„Bullshit“ nannte der Computerspieledesigner Ian Bogost den Begriff „Gamification“, als er sich vor etwa drei Jahren in Wirtschaftskreisen zu verbreiten begann. Er meine das natürlich nicht wörtlich, schrieb Bogost. Aber die Übertragung von spielerischen Elementen in eine nichtspielerische Arbeitsumgebung, um Mitarbeiter bei Laune zu halten, sei nichts weiter als eine Verschleierungstaktik. Man hole sich einen bonbonbunten Trend in die graue Arbeitswelt, mache alles ein bisschen cool und hip, und wolle am Ende nur zwei Dinge: Gewinne maximieren und den Druck auf die Belegschaft aussehen lassen wie eine Explosion der Lust. Fortan solle man „Gamification“ also besser „Ausbeutungsware“ nennen.

Zwar wurde Bogost nicht müde zu betonen, dass von Computerspielen in ihrer durchrationalisierten Form nur noch ein totes Gerüst übrig bleibe. Vor kurzem aber veröffentlichte der Independent-Spieleentwickler Paolo Pedercini einen Videovortrag, der den Gegenbeweis führt: Computerspiele, so lautet seine These, seien das ästhetische Pendant zu Rationalisierung und tayloristischer Arbeitsoptimierung. Sie enthalten ein Feedback- und Belohnungsystem – Level, Punkte, usw. – und meist einen vorgegebenen Pfad, den zu verlassen unmöglich ist. Über die Landschaften legt sich ein Gitternetzwerk eroberungsfähiger Planquadrate. Spielumgebung und -personen definieren sich nur über ihren Wert für den Spieler und müssen durch ihn instrumentalisiert werden. Damit verbreiten Computerspiele eine Logik, die auch Wirtschaftsabläufen zu eigen ist: Ihr Ziel ist die Etablierung von Optimierungskreisläufen. Sie symbolisieren gewissermaßen die pixelgewordene Vermessung der Welt.
Pedercinis Gedanke ist nicht neu und schon vor zwei Jahren kritisierte der Kulturwissenschaftler Christian Huberts das Beharren auf „klaren Zielen und eindeutigem Feedback“ als eines „der hartnäckigsten Dogmen des modernen Game-Designs“. Und natürlich lässt sich fragen, wo eigentlich der Unterschied zu herkömmlichen Brettspielen liegt. Ist Schach nicht das prototypische Beispiel eines Eroberungsfeldzugs? Werden wir nicht alle zu Großkapitalisten, wenn wir Monopoly spielen? Sicher, und trotzdem enthalten die meisten Spieleklassiker zumindest ein irrationales Moment. Der Würfel ist dafür nur der sinnfälligste Ausdruck, auch in Kartenspielen entscheidet oft Glück und nicht Können allein. In Blockbustercomputerspielen aber sehen wir uns einer durch Algorhithmen simulierten Welt gegenüber, die wir nur mittels konditionierter Berechnung und Geschicklichkeit überstehen können.
„Das Spiel“, schrieb der Medienwissenschaftler Claus Pias, „ist nun plötzlich, da es nicht mehr um ‚Freiheit’, sondern um Optimierung geht, zugleich Arbeit“. Was bedeutet das für jene wirtschaftlichen Prozesse wie „Gamification“ oder „Industrie 4.0“, wenn also Spielstrukturen auf die Wirtschaft übertragen werden, die schon für sich genommen Arbeit sind? Man darf davon ausgehen, dass eine Gesellschaft Spiele erfindet, die sie spiegeln: Nicht zufällig entstand Monopoly zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dem Zeitpunkt maximaler industrieller Beschleunigung. Und in Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ sind nur noch Spiele erlaubt, die zugleich den Verbrauch erhöhen und damit die Wirtschaft ankurbeln.

Der französische Soziologie Roger Callois definierte Spielen einst als „pure Verschwendung: Zeitverschwendung, Energieverschwendung, Geldverschwendung“. Wenn wir spielen, handeln wir zweckentfremdet und ziellos. Das digitale Zeitalter aber hat massenhaft Computerspiele hervorgebracht, die unser Arbeitsleben ins Wohnzimmer ausdehnen. Bei der „Gamification“ geht es deswegen nicht allein um die Frage, wie wir unsere Wirtschaft organisieren. Es geht auch darum, ob Spiele ein Refugium der Irrationalität bleiben sollen oder zu Advokaten der Arbeitswelt werden. Wie wollen wir sie programmieren: als Fluchträume und zweckfreie Experimentierfelder oder als Konditionierungsmaschine?
Mit dem „Indie-Games-Festival“ hat vor zwei Tagen die weltweit bekannteste Messe für Indiependent-Computerspiele begonnen. Man sollte genau beobachten, was dort passiert, denn aus ihrem Dunstkreis entstammen jene Spiele, die den üblichen Optimierungskreislauf durchbrechen, zum Beispiel das open world game „Minecraft“. Der Spieler bewegt sich durch eine Landschaft aus verpixelten Blöcken und kann daraus alles mögliche bauen, ein echtes Spielziel aber gibt es nicht.

Auch Ian Bogost ist ein Meister der unorthodoxen Computerspiele. Sein wohl bekanntestes heißt „Cow Clicker“ und ist eine Parodie auf Facebook-Computerspiele wie „Farmville“, die dem Spieler ermöglichen, sich mit echtem Geld, sogenannten Micropayments, Vorteile zu erkaufen. Bogosts Spielbeschreibung lautet: „Sie bekommen eine Kuh. Sie können draufklicken. Nach sechs Stunden können sie nochmal draufklicken. Mit Klicks verdienen sie Klicks. Durch Micropayments können sie „Premium“-Kühe erwerben, (die Währung heißt derzeit „mooney“) und sich so auch aus der Wartezeit herauskaufen. Sie können Beitrage über das Klicken ihrer Kuh auf ihrer Pinnwand veröffentlichen und sie können die Kühe ihrer Freunde anklicken. Cow Clicker ist ein Facebookspiel, reduziert auf seine Essenz.“ Das sollte man ruhig mit Humor nehmen, zugleich aber vollkommen ernst.
(Bilder: Robert Overweg: „Shot by Robert“)
Was spricht gegen Dopamin?
Im Prinzip ist das ein schöner Artikel – danke für die Beschäftigung mit dem Thema. Allerdings habe ich eine Frage: was ist schlecht daran, notwendige Aufgaben unterhaltsam und einnehmend zu gestalten? Es gibt Aufgaben, die erledigt werden müssen – vor Taylor, vor Bogost und vor Gamification gab es die schon und es wird sie immer geben. Ist die Aussage richtig, dass Aufgaben, die ernst sind auch keinen Spass machen sollen? Ich glaube nein. Spiele können weiterhin ohne Sinn bleiben und können gleichzeitig repetitiven Tätigkeiten mehr spass verleihen.
Ein Beispiel zu einem sogenannten „Serious Game“ ist „Genes in Space“: Spieler spielen ein Weltraumspiel und entschlüsseln gleichzeitig Krebs DNS. Die freiwilligen Spieler haben hierbei ca. 60 Kilometer DNS in einem Monat analysiert – 6 mal so viel, wie Wissenschaftler ohne das Spiel geschafft hätten.
Bei Gamification geht es viel mehr um Zugehörigkeit als um das messen sturer Daten. Missbrauch kann es hier geben, wie in jeder betriebswirtschaftlichen Überprüfung von Leistung.
Ich bitte Sie, Herr Freidel, sehen Sie sich ein paar Beispiele für gelungene Gamification an ( der Kurs bei Coursera Gamification 14 bietet zahllose solche Beispiele ), ehe Sie eine pauschale Vorverurteilung eines großartigen Werkzeuges vornehmen.
Mit den allerbesten Grüßen
Armin Gross
(Der Artikel bekommt von mir drei Mooneys)
Umgekehrte Sichtweise
Ich schlage ergänzend eine inverse Sichtweise vor: Politiker, Beamte, Manager und andere Leute mit zu viel Leidenschaft für ihre Macht- und Egospielchen sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren, schnelle Einigungen herbeiführen von denen jede Partei etwas hat, und ihre Machtspielchen, Grabenkämpfe und Egomanien in Spielen austoben. Gleiches gilt für Partei- und Vereinshansel und sonstige Ehrenämter, die Zweck und Selbstbefriedigung nicht auf die Reihe bekommen und meinen, anderen ohne Sinn und Verstand ständig auf die Nerven gehen zu müssen. Gehen Sie bitte alle und kaufen Sie ein Online-Spiel, gründen Sie eine Gilde und beschäftigen Sie sich da, wo es hingehört, nämlich mit sich selbst und ihren Spielchen, in einer harmlosen Umgebung zum Ausprobieren. Willkommen in der Virtualisierung unserer Gesellschaft, und zwar im positiven Sinne.
Gamification heißt 'Von der Evolution lernen'
Es gibt einen Grund, weshalb wir alle gerne spielen. Ich meine hier nicht nur Videospiele, im Gegenteil. Ich rede von Brettspielen, Kartenspielen, Sport und ja, sogar unsere Hobbies.
Dies alles sind Dinge, die sich über die Jahrtausende den direkten emotionalen Bedürfnissen der Menschen angepasst haben. Wäre das nicht so, würden Sie sich niemals freiwillig auf eine dieser Aktivitäten einlassen. Aber das tun sie und damit bestätigen Sie gleichzeitig auch deren Daseinsberechtigung.
Und unter diesen Umständen lässt sich auch ein weiterer Fakt bemerken: Da gibt es auf der anderen Seite Aktivitäten, sagen wir einfach mal alltäglich Hausarbeiten und auch viel zu oft ‚leider‘ unseren Job, die uns nicht so faszinieren. Anstatt jetzt immer das eine in die Ecke der ‚Zeitverschwendung‘ zu stecken und das andere als harte Realität (Arbeit macht halt keinen Spaß, das ist das wahre Leben, usw.) zu bezeichnen, sollte man doch überlegen was das Eine dem Anderen überlegen macht, oder?
Lernen von dem Besten, sozusagen 😉
Denn eines wird oft vergessen: Wir spielen nicht, oder wie viele so gerne sagen: „vertrödeln die Zeit“, weil es Spiele gibt, sondern es gibt Spiele bzw. spielähnliche Umgebungen, weil wir diese erstreben. Spiele sind also nicht Ursache sondern Konsequenz und das müsste einem einfach zu denken geben.
Denn nun ergibt sich eine völlig neue Fragestellung: Warum sind wir Menschen so ‚gepolt‘ und empfinden Aktivitäten, die ganz offensichtlich nach bestimmten Anforderungen strukturiert sind, als so erfüllend und erstrebenswert? Und konsequenterweise müsste dann die nächste Frage lauten: „Was können wir von diesen, bereits erfolgreich strukturierten, Aktivitäten lernen, um andere Aktivitäten, die es ja anscheinend nicht sind, weiterzuentwickeln?
Und das ist es was Gamification möchte: Hier geht es niemals darum, ein klassisches Spiel zu bauen. Ja, Gamification hat noch nicht mal den Anspruch, dass gamifizierte Prozesse zu 100% so fesselnd und faszinierend werden wie wahre Spiele. Stellen Sie sich aber nur mal vor, die Disziplin der Gamification lernt über die Zeit besser zu verstehen wie und warum Spiele funktionieren. Gamification entwickelt klassische Methodiken um diese gewonnenen Erkenntnisse dann auf Prozesse in einem spiel-fremden Kontext zu übertragen. Und wenn man dadurch auch nur 2% näher an das Erlebnis Spiel herankommt, kann das dann so ein Problem sein?
Denn eines steht fest: Spiele funktionieren auf Grund der ‚freiwilligen‘ Nutzung ihrer User. Und möchte man etwas ähnliches erreichen, muss auch Gamification dies berücksichtigen. Solch ein Tool somit als Manipulationswerkzeug der involvierten Personen durch Vorgesetzte, Manager oder Unternehmen zu nutzen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Alles andere wird von den beteiligten Personen als Manipulationsversuch erkannt und ‚abgewatscht‘.
Die Wissenschaft hinter Gamification
Hier ein Link zu ein paar Slides, die den Background von Gamification kurz erklären:
https://de.slideshare.net/romrack/die-wissenschaft-hinter-gamification