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Unwahrscheinlich aber nicht unmöglich

© AFPWie die Zeitungen auf Fußball reagieren interessiert uns.

Nun, Deutschland hat gewonnen, mit sechs Toren Unterschied. Das ist zumindest, was normale Menschen interessiert. Die zahlenversessenen Wissenschaftler und Softwaretüftler, der Legende nach nüchternen Gemüts, sind vom Ergebnis nun nicht nur überrascht, sondern geradewegs schockiert.

Sieben Tore, sechs Tore Unterschied, das bedeutet ganz konkret: Deutschland hat 2-Prozent-Wahrscheinlichkeiten wahr werden lassen. Was immer noch nach viel klingt, anders ausgedrückt aber bedeutet, dass die Chancen 1 zu 4500 standen. Der „Soccer Power Index“ scheint ein recht dürftiges Modell zu sein. Die menschlichen Beobachter kommen nun zumindest zu einem vernünftigen Schluss, wenn sie von ihren Daten völlig absehen: „Von den 833 Spielen seit dem ersten WM-Spiel 1930, hatte dieses das unwahrscheinlichste Ergebnis“. Rückschlüsse auf unmögliche Ergebnisse verbieten sich von selbst.

Fußball lässt sich also nur schwer vorhersagen. Gerade für Weltmeisterschaften ist die Datenlage rar. Brasilien und Deutschland sind sich überhaupt erst das zweite Mal begegnet. Google hatte das die Tage auch schon erkannt: Eigentlich hat der Datenkonzern die deutsche Elf schon gegen Frankreich mit einer 69-Prozent-Wahrscheinlichkeit nach Hause geschickt. Als es anders kam, verwies Google wortreich auf den Mangel an Daten.

Was allerdings nur wieder zu den Fragen von Grundschülern zurückführt, für die bereits das letzte Bra-Ger-Spiel 2002 vor ihrer Geburt lag: Warum sollte man heute wissen, wie Menschen gegeneinander Fußball spielen, nur weil es im Menschengedächtnis eine Unterscheidung nach Nationalität gibt, die obendrein durch Generationenwechsel negiert wird?

Niemand kann die Frage beantworten. Dafür können alle Tipps abgeben. Menschen sagen Tore an, Maschinen Prozente. Den Weg, die eigenen Vorhersagen anhand von Kontrollgruppenvergleichen zu lösen, hat sich aber niemand zugetraut, auch Google nicht. Die Maschine macht dasselbe wie der Mensch, sie erinnert sich und sie hat keine Ahnung davon, was sie nicht weiß. Nun geht das 7:1 in die künftigen Rechnungen mit ein.

Witziger als Vorhersagen, die es gibt, wäre nun noch gewesen, Narrative-Science-artige Spielberichte der gestrigen Partie zu lesen. Es gibt sie leider noch nicht. Freuen wir uns aber auf die Zukunft, wenn die Spiele von Computern nacherzählt werden, die uns jede Sachfrage beantworten, den Stil der Berichterstattung aber uns überlassen. Wie Lorenz Matzat es ganz am Schluss seines Roboter-Journalismus-Vortrags auf der Republika sagte: „Ich kann mir gut vorstellen, dass du dir hinter der Paywall Stile kaufen kannst. In einem Stil-App-Store. ‘Schreib wie Egon Erwin Kisch, so in etwa.‘“ Klingt nach genau dem, was wir wollen.

(In Brasilien gab es heute Zeitungen, die tatsächlich ohne Titelblatt kamen, weiß blieben, zum selber Worte finden, oder traurig schwarz.)

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