopoly zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Zeitpunkt maximaler industrieller Beschleunigung. Und in Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ sind nur noch Spiele erlaubt, die zugleich den Verbrauch erhöhen und damit die Wirtschaft ankurbeln.

© Robert OverwegWo die Straße endet, beginnt Overwegs Reise.

Der französische Soziologie Roger Callois definierte Spielen einst als „pure Verschwendung: Zeitverschwendung, Energieverschwendung, Geldverschwendung“. Wenn wir spielen, handeln wir zweckentfremdet und ziellos. Das digitale Zeitalter aber hat massenhaft Computerspiele hervorgebracht, die unser Arbeitsleben ins Wohnzimmer ausdehnen. Bei der „Gamification“ geht es deswegen nicht allein um die Frage, wie wir unsere Wirtschaft organisieren. Es geht auch darum, ob Spiele ein Refugium der Irrationalität bleiben sollen oder zu Advokaten der Arbeitswelt werden. Wie wollen wir sie programmieren: als Fluchträume und zweckfreie Experimentierfelder oder als Konditionierungsmaschine?

Mit dem „Indie-Games-Festival“ hat vor zwei Tagen die weltweit bekannteste Messe für Indiependent-Computerspiele begonnen. Man sollte genau beobachten, was dort passiert, denn aus ihrem Dunstkreis entstammen jene Spiele, die den üblichen Optimierungskreislauf durchbrechen, zum Beispiel das open world game „Minecraft“. Der Spieler bewegt sich durch eine Landschaft aus verpixelten Blöcken und kann daraus alles mögliche bauen, ein echtes Spielziel aber gibt es nicht.

© Robert OverwegAuch sogenannte „Glitches“, Programmierfehler, ergeben durch Overwegs Kameraauge noch einen Sinn.

Auch Ian Bogost ist ein Meister der unorthodoxen Computerspiele. Sein wohl bekanntestes heißt „Cow Clicker“ und ist eine Parodie auf Facebook-Computerspiele wie „Farmville“, die dem Spieler ermöglichen, sich mit echtem Geld, sogenannten Micropayments, Vorteile zu erkaufen. Bogosts Spielbeschreibung lautet: „Sie bekommen eine Kuh. Sie können draufklicken. Nach sechs Stunden können sie nochmal draufklicken. Mit Klicks verdienen sie Klicks. Durch Micropayments können sie „Premium“-Kühe erwerben, (die Währung heißt derzeit „mooney“) und sich so auch aus der Wartezeit herauskaufen. Sie können Beitrage über das Klicken ihrer Kuh auf ihrer Pinnwand veröffentlichen und sie können die Kühe ihrer Freunde anklicken. Cow Clicker ist ein Facebookspiel, reduziert auf seine Essenz.“ Das sollte man ruhig mit Humor nehmen, zugleich aber vollkommen ernst.

(Bilder: Robert Overweg: „Shot by Robert“)

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