Machen wir einmal einen Versuch. Schließen Sie die Augen, denken Sie an Ihre Kindheit, an Resopalmöbel und Wachstuchtischdecken und Gartenmöbel mit riesigen bunten Prilblumen drauf. Denken Sie an Ihre Großmutter, an die Dauerwelle und die plüschgefütterten Lederpuschen. Vermutlich wischt sie gerade etwas, knetet Teig im großen Stil oder zupft welke Blüten aus dem Geranienkasten. Welches Kleidungsstück trägt die Dame?
Natürlich trägt sie eine Kittelschürze. Mit oder ohne Ärmel, mit riesigem Wabenmuster oder kleingeblümt, mit oder ohne Taschen, mit oder ohne Strickjacke darüber, aus Nylon oder Baumwolle (BRD) oder aus Dederon (DDR) – aber immer und unausweichlich eine Kittelschürze. Sommers wie Winters, in Haus und Garten.
Leider führte ihre Allgegenwart dazu, daß die Kittelschürze zum Attribut der älteren, ewig putzenden und eher unfrohen Hausfrau verkam. Im Fernsehen geisterte Else Kling im wilden Schürzen-Mustermix durch die Treppenhäuser der Lindenstraße und fand immer etwas zum Feudeln und zum Granteln. Schon gut zwanzig Jahre zuvor hatte Kling ihr Stilvorbild in Frau Siebenhals, Raumpflegerin bei den Hesselbachs, die ihrer Münchner Kollegin in nichts nachstand. Auch sie ein, um im Metaphernbild zu bleiben, ein arger Besen. Wo immer solche Karikaturen ihr Unwesen treiben, sind sie an Kittelschürze, Kopftuch und Putzutensilien zu erkennen.
Die Kittelschürze ist die grobe Cousine der feinen Dienstmädchenschürze, auch der Kochschürze, überhaupt aller Schürzen, die die Dame sich temporär umbindet, um eine bestimmte Arbeit zu verrichten. Die Kittelschürze dient in der Nachkriegszeit als Kleidersatz, als vollwertiges Kleidungsstück für die Vollzeit-Hausfrau. Die Kittelschürzenträgerin hat sich darauf eingestellt, in den nächsten paar Stunden keine repräsentative Kleidung zu benötigen und durchzuarbeiten. Es ist ja immer etwas zu tun im Haus, und immer könnte etwas spritzen, tropfen, sudeln, man braucht den Lumpen gar nicht erst aus der Hand zu legen, irgendwo ist immer ein Fleck.
Vielleicht erklärt sich dadurch auch die Ästhetik der häuslichen Kittelschürze, die man kaum in farbneutraler Ausführung antrifft: Geblümt, gestreift, geblümt und gestreift, auch kariert, mit wimmelnden Dreiecken, verstörendem Gestrichel oder amorphen Amöben überzogen und mit farblich kontrastierenden Paspeln abgesetzt erinnert sie in ihrer Ornamentierung immer ein wenig an Küchenvorhänge der fünfziger Jahre. Oder an Schrankpapier. Oder, in besonders verstörenden Momenten, an Badeanzüge dicker Tanten in den frühen achtziger Jahren. Aber die Musterung hilft, sie verschluckt Fettspritzer und Marmeladenkleckse ziemlich effektiv.
Man muß sich vorstellen, was die Großmütter damit alles getan haben, es wurde ja nicht nur geputzt. Die meisten hatten einen Garten, am Haus oder in einer Kleingartenkolonie. Dort wuchsen Kirschbäume, Pflaumenbäume, Bohnen, gelbe Rüben, Kohlrabi. All das mußte im Sommer eingemacht werden, und zwar genau dann, wenn es reif ist. So saßen also Deutschlands Großmütter ungefähr in den Wochen, wenn die gartenlose Familie in Urlaub fährt, auf einem möglichst abwischbaren Stuhl mit einer großen Schüssel auf dem Schoß und entkernten Obst, schnippelten die gelben Rüben klein und schälten die Kohlrabi. Dabei trugen sie Kittelschürzen und nichts weiter. Am Abend waren die Finger verschnitten, orange von den Rüben und rot von den Kirschen, da half keine Seife mehr, das setzte sich in jede Ritze. Wenn sie nicht schnippelten, standen sie am Herd vor einem großen Topf und kochten Marmelade oder Pflaumenmus, das hier Lattwersch heißt, bei der größten Hitze noch, die Früchte werden sonst schlecht.
Gibt es noch solche Großmütter, die in Kittelschürzen im Garten sitzen oder in der Küche stehen und Enkel mit Kuchen und Marmelade füttern? Und wochenlang mit dem guten, gesunden Gemüse aus der Tiefkühltruhe traktieren, bis man es nicht mehr sehen kann und jetzt gerne einfach ein paar Nudeln hätte? Man sieht jedenfalls nur noch selten Kittelschürzen angeboten, meist auf Märkten zwischen einem Stand für Suppenkonzentrat und einem für Bügelbrettüberzüge. Ihr Image ist miserabel, wohl auch deshalb, weil sie der Figur der Trägerin nicht gerade schmeicheln. Egal, wie man die Schürze drapiert, sie bleibt eine gerade geschnittene Stoffwurst, die vor allem herunterhängt. Frauen in Kittelschürzen werden von aller Welt Oma oder Mutti genannt, sie haben selten Vornamen, stattdessen haben sie Stellungen innerhalb der Familie inne. Die Kittelschürze dürfte auch das einzige weibliche Kleidungsstück sein, um das sich weltweit noch nie eine erotische Fantasie gerankt hat.
Heute würde man für spritzintensive Arbeiten eher zur klassischen Latzschürze greifen. Die ist schnell umgebunden und schnell wieder abgelegt. Niemand ist heute mehr stundenlang mit Hausarbeit beschäftigt, niemand mehr macht sich zum Sklaven seines Gemüsegartens und läßt sich von ihm vorschreiben, wann er in Urlaub zu fahren hat und wann nicht. Man erinnert sich gern an den Apfelkuchen, den Äppelkuche, den Pflaumenkuchen, der natürlich Quetschekuche heißt, weil man an Großmütter nur im Dialekt denken kann, jeder in seinem eigenen. Aber selbst würde man so nie werden wollen, weil es zuviel Arbeit bedeutet und zuwenig Freiheit. Und man backt dann doch ein paarmal im Jahr einen Gedenkapfelkuchen, wenn man die Zeit dafür findet, weil man es kann, man hat ja so oft zugeschaut damals im Sommer in der viel zu heißen Küche. Aber Arbeit ist das nicht mehr, nur noch Vergnügen, und die Kittelschürze als hausfrauliche Berufskleidung hat damit weitgehend ausgedient.