Edward Snowden hat auf der Internetseite Reddit für Aktivismus geworben um das etwas untergegangene Thema der massenhaften Überwachung wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. „Vergesst nicht: Nicht das Gesetz verteidigt uns, sondern wir verteidigen das Gesetz. Und wenn Gesetze unseren Moralvorstellungen widersprechen, haben wir sowohl das Recht als auch die Pflicht, das wieder gerade zu rücken“, schrieb Snowden als Antwort in einem „Ask Me Anything“, einem populären Format auf Reddit, das auch schon der amerikanische Präsident Barack Obama genutzt hat und bei dem bekannte und unbekannte Persönlichkeiten für ein paar Stunden live auf Fragen der Nutzer antworten.
Gemeinsam mit den Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras, die gerade erst für ihren Dokumentarfilm über Snowden, „Citizen Four“, den Oscar erhalten hat, beantwortete Snowden die Fragen bei Reddit. Es ist nicht das erste Mal, dass Edward Snowden in einer Art Livechat Fragen beantwortet, doch ist es sein erster Auftritt auf der wohl reichweitenstärksten Plattform derzeit.
Snowden glaubt, dass sich Regierungen heutzutage viel mehr Sorgen darum machen, das Verhalten der Bürger zu kontrollieren, als sich mit dem Missmut der Bürger über ebenjene Kontrolle auseinanderzusetzen. Der Whistleblower warnte jedoch auch davor, dass in der Gesellschaft eine Selbstzufriedenheit und ein Fatalismus gegenüber den Geheimdiensten zu spüren sei, weil die meisten Lebensbereiche durch Technik deutlich bequemer würden. „Doch wenn Regierungen mehr darüber nachdenken was sie technisch tun können, statt zu prüfen, was sie tun sollten, dann entfernen sich Gesetze immer weiter von der Moral.“
Ob er etwas anders machen würde, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, wollte ein Fragesteller bei Reddit wissen. Snowden bestärkte jeden, der in seinem Land Unrecht beobachte darin, etwas dagegen zu tun. „Lasst es in eurem Land nicht zu“, schrieb Snowden. Er hätte früher etwas sagen sollen, vielleicht wären dann die Spionage-Programme der Geheimdienste etwas weniger tief verwurzelt gewesen. „Wenn man der Regierung mehr Macht oder Autorität zugesteht, ist es exponentiell schwieriger, das wieder rückgängig zu machen.“ Sobald Geld für eine Abhörmaßnahme genehmigt sei – und sei diese noch so unwirksam – sei es kaum noch zu verhindern, dass ebenjenes Spionageprogramm weitergeführt werde.
Wir wollten von Edward Snowden wissen, wie er zum russischen Sicherheitssoftwareanbieter Kaspersky Lab steht, der in den vergangenen Wochen mehrfach mit Berichten über Hackerangriffe auf sich aufmerksam gemacht hat. Das Geschäftsmodell der Firma besteht darin, weder zu sagen, wer Angriffe gestartet hat, noch wer die Opfer von Hackerattacken sind. Jedoch legen einige Informationen in Quellcodes die Vermutung nahe, dass die NSA hinter Attacken auf 500 Ziele steckt, darunter Nuklearforschungsinstitute, Banken, Telekommunikationsfirmen und Medien. Wir fragten, welche Enthüllung Snowden als Enthüllungsexperte am wichtigsten einschätzt. Für Snowden war die Meldung, dass die NSA millionenfach SIM-Karten manipuliert hat, die wichtigste Nachricht der vergangenen Tage. Damit habe der Geheimdienst nicht nur das niederländische Unternehmen Gemalto, sondern auch Millionen Kunden betrogen, indem er die SIM-Karten gänzlich ausgetauscht hätte. (Mehr zu dem Fall im „Maschinenraum“ von Constanze Kurz.)
Snowden schreibt weiter: Unsere Regierungen – und speziell die Sicherheitsorgane – sollten niemals den kurzzeitigen Vorteil der Überwachung einiger weniger Ziele als wichtiger einstufen, als die Kommunikation eines globalen Systems zu schützen. Und das würde doppelt gelten, wenn wir – als westliche Gesellschaft – abhängiger von Kommunikation und Technologie seien, um wirtschaftlich produktiv zu sein, als unsere „Gegner.“ Seine Antworten ließen durchblicken, dass er sich immer noch als Patriot begreift und mit westlichen Werten identifiziert, auch wenn er in den Augen vieler Amerikaner als Verräter gilt.
Ein Nutzer wollte von Snowden wissen, ob man Wladimir Putin glaube könne, wenn er sagt, dass er innerhalb Russlands nicht spionieren würde und ob es dafür eine Bestätigung gebe. Snowden antwortete, dass es keine Beweise dafür gebe, dass er es nicht tue. Das sei ein Teil des Problems weltweit. Man könne nicht die Gesetze in einem Land reformieren, die Hände abklopfen und weitermachen, als wäre alles in Ordnung. „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Rechte nicht nur auf dem Papier festgesetzt werden, denn diese Sicherheiten verschwinden in der Minute, in der unsere Kommunikation mit Routern in ein anderes Land übertragen werden. Der einzige Weg um sicherzustellen, dass die Menschenrechte im digitalen Raum respektiert werden, ist, die Rechte durch Systeme und Standards festzusetzen, statt durch Politik und Vorschriften.“
Nach gut zwei Stunden musste Snowden wieder weg, auf seiner Profilseite bei Reddit kann man alle Antworten nachlesen. Darunter auch einige lustige Antworten. Nicht zu schlagen war für den Whistleblower übrigens doch sein vielleicht größter Widersacher. Das „Ask Me Anything“ mit Barack Obama ist immer noch das erfolgreichste Frage-Format auf Reddit. Snowden musste sich dahinter einreihen. Vor ihm liegen Bill Gates, Richard Attenborough und der „Mann mit den zwei Penissen“. So ist es nunmal, dieses Internet.
Machs Maul auf !
Und schon bis du in Russland freier als woanders.
Snowdens Verdienst
Langsam versinkt er ins Vergessen. Seine Wortmeldungen finden weniger Beachtung, werden kaum noch kommentiert. Die Welt hat wichtigere Themen. Nach und nach setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich die gegenseitige Spionage im Gleichgewicht befindet: Der Atomkrieg im Zeitalter des Kalten Krieges wurde schließlich auch durch das Gleichgewicht verhindert, durch das „Gleichgewicht des Schreckens“. Ähnliches spielt sich auf der Ebene weltweiten Ausschnüffeln ab. Jeder belauert jeden, alles wird abgehört und mitgeschnitten, nichts bleibt wirklich geheim. Dank Snowden wurden die Lauschprogramme perfektioniert. Er zeigte ja die Lücken auf, die es zu schließen galt. Es mag noch fragil sein, das weltweite Gleichgewicht der Rundumspionage, doch es wird stabiler werden, zuverlässiger. Die Sicherheits-Balance kehrt zurück. Und das alles für einen relativ geringen Preis: Tante Ernas Mails werden mitgelesen, ihre Konten sind ein offenes Buch und ihre Telefonkontakte sind jeder Zeit abrufbar. Was sonst noch geschieht, läßt Spekulationen gedeihen, hat aber mit dem realen Leben nichts zu tun. Alles Snowdens Verdienst.
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Mit Verlaub, das Gleichgewicht in einer Unterwanderung unserer Grundrechte und die einheitliche Installation umfassender Überwachungsaparate macht es nicht weniger beunruhigend und falsch. Ganz offensichtlich verwechseln Sie hier auch das Ausspionieren fremder Regierungen aus früheren Zeiten mit der tatsächlich stattfindenden Machtergreifung im digitalen Raum unter einer ständigen Beschaffung aller verfügbaren Informationen über Jedermann. Mit dem zunehmenden Einzug der Informationstechnologie gehen davon weitreichende Gefahren für die westliche Demokratie aus. Vollüberwachung und potenzielle Entmündigung ist kein geringer Preis. Darauf machte Edward Snowden mit seinen Enthüllungen aufmerksam. Als jemand, der in der IT-Branche tätig ist, kann ich Ihnen sagen, dass dies zu einem massiven Umdenken führt. Ob politisch, gesellschaftlich oder technologisch; der Verdienst führt mit Sicherheit nicht zu einer Schließung von Lücken, sondern in der Einleitung einer Gegenbewegung. Für Ihre Tante Erna These empfehle ich Ihnen den Ted-Talk von Glenn Greenwald: https://www.youtube.com/watch?v=pcSlowAhvUk
Vertrauen
Tante Erna hab ich gefragt. Sie stimmt mir zu. – Beim Rest bin ich Positivist. Was das ‚Gleichgewicht‘ nicht regelt, wird meine Regierung leisten. Sie wird sich, da bin ich sicher, um Vollüberwachung und potentielle Entmündigung kümmern. Ich lebe angstfrei und hoffe, Ihre Gegenbewegung wird mich dabei nicht stören. – Ja, meine Haltung kann Hohn und Häme bei denen zur Folge haben, die es besser als ich wissen. Macht und ändert nichts. Hab eine abgeschlossene Meinung. Wie Sie sicher auch.
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Das ist das gute an der Freiheit, sich seine eigene Meinung zu bilden. Wie sehr sich ihre Regierung für den Erhalt dieser Freiheit im digitalen Zeitalter einsetzt können sie live miterleben: nämlich nur wenig bis gar nicht. Eine positive Überzeugung und Vetrauen in ihre Regierung steht ihnen frei. Umgekehrt ist es jedoch nicht verwerflich sich für die Durchsetzung der eigenen Rechte einzusetzen, statt tatenlos wegzusehen. Hohn und Häme ist hier ebenso fehl am Platz.