Digital Twin

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Das Netzweltblog

Die Vermessung der Innenwelt

Sie dürften das letzte sein, das „Big-Data” bislang verborgen bleibt: unsere Emotionen. Wie versuchen Internetkonzerne an unser Innenleben heranzukommen? Wie wollen sie es nutzen? Ein Gespräch mit dem Neurowissenschaftler Bernd Weber.

Herr Weber, was ist Neuromarketing überhaupt?

Ich würde sagen, dass im Bereich Neuromarketing versucht wird, mit physiologischen oder biologischen Methoden etwas über Einstellungen und Präferenzen von Konsumenten zu erfahren. Im Gegensatz zur klassischen Marktforschung, wo die Konsumenten direkt befragt werden, versucht man im Neuromarketing implizite Verfahren einzusetzen. Man will also das Unbewusste erfassen. Und dafür werden eine ganze Reihe von Methoden aus der Psychologie und der Neurowissenschaft eingesetzt.

Zum Beispiel?

Etwas, das relativ häufig und schon seit geraumer Zeit eingesetzt wird, sind Blickbewegungsmessungen. Man misst also zum Beispiel, worauf die Menschen achten, wenn sie sich Werbespots anschauen. Worauf wird der Blick gelenkt, worauf verweilt er? Die Idee ist, über die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu erfahren, was in seinem Gehirn ankommt. Was niemand ansieht, das kann auch niemand erinnern. Eine andere Methode sind zum Beispiel Hautleitfähigkeitsmessungen. Wenn man aufgeregt ist – emotional aufgewühlt – dann bekommt man eine Art mikroskopischen Schweißausbruch, der die Hautleitfähigkeit verbessert – und das lässt sich messen. Schließlich kann man Reaktionen des Gehirns mithilfe der Kernspintomographie auch direkt beobachten.

© Life & BrainInteressiert sich für die emotionale Seite unserer Schaltzentrale: Professor Dr. Bernd Weber.

Geht es nur darum, emotionale Reaktionen zu messen?

Auf der einen Seite gibt es die akademischere Seite, die Konsumenten- und Verhaltensforschung mit neurowissenschaftlichen Methoden betreibt. Ziel ist es, das Verhalten von Konsumenten besser zu verstehen, vor allem auch Verzerrungen im Entscheidungsprozess. Und auf der anderen Seite wird natürlich versucht, Produkte oder Werbung zu optimieren, indem man mehr und vor allem verlässlichere Informatioen über die Wirkung von Kampagnen bekommt. Wir selbst arbeiten an der Schnittstelle dieser beiden Ansätze und versuchen wissenschaftlich belastbare Aussagen auch anwendungsnah zu nutzen.

Welche Rolle hat Neuromarketing im Kontext von „Big Data“? Bislang zielte „Big Data“ ja vor allem auf eine Vorhersage menschlichen Verhaltens mithilfe von Mathematik und Statistik ab. Unsere Emotionen aber können Facebook, Google und Co. bisher nur schwer erfassen. Ist Neuromarketing der Schlüssel?

Im Moment sehe ich da nicht sonderlich viele Schnittstellen. „Big Data“ ist ja etwas, im Moment zumindest, das relativ hypothesenfrei ist. Man versucht mit angesammelten Daten zum Beispiel Webseiten zu optimieren, man schaut: was weiß ich über Personen und ihr Verhalten, und versucht dann, sein Produkt effizienter zu gestalten. Die Hirnforschung will die Prozesse dahinter besser verstehen.

Sind Emotionen nicht der letzte Baustein, der Internetkonzernen noch fehlt, um unsere Entscheidungen in der Tiefe nachvollziehen zu können? Erst kürzlich hat Facebook über sein Programm „DeepFace“ und die Fortschritte der maschinellen Gesichtserkennung berichtet; viele amerikanische Unternehmen wie „Affdex“ oder „Ditto“ bieten inzwischen die biometrische Auswertung von Werbevideos oder von Fotos an, die sich über soziale Netzwerke verbreiten, um Emotionen zu entschlüsseln. Und wenn man weiß, dass die Kameras der neusten Samsung-Smartphones Bewegungen des Auges registrieren, um zum Beispiel das Display abzuschalten, wenn der Nutzer wegschaut: Ist es dann nicht realistich, dass Emotionen zukünftig in Echtzeit ausgemessen werden könnten?

Das kann ich mir schon vorstellen. Das ist vielleicht im Moment noch nicht Realität, aber es ist durchaus realistisch, dass die Algorithmen so weit verbessert werden. Die derzeitige „emotional facional recognition software“ funktioniert ja noch nicht wirklich exzellent. Erst kürzlich gab es dazu einen interessanten Vortrag, in dem gezeigt wurde, dass bei der momentanen Emotionserkennungssoftware selbst eine Puppe emotional auf einen Werbespot reagiert (lacht). Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das valide funktioniert. Wie das Ganze dann eingesetzt wird, ist eine andere Frage und sie ist mit Sicherheit die Diskussion wert. Problematisch sind solche Methoden vor allem immer dann, wenn sie dem Nutzer nicht bewusst sind.

Wäre das nicht genau so ein Fall, wo der Nutzer unbewusst zu Entscheidungen gedrängt wird, die seinen Verstand überlisten?

Ja, klar. Aber irgendwo muss der Nutzer vorher ja zugestimmt haben, dass diese Informationen über ihn gesammelt und ausgewertet werden dürfen. Das ist zumindest schonmal der erste wichtige Schritt. Dann kann man sich immer noch darüber streiten, wie sehr sich der Verbraucher Gedanken darüber macht, welche Informationen er preisgibt – bislang jedenfalls erschreckenderweise meistens nicht sonderlich viel. Aber stellen Sie sich nur mal vor, man würde so etwas bei Arbeitsprozessen einsetzen, Stichwort: Aufmerksamkeitserfassung.

Sie meinen das, was man als „Industrie 4.0“ bezeichnet?

Zum Beispiel. Wenn man Marker darüber hat, wie aufmerksam, wie müde oder abgelenkt jemand ist, könnte man gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen bestimmten Fehlern vorbeugen – zum Beispiel bei Piloten oder Zugführern. Wenn man wüsste, in welchen Zuständen sich diese Menschen befinden, ließe sich technisch eingreifen und dadurch die Sicherheit erhöhen.  Im Werbekontext ist die Frage schwieriger, weil viele es mit Manipulation assoziieren. Darum geht es beim Neuromarketing aber gar nicht, das wird häufig durcheinander geworfen. Es ist ja nicht so, dass man die Leute mit Strahlen beeinflusst oder den berühmten Kaufknopf drückt, sondern es geht darum das Verhalten von Konsumenten besser zu verstehen. Trotzdem muss man wirklich offen darüber diskutieren, was diese neuen Verfahren ermöglichen und was wir gesellschaftlich annehmen wollen.

Droht nicht das Ende der Willensfreiheit, wenn man Personen durch immer weiter voranschreitende Vernetzung gezielt emotional ansprechen könnte?

Man muss dazu sagen, dass alle unsere Entscheidungen emotional beeinflusst werden. Wir entscheiden häufig automatisiert und werden stets durch den Kontext beeinflusst, ohne dass es uns bewusst ist. Ansonsten würden wir mit der ganzen Anzahl an Entscheidungen, die wir ständig treffen müssen auch gar nicht zu Recht kommen. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie würden bei jedem Einkauf im Supermarkt jedes Produkt komplett durchdenken und vergleichen. Hier sind wir darauf angewiesen auch „automatisiert“ zu entscheiden. Aber wenn wir bewusste Kontrolle über unsere Entscheidungen ausüben wollen, sind wir dazu auch in der Lage. Die Erregung, die sich beim Anblick eines Schokoriegels einstellt, kann immer durch den Präfontalkortex, also das rationale Zentrum des Gehirns, herunterreguliert werden. Man kann also widerstehen (lacht). Deswegen ist Neuromarketing nicht nur zum Beispiel für „Big-Data“-Unternehmen interessant, sondern gerade auch für den Verbraucherschutz: Indem man dem Konsumenten mit einfachen, emotionalen Botschaften klar macht, welchen Verzerrungen er unterliegt, um ihm die Möglichkeit zu geben, gegenzusteuern.

Kann man das noch „Aufklärung“ nennen oder ist das nicht auch schon eine Form der Konditionierung?

Informationen alleine reichen nicht aus, nehmen Sie zum Beispiel das Rauchen. Jeder weiß, dass es ungesund ist, und trotzdem rauchen sehr viele. Man muss sich darüber klar werden, dass es biologische und emotionale Faktoren gibt, die uns zur Zigarette greifen lassen – und deswegen umgekehrt überlegen, wie man bestimmtes Verhalten fördern oder vielleicht eingrenzen kann, zum Beispiel durch Warnbilder auf Zigarettenschachteln. Sollen jetzt alle Leute nur noch Salat essen und keiner mehr Google benutzen? Das ist im Endeffekt eine gesellschaftliche Frage.

Könnten die Nutzungsbedingungen zum Beispiel von Apps nicht einfach klarer formuliert sein? Könnte man der Konditionierung nicht politische Grenzen setzen, sowohl auf Seiten der Unternehmer als auch der Verbraucherschützer?

Das halte ich nicht für realistisch. Sie werden gar nicht verhindern können, dass Menschen  unbewusst und kontextbezogen entscheiden. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Standardsetzungen, also, die vorgegebene Option einer Entscheidung. Nehmen Sie die Organspende: In bestimmten Ländern ist man automatisch Organspender, kann sich aber auch relativ einfach dagegen entscheiden. Da haben Sie Organspenderaten von neunzig Prozent. Und in  Deutschland zum Beispiel, wo man per se kein Organspender ist, sich aber sehr einfach dafür entscheiden kann, hat man Organspenderaten von etwa zehn Prozent oder geringer. Beide Fälle schränken die Entscheidungsfreiheit des Bürgers nicht ein, trotzdem bleiben die Menschen meist bei den vorgegebenen Standards. Gleiches gilt auch bei Konsumentscheidungen. Deswegen kann sich die Politik auch nicht zurückziehen und einfach alles dem Bürger überlassen, damit hätten Sie nämlich auch schon einen Standard festgelegt. Welche Energieversorgung ist allgemein üblich, welche Suchmaschine voreingestellt, wenn Sie den Browser öffnen? Man sollte diese Form der Beeinflussung nicht allein den Unternehmen überlassen, sondern ihm von politisch-wissenschaftlicher Seite etwas entgegensetzen.

Zum Lehrstuhl von Bernd Weber.