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Worüber reden Samantha West und Eugene Goostman?

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Das erste Mal ist ein Turing Test im Labor gelungen. Aber was sagt das über den Test und die Situation, in der er stattfand?

© Anchor Bay EntertainmentWenn die Maschinen wie Menschen aussehen, werden wir sie akzeptieren (oder gerade nicht). Szene aus „The Machine“ mit Caity Lotz.

Interessant ist es schon, aber auch ein Durchbruch, oder Meilenstein, wie die Veranstalter sagen? Zumindest einen Schritt ist man nun weiter, Menschen aufzuzeigen, dass niemand abschließend weiß, was Intelligenz oder Kreativität eigentlich ist, und wir im Alltag, beim Kommunizieren unter Unbekannten einen sehr unterkomplexen Umgang miteinander pflegen, damit die Kommunikation überhaupt klappt. Wir wissen, was Alan Turing uns damals sagen wollte: Wenn Menschen und Computer durch Menschen nicht voneinander zu unterscheiden sind, sind die Computer künstlich intelligent; programmierbare Maschinen, die denken können.

Aber was bedeutet Eugene Goostmans Coup? Es stellt sich nicht nur die Frage nach den Maschinen. Welche Rolle spielen in der Kommunikation eigentlich Anwesenheit und Bekanntheit des Gegenübers? Die Telefonvideos auf Youtube, in denen ständig jemand von Samantha West angerufen wird und das Gespräch aufzeichnet, sind alle kleine, misslunge Turing Tests (die erahnen lassen, wie viele gelungene Tests ihnen gegenüberstehen). Nun lassen sich Menschen also auch vorher dafür sensibilisieren, es eventuell mit einem Computer zu tun zu haben, und sie fallen dennoch auf ihn herein – das zeigte Eugene.

Aber sollte der Turing Test nicht eigentlich so konzipiert sein, dass jemand eine ihm bekannte Person nicht mehr von einem Computer unterscheiden kann? Blogkommentare, Tweets und Weiteres sind seit Jahren so raffiniert, dass einsame Blogger, die sich über jeden Kommentar freuen, auf automatisch erstellte Texte antworten, als hätten sie es mit jemand wirklich Interessiertem zu tun. Eugene kann diese Kommunikation nun mit weiteren Kommentaren fortsetzen, mit Erfolgsaussicht anschließen. Das ist in der Tat ein Durchbruch. Doch der Turings Test hat trotzdem eine Schwäche: Er sagt nicht, was die Erkenntnis – Maschinen seien künstlich intelligent und könnten denken -, bedeuten soll.

Kann sein, dass der erfolgreiche Small-Talk, oder gar der Flirt die komplizierteste Sache der Welt ist, in die sich Menschen spontan sozial verwickeln können. Solange dabei der Körper des anderen fehlt, also nur telefoniert oder gechattet wird, bleibt der Mehrwert des Zeitvertreibs aber fraglich. Demgegenüber bereichern moderne Expertensysteme wie IBM-Watson das soziale Miteinander um Menschen Unmögliches, allerdings nur, weil diese Computer mit Absicht nicht als Menschen angesprochen, sondern als Computer in die Pflicht genommen werden: Es geht um die Sache, nicht um die Floskel. Weil die Antworten der Computer für Menschen allerdings unberechenbar und irritierend sind (das ist die eigentliche Errungenschaft), ist es Kommunikation. Wir nehmen nicht nur wahr, was die Computer sagen, wir fühlen, dass sie mit uns reden, weil sie uns direkt ansprechen und auf uns reagieren.

Wollte man den Turing Test modernisieren, also mit einer Frage verbinden, die aktuell und wichtig ist (Turing konnte nur raten, worum es in seiner Zukunft gehen sollte), würde der Test hinterfragen, wann Menschen bereit sind, Maschinen wie Menschen in ihrem sozialen Gefüge zu akzeptieren – statt sie mit ihnen zu verwechseln. Es ginge dabei um mehr als nur Vermittlung, wie Smartphones es heute tun, sondern tatsächlich um eigenartige, soziale Akteure. Die Frage der Akzeptanz stellen sich Computerwissenschaftler schon seit langem und fast jede einzelne Antwort birgt eine Überraschung. Nur ein Punkt: Man kommt, wenn man Kommunikation von den Maschinen aus betrachtet, nicht mehr um die aufschlussreichste (aber verschmähte) soziologische Theorie zur Kommunikation, die Systemtheorie, herum.

Verstehen ist die mehr oder weniger bewusste Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung. Der informative Teil lässt sich bereits computerisieren, Algorithmen finden die je nach Adressat und Kontext besten Inhalte und Antworten. Für den Aspekt der Mitteilung gilt das allerdings nicht. Computer können mit Emotionen nicht umgehen, sie lassen sich nicht mathematisch aufschlüsseln und verarbeiten und erst recht nicht algorithmisch produzieren. Es handelt sich sozusagen um die nächste Kategorie harter Probleme, deren Lösungsstrategien allerdings zum Schmunzeln einladen.

Die Kernaussage dieses Videos gilt heute noch für alle, der bislang erst sehr wenigen Lebensbereiche, in denen es um von einem Publikum akzeptierte computerisierte Mitteilungen geht. Wir akzeptieren die Affen als Affen auf der Leinwand, wir fühlen mit ihnen, obwohl wir wissen, dass es keine echten sind. Aber hinter der Darbietung, und sei sie noch so artifiziell und technologisch, muss ein Mensch stecken, an den der Computer sich halten kann. Über die Imitation des Menschen kommen die Maschinen noch nicht hinaus, wenn sie mehr erreichen sollen, als Information schlicht aufzulisten. (Mehr handfeste Forschungslagen dazu bald in der F.A.Z.)

Der bestandene Turing Test von Eugene Goostman war ein gelungenes Experiment, das pünktlich zum 60. Todestag von Alan Turing durchgeführt werden konnte. Aber im Grunde wissen wir nun kaum mehr, als dass Menschen, die im Internet mit ihnen unbekannten Dreizehnjährigen chatten, glauben, mit ihnen unbekannten Dreizehnjährigen chatten, weil sie überzeugt sind, dass Dreizehnjährige so reden.

***

Mein Lieblings-Turing-Test stammt übrigens aus dem Film „The Machine“. Der geniale und mit einem heimlichen Militärbudget durchfinanzierte Computerbauer und -forscher Vincent sitzt vor zwei Computern, einem roten und einem grünen, von denen er weiß, dass der eine von einer anwesenden Entwicklerin gebaut wurde und der andere doch keiner ist. Zuerst geht es um Liebe und Heimat, die Computerstimmen antworten artig, dann stellt er eine verwirrende Frage:

Vincent: „Green, Mary saw a puppy in a window. She wanted it. What did Mary want?”
Green: “The Window”
Vincent: “Why?”
Green: “Windows look out onto the world. They are pretty and help you feel less alone.”
Vincent zur Entwicklerin: “This is beautiful programming.”
Sie: “Thank You. Uh, it’s not programming. It taught itself.”

Und interessant ist auch, was Elon Musk (der mit Mark Zuckerberg an Vicarious beteiligt ist) sagt, über das Internet und die Frage nach der künstlichen Intelligenz. Er interessiere sich eher für die kollektive Intelligenz von Menschen und Maschinen und er verortet die Intelligenz nicht in beteiligten Systemen, sondern im Netzwerk selbst.


1 Lesermeinung

  1. Werlauer sagt:

    Paradoxieen des Menschen
    Der Mensch ist nicht in der Lage, die Gemeinschaften, in denen er lebt so zu gestalten, dass eine vernünftige Gesamthandlung entsteht. Es wird gerungen und geblutet. Mittlerweile ist es in der ersten Welt noch nicht einmal mehr selbstverständlich, seine eigenen Nachkommen zu erziehen.

    Aber wir kreieren Intelligenzen, die nicht biologischen Ursprungs sind, sondern technischen. Warum? Sollten wir nicht zuerst lernen mit uns selbst klar zu kommen? Wie lässt sich die Hoffnung begründen, dass Kollektive, die heute nicht oder nur schwer miteinander auskommen, in Zukunft besser mit einander auskommen, wenn artifizielle Akteure zusätzlich in oder neben die Kollektive gestellt werden?

    Ich empfinde selbst die Fazination, die von solchen technischen Entwicklungen ausgeht, aber neben (unschwer erkennbaren) ökonomischen und militärischen Interessen scheinen sie mir mehr und mehr als bloße Ausweichhandlungen, die das einge (kollektive) Unvermögen kompensieren helfen sollen.

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