
Zwei Nachrichten jagten sich gestern gegenseitig durch die sozialen Netzwerke: Microsoft akquiriert die Computerspielfirma Mojang, bekannt geworden durch Minecraft, für 2,5 Milliarden Dollar. Und Markus Persson, Erfinder von Minecraft und tragende Symbolfigur der Szene, erklärte, er werde Mojang verlassen. Das hat auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Persson schrieb in seinem Blog, er sei nun mal kein echter Spieleentwickler: „Ich erfinde Spiele, weil es Spaß macht, weil ich Spiele liebe und das Programmieren, aber nicht, weil ich möchte, dass es große Hits werden, und auch nicht, weil ich die Welt ändern will. Ich bin kein CEO, ich bin ein nerdiger Computerspieleprogrammierer, der gerne Meinungen auf Twitter teilt.“
Aber es gehört eben doch zusammen. Warum gibt Microsoft 2,5 Milliarden Dollar für Mojang aus? Aus demselben Grund, aus dem Facebook im März dieses Jahres für 2 Milliarden Dollar die Firma Oculus VR kaufte, einen Entwickler für Videobrillen: Weil Computerspiele ein riesiges Geschäft versprechen. Die meisten Menschen, die ein Smartphone besitzen, haben wenigstens ein Spiel. Und weil fast jeder eines besitzt, spielt auch fast jeder. Spiele sind die neuen Kreuzworträtsel: eine Beschäftigung für zwischendurch; das, was man in der Bahn macht, wenn man nicht gerade chattet oder Nachrichten liest. Aber Computerspiele sind auch cineastische Blockbuster mit Millionenbudget. Für ihre Entwicklung wird so viel Geld ausgegeben wie für die größten Hollywoodprojekte. Destiny, ein vor wenigen Tagen veröffentlichter Ego-Shooter, kostete seinen Entwickler bis zu 500 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Die Entwicklungskosten des letzten Batman-Films von Christopher Nolan betrugen etwa 300 Millionen.
Bisher ließen sich diese Bereiche und ihre Fans gut trennen: Hier die Ego-Shooter-Afficionados, in der Regel männlich, weiß und im jugendlichen Alter, dort die deutlich heterogenere Gruppe der Gelegenheitszocker, zu denen auch viele ältere Menschen zählen. Minecraft hingegen passt in keine dieser Kategorien. Es wird von allen gespielt, Studenten, Senioren und Kindern. Seine Philosophie unterscheidet sich grundlegend von allem, was Computerspiele ihren Spielern normalerweise abverlangen. In den üblichen Computerspielen gibt es ein Ziel, in Minecraft nicht. Die Spieler laufen durch eine endlose Welt aus Pixelblöcken, die sie nach ihren Regeln gestalten können. Sie können Häuser, Städte, und ganze Welten erbauen, oder vagabundierend umherstreifen. Normalerweise sind erfolgreiche Computerspieler vor allem effektiv: Sie beherrschen das Ressourcenmanagement ihrer Einheiten oder die Bewegung ihres Avatars; sie klicken, bewegen den Cursor oder drücken die Tastenkombinationen schneller als andere. Erfolgreiche Minecraft Spieler sind dagegen eher kreativ: Sie machen, was sie wollen und nicht, was von ihnen verlangt wird. Minecraft wird nicht konsumiert, sondern von jedem Spieler neu erfunden.
Fast 55 Millionen Exemplare konnte Mojang seit der Einführung 2011 von dem Spiel verkaufen. Sein Erfolg steht stellvertretend für die gesamte Independent-Spielebranche, die seit Jahren versucht, die rationale Logik kommerzieller Computerspiele aufzubrechen. Wenn also Microsoft nun Mojang erwirbt, dann ist das erst mal eine Bestätigung; ein Ritterschlag für die Independent-Branche. Nach dieser Leseart steht es für eine partielle Wachablösung. Innovative Spiele werden nicht mehr von den Branchenriesen aus der Retorte gestampft, sie entstehen an ihren Rändern, können sich über das Internet verbreiten und kommerziell erfolgreich sein. Gleichzeitig aber steht die Frage im Raum, was das Geld von Konzernen wie Microsoft mit der kreativen Anarchie anrichtet, die grundlegend für die Entwicklung von Spielen wie Minecraft ist.
Und hier kommt der Rücktritt von Persson ins Spiel. Aus jeder Zeile, die Persson gestern veröffentlichte, spricht der Druck, der entsteht, wenn aus einer Idee ein Geschäft wird. Minecraft ist auch ein Symbol für seinen Erfinder: auch Persson arbeitet ziellos, kreativ, nicht effektiv. Genau das wird Microsoft nun ändern, auch wenn sicher niemand vorhat, das Spiel über Nacht in einen Ego-Shooter zu verwandeln.
Nach dem unerwarteten Erfolg von Minecraft habe er Mojang verlassen wollen, schrieb Persson gestern. „Aber die Leute haben mir gesagt, ich sei wichtig für die Unternehmenskultur, also bin ich geblieben“. Schon vor wenigen Monaten war allerdings ersichtlich, dass er seine Popularität nur noch schwer aushielt. Nachdem Mojang den Minecraft-Spielern untersagte, mittels eigener Server Geld zu verdienen, überzogen sie Persson mit einem Shitstorm. Persson twitterte:
Anyone want to buy my share of Mojang so I can move on with my life? Getting hate for trying to do the right thing is not my gig.
— Markus Persson (@notch) June 17, 2014
Es geht dabei nicht nur um Geld allein, sondern darum, dass Persson längst zu einem Symbol geworden ist. Wahlweise steht er für den Erfolg der Independent-Computerspielszene, für postkapitalistische Geschäftsmodelle, für das, was das Internet früher einmal war oder das, was es nicht mehr sein sollte. Erwartungen, denen er nicht mehr entsprechen wollte. „Ich bin nur eine Person“, schrieb Persson, „der sich mitten unter euch abmüht.“ Dafür also stehen der Fall Markus Persson und Minecraft als pars pro toto: Erfolg im Netz ist eine ziemlich ernste Angelegenheit geworden. Spiele sind eine ziemlich ernste Angelegenheit geworden.