
Am 9. März 2007 schickte der damalige Apple-Chef Steve Jobs eine sehr kurze E-Mail an den Chef seiner Personalabteilung, sie enthielt nur ein Smiley. Es war das unspektakuläre Ende eines dramatischen Mailverkehrs zwischen Jobs, dem damaligen Google-Chef Eric Schmidt und den jeweiligen Personalbüros. Gesetze wurden gebrochen, jemand verlor seinen Job, ein Exempel wurde statuiert, Entschuldigungen ausgesprochen und versichert, dass so etwas nie wieder passiere – und falls doch, dass es sofort Chefsache sei.
Was war geschehen? Ein Recruiter („Personalbeschaffer“) von Google rief bei einem Apple-Mitarbeiter an, um ihn abzuwerben. Dabei bestand zwischen beiden Unternehmen ein geheimes, als illegal bewertetes und langfristiges Abkommen, derartige Anrufe nicht zu tätigen. „PandoDaily“ hat dieses Kartell aufgedeckt und konnte sogar nachlegen. Die Absprachen hätten nämlich nicht nur Apple und Google betroffen, sondern eine Vielzahl anderer Unternehmen, beispielsweise Dell, IBM, eBay, Microsoft, Comcast und weitere – rechnerisch mehr als eine Million Beschäftigte in der Informationstechnologie.
Es ist ein Treppenwitz, dass es hierbei um die reichsten Unternehmen geht. Sieht man einmal von den Banken ab, sagt die Ratingagentur Moody’s, verfügt Apple über 10 Prozent des Barvermögens, über das die 1000 reichsten amerikanischen Unternehmen verfügen – rund 148 Milliarden Dollar. Auf der anderen Seite saß Eric Schmidt, heute Verwaltungsratschef von Google, vor wenigen Wochen auf der Bühne des SXSW-Festivals in Texas um den „Kapitalismus zu feiern“.
Dieses Zitat von Schmidt hatte es allerdings in sich, denn er bezog es auf das eigentliche Problem. Wenige Tage zuvor kaufte Facebook Whatsapp, Schmidt münzte seiner Feierlaune darauf: „19 Milliarden Dollar für 50 Leute? Gut für sie!“ Das ist die Rechnung. Wenn ein einziger Beschäftigter plötzlich mit 380 Millionen Dollar in Unternehmensbilanzen verrechnet werden muss, dann können auch die reichsten Unternehmen der Welt ihr Schicksal nicht mehr dem Markt überlassen. Sie benötigen Geheimverträge.

Und raffinierte Beschaffungsmaßnahmen für neues Personal. Während gerade alle Unternehmen dazu übergegangen sind (und Lehrer und Eltern zurecht ihre Zöglinge warnen), die sozialen Netzwerke zu konsultieren, ehe sie mit Bewerbern von Angesicht zu Angesicht sprechen, interessiert sich nicht einmal Facebook noch für die Facebook-Profile seiner künftigen Mitarbeiter. Überhaupt sind die Rollen vertauscht. Wenn auch Max von Webel im Gruselpodcast davon berichtet, dass Facebook schwierige Eingangstests mache, um Kandidaten für Bewerbungsgespräche in Kalifornien auszuwählen, so bewirbt sich doch eher Facebook bei seinen künftigen Mitarbeitern als umgekehrt.
Dabei kann vom Kandidaten dann selbst diese Eignungstest-Hürde eher schlecht als recht genommen werden. Was für Facebook vor allem zu zählen scheint, ist die Leistung und Präsenz der Entwicklungen, wie sie sich beispielsweise auf Github niederschlagen. Diese Netzwerke, in denen Nutzer ihre Software der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, Github beispielsweise ist kostenlos, solange man seine Entwicklungen Open Source publiziert, geben den Unternehmen Einblick in das, was sie am ehesten interessiert: Wie gut kann der Einzelne entwickeln und wie bereitwillig arbeitet er Gruppen und der Öffentlichkeit zu?
Mit dem Anspruch der Unternehmen wuchsen dabei auch die Erkenntnisse. Auf der einen Seite sind es nämlich keinesfalls die studierten Informatiker oder Mathematik-Genies, die den wertvollsten Code schreiben. Auf der anderen Seite unterscheiden sich die Leistungen der Softwareentwickler untereinander im Verhältnis eins zu hundert, schreiben Constanze Kurz und Frank Rieger in „Arbeitsfrei“. Es ist daher kein Wunder, dass die Unternehmen, ähnlich wie die dafür bekannten renommierten Fußballclubs, heute selbst auf Talentfang gehen, dass sie von sich aus suchen, dabei global agieren und ganz bewusst Anreizsysteme schaffen.
Eines dieser Projekte ist die „Hour of Code“, Code.org. Es ist das inzwischen typische Erscheinungsbild: Man kommt auf die Webseite und wird von Ashton Kutcher (der derzeit sowohl durch seine Filmrolle als Steve Jobs, als auch durch seine Serienrolle als Internetmilliardär Walden Schmidt an der Legende des superwertvollen Entwicklers und Internetunternehmers strickt) und Mark Zuckerberg begrüßt. Der zweiminütige Stimmungsfilm wartet dann mit weiterer Prominenz auf, vermischt mit jungen Menschen und Grundschülern, die bedeuten, dass sich mit Software die Welt, „deine Welt“, verändern und verbessern lässt.
Worum es geht, ist sofort klar. Jeder dieser jungen Menschen soll für eine Stunde unter Aufsicht programmieren, beziehungsweise Aufgaben lösen, die den Denkformen des Softwareentwickelns recht nahe kommen. Die IT-Unternehmen zahlen für diesen fröhlichen Projekttag in den Schulen. Es ist der erste Schritt des Facebook-Castings, das Max von Webel beschrieb.
Ein anderes, aber ganz ähnliches Projekt „Code for America“ kommt dieser Tage auch nach Deutschland. Codefor.de: „Nutz deine Fähigkeiten, um deine Stadt zu verbessern!“, „Vernetze dich mit Gleichgesinnten und entwickle Software.“ Auch dieses Projekt gäbe es nicht, wenn nicht Google mit dabei wäre. In der Personalabteilung des Unternehmens wird es offenbar als Berufsmesse verstanden, allerdings wieder umgekehrt, nicht die Unternehmen versammeln sich, sondern sie schaffen Gründe dafür, dass sich die Jugendlichen, die als künftige Beschäftigte in Betracht gezogen werden müssen, versammeln.
Unter dem Deckmantel der Offenheit, Zugänglichkeit, Leichtigkeit und Lebensfreude wird die Welt verändert, das Leben verbessert – und Personal rekrutiert. Das Projekt „Code for DE“ zielt dabei gänzlich auf die Stadt, also den konkreten Mikrokosmos, in dem jeder lebt und bei dem man nachvollziehbar davon ausgehen kann, dass er sich mitgestalten lässt. Allerdings führt gerade dieser Bezug wieder auf die Kapitalismus-Freude von Eric Schmidt. Im selben Gespräch, in dem er über die teuren neuen Facebook-Mitarbeiter sprach, äußerte er sich auch über die Veränderung der Stadt San Francisco. Er sei deswegen „ sehr, sehr besorgt“. Noch hat der Code for America aber keine Abhilfe gegen die Gentrifizierung gebracht. Dieses Problem sei allerdings auch eines der vergangenen vierzig Jahre, sagte Schmidt. Und der Zuhörer denkt sich: Und das soll jetzt mit Technologie gelöst werden?
Kodierknecht
Na ja, Kodierknechte wären mit 380 Mio. Dollar pro Kopf wohl überbezahlt. Kreativität und andere Eigenschaften sind dagegen schwer zu bewerten. Außerdem verdienen zum Beispiel begnadete Fußballspieler so viel, weil sich so viele andere Menschen für Fußball interessieren. Das hat aber zum großen Teil mit längst deaktivierten Spielern zu tun, die zudem viel weniger verdient haben. Ein Edward Snowden hingegen ist für die Allgemeinheit auf unserem Planeten sicher viel mehr wert als 380 Mio. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass seine Motivation nicht aus Dollarzeichen in seinen Augen stammte.