Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Parolen am Laternenpfahl: Das Wahlplakat

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Wenn sich Wahlen nähern, stellen die Parteien Stadt und Land mit Werbemitteln voll. Auf einem knappen Quadratmeter drängen sich Kandidatenkopf, Parteilogo, Slogan und Photoshopgedöns, um den vorbeihastenden Bürger von der eigenen politischen Qualifikation zu überzeugen. Das ist meist bieder und nichtssagend, geht aber mitunter spektakulär daneben.

In regelmäßigen Abständen geht die politische Kaste zum Friseur, kauft sich gegebenenfalls eine neue Brille, stellt sich dann in einem Fotostudio auf und bemüht sich, dabei nicht sehr viel peinlicher auszusehen als die Sachbearbeiter in der Imagebroschüre der lokalen Sparkasse. Die Ergebnisse werden hübsch retuschiert und mit Verlaufshintergründen in Parteifarbe versehen. Dann klebt jemand ein paar Slogans drauf (gerne auch mal schief, das wirkt dynamisch), für die jemand anderes fürchterlich überbezahlt wurde, und läßt das Ergebnis vom Fußvolk an die Laternenpfähle der Republik binden. So ungefähr funktioniert Wahlkampf.

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Mit dem Auto kann man an Ausfallstraßen eine kreuzbiedere, sich zunehmend verdichtende Portraitgalerie abfahren, dann schauen einen all die blondgesträhnten Damen und staatstragenden Herren vorsichtig auffordernd an und bitten um Stimmen. Einen knappen Quadratmeter haben sie Platz, mich überzeugen zu können, aber womit füllen sie ihn? Vor allem mit sich selbst, was, vorsichtig gesagt, vielleicht nicht die beste aller Ideen ist. Daneben stehen Sprüchlein, die so hohl sind, daß die „Partei“ sich nicht leicht tut, sie satirisch zu übertreffen.

Silvana Koch-Mehrin forderte unlängst: „Für Deutschland in Europa“. Ach, wo denn sonst? In Vorderasien? CDU-Kandidat Dr. Matthias Zimmer verspricht mit einem Gesichtsausdruck zwischen Hangover und Zahnschmerzen „Kompetenz für Berlin“, und das mitten in Frankfurt. Und jenseits der geographischen Verwirrungen bauschen sich die Wortsoufflés aus dem Baukasten der Politphrasen: Stark, anpacken, Zukunft, Chance, Arbeit, Sicherheit, gestalten, Deutschland, Freiheit, Wohlstand, Arbeit, gemeinsam, Vernunft, sozial, Wachstum, Arbeit, menschlich, Bildung, Kraft, Perspektive, Arbeit, Gerechtigkeit, Familie, Arbeit, fair, Arbeit, Arbeitsplätze, Arbeit. Früher ging es bei der SPD wenigstens noch um „Tod oder Brot“. Heute muß man schon aufs Logo schauen, mit wem man es eigentlich zu tun hat, manchmal sorgt immerhin die Farbgebung für Trennschärfe. Das Plakat, so mag man einwenden, ist nicht der Ort für inhaltliche Auseinandersetzung. Aber welcher Ort ist es denn? Die Talkshow, der Infostand auf dem Wochenmarkt?

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Während die FDP seit ungefähr 150 Jahren in aller Zeitlosigkeit fordert, daß sich Arbeit wieder lohnen muß, hat immerhin die Linke erkannt, daß es so etwas wie eine aktuelle Situation gibt, die man aufgreifen kann: Mindestlohn, Geld für Bildung, Raus aus Afghanistan. Leider kann sie sich nicht ganz entscheiden, ob sie lieber „Reichtum für alle“ fordern soll oder „Reichtum besteuern“ – oder doch beides gleichzeitig? Das wäre natürlich die Lösung sämtlicher Probleme, denn dann wären die Bürger reich und der Staat auch. Toll! Daß da noch keiner drauf gekommen ist.

Wenn gar nichts mehr geht, lautet eine beliebte Werbe- und Medienregel, Kinder und Hunde gehen immer. Besonders die SPD setzt gern aufs Kind, es ging ja früher schon, also muß es auch jetzt gehen, aber manchmal geht es auch so daneben, daß es schon körperlich weh tut. Und plötzlich wünscht man sich ganz dringend eins von Ursulas Stoppschildern her. Zum Hund bekannte sich 2006/07 der Frankfurter SPD-Bürgermeisterkandidat Franz Frey, der dem Terrier „Schröder“ ein Nikolausmützchen aufsetzte. Genutzt hat es nichts, bekanntlich ist Petra Roth noch immer Rathauschefin.

Wenn ein Kind nicht mehr reicht, dann kann man noch ein paar Randgruppen dazudekorieren: Einen Bürger mit Migrationshintergrund, der einem die Hand reicht, eine Oma, die sich an den Arm hängt, und natürlich das Kind, das man im anderen Arm hat, während es einem, man hat ja alle Hände voll zu tun, das Mobiltelefon ans Ohr hält, während es sich eine Akte unter den anderen Arm geklemmt hat. Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht. Das gibt es wirklich.

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Schlimm wird es spätestens dann, wenn lokale Abgeordnete unbedingt originell sein wollen, etwa im Falle der Kandidatin für Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, Vera Lengsfeld. Sie habe große Mühe, überhaupt wahrgenommen zu werden, sagt Lengsfeld zu ihrer Verteidigung, und die CDU fände das Plakat witzig. Das kann ich ja verstehen, daß man wahrgenommen werden will, aber will man wirklich so wahrgenommen werden? Als Berlins tiefstes Dékolleté? 

Darf ich mich dann demnächst auf Abgeordnete freuen, die im schönsten Putin-Stil Männersachen machen und dabei Muskeln zeigen? Guido Westerwelle oben ohne beim Lachsfischen in Vorpommern? Wolfgang Schäuble, die Hand sanft über samtene Pferdenüstern streichelnd? Ist es wieder an der Zeit, daß die Ikonographie wegführt vom denkenden, lenkenden Volksvertreter am Schreibtisch, hin zum kraftstrotzenden Machthaber mit gebärfreudigen Damen drumherum? Wollen wir dieses ganze demokratische Bürgertumsgedöns überhaupt noch, oder sind wir mit einer anständigen Erbmonarchie nicht ebenso schlecht und recht gefahren? Begann nicht überhaupt der Verfall spätestens mit dem Bothmer-Skandal 1970, als die erste Frau in einem Hosenanzug im Bundestag ans Rednerpult trat?

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Frau Lengsfeld tut sich übrigens deshalb so schwer mit dem Wahrgenommenwerden, weil sie gegen Christian Ströbele antritt, dem Grünen mit dem Fahrrad und dem roten Schal. Ströbele geht einen völlig anderen Weg, denn er hat einen eigenen Hauszeichner und belebt damit die gute alte Tradition der Plakatmalerei neu: Seit dem letzten Bundestagswahlkampf zeichnet Gerhard Seyfried für ihn in gewohnter, leicht psychedelischer Wimmelmanier und nimmt dabei so ziemlich jeden Topos auf, den die Wahlplakatgestaltung der letzten achtzig Jahre hergibt: Von der aufgehenden Sonne über glückliche Bürger, verschreckte Anzuggestalten mit Geldkoffern bis hin zur Verbrüderung von Punk und Polizist. Überhaupt haben die Grünen eine gewisse Künstlertradition aufzuweisen, eins der ersten Plakate, sehr minimalistisch, entwarf Joseph Beuys. Das ist lange her, inzwischen ist alles wie gewohnt: Slogans und Portraits.

Denn ein weiteres Standbein der Wahlwerbung ist das reine Spruchplakat, das einem Parteiparolen in typographischer Gestaltung um die Ohren pfeffert. Besonders die NPD macht das ausnehmend gern und beweist wieder einmal, daß Dummheit an der Anzahl der verwendeten Ausrufezeichen erkennbar ist. Gerne werden ein paar Fäuste zwischen das Boulevardblattlayout geklemmt, die auf den Wörtern „Jetzt!“ oder „reicht!“ herumhauen. Auch jede Spielart der Vertierung von Menschen ist gern gesehen. Bei der NPD, nicht bei mir.

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Die Plakate werden von der fleißigen Parteibasis auf Pappen geleimt und in der Stadt verteilt. Mitunter kommt es dann zu unschönen Kollisionen mit der umgebenden Realität. Aber die Flächen werden fest vergeben, die Pfründe sind längst verteilt. Und wenn der Wahlkampf in die richtig harte Phase kommt, erwarten uns zusätzlich noch Großplakate, Stände mit Sonnenschirmchen und fleißigen Parteimitarbeitern, die arglose Passanten ansprechen, und die notorischen Großveranstaltungen, die ganze Plätze bespielen. Kurz: Es fängt klein und leise an und wird zunehmend größer und lauter. Dann schlägt sich das Ganze in Zahlen nieder, und Politiker werden vor Kameras stehen und sagen: „Wir haben gekämpft.“


61 Lesermeinungen

  1. tobitobson sagt:

    Wahlkampf - jedes mal, wenn...
    Wahlkampf – jedes mal, wenn ich mit dieser Kombination aus Unappetitlichkeit, Verblödung und Schleimerei konfrontiert werde, spüre ich ein Ekelgefühl in mir aufsteigen.
    Kann man das nicht bitte noch ins StGB einbauen, irgendwo im siebten Abschnitt?
    Wie hält man das aus, wenn man sich beruflich damit beschäftigen muss? Lebt man da nicht in permanenter Angst vor einem Magengeschwür?

  2. Frans B. sagt:

    "Das wäre natürlich die...
    „Das wäre natürlich die Lösung sämtlicher Probleme, denn dann wären die Bürger reich und der Staat auch. Toll! Daß da noch keiner drauf gekommen ist.“
    Darauf sind sie doch gekommen, die, die vor sechzig Jahren begannen, Wirtschaftspolitik im Interesse der breiten Masse und nicht im Sinne einer kleinen Schicht von Superreichen zu machen. Das war über drei Jahrzehnte das Prinzip: Steigender Wohlstand für alle und ein handlungsfähiger Staat.

  3. synecstasy sagt:

    Pars pro toto: Die Wahlplakate...
    Pars pro toto: Die Wahlplakate und ihre Unzumutbarkeiten sind nur ein Teil des deutschen Wahlkampfs. Man möchte Seriösität ausstrahlen und heraus kommt gähnende Langeweile. Also kommt man mit dem immer Gleichen daher, keine Innovation weit und breit. Zugestanden sein muss an dieser Stelle, dass das einzige visuelle Zeichen, das zum kurzen Nachdenken anregt, von den Piraten stammt: In Hamburg finden sich kopierte Aushänge mit dem Titel: „Vermisst – Unsere Demokratie ist uns am … abhanden gekommen.“ Vielleicht sollten sich die Berater der großen Parteien mal Anregung im Guerilla Marketing holen.
    Und nach wie vor gilt: https://www.synecstasy.com/2009/08/07/entertain-us/

  4. E.R.Nest sagt:

    Besonders zu empfehlen ist der...
    Besonders zu empfehlen ist der von Frau Diener angegebene Link zu dem Kandidaten mit Seniorin, Migranten und als Mobiltelefon- und Aktenhalter mißbrauchtem Kleinkind:
    Der Mann heißt „Knülle“.
    Nomen est omen. Quod erat demonstrandum.

  5. sschulz sagt:

    "Während die FDP seit...
    „Während die FDP seit ungefähr 150 Jahren in aller Zeitlosigkeit fordert, daß sich Arbeit wieder lohnen muß (…)“ – Es hieß 150 Jahre, dass sich Leistung lohnen müsse. Erst neuerdings ist es Arbeit.

  6. fraudiener sagt:

    Danke, Herr Schulz, für die...
    Danke, Herr Schulz, für die Präzisierung. In diesem Jahr kommt keine Partei ohne das Wort „Arbeit“ aus (außer den Grünen, die „Jobs“ wollen), da muß sich die FDP schon angleichen. Außerdem, Leistung. Das kann ja alles sein. Arbeit klingt da gleich viel ehrlicher.
    .
    synecstatsy, ich bin mir nicht sicher, ob ich Guerilla-Marketing der CDU sehen will. Das endet doch nur jenseits des Lengsfeldschen Peinlichkeitsquadranten. Das Schlimme ist ja, daß alles jenseits von Schema F gleich so unfaßbar dilettantisch aussieht.
    .
    Frans B., Wohlstand für alle klingt hübsch gemäßigt. Reichtum für alle hat so was knallig illusorisches. Ich mein: Reich. Bleibt die Frage, wo die Kohle herkommt.

  7. Paulchen sagt:

    Geehrte Frau Diener,
    was...

    Geehrte Frau Diener,
    was sollen den diese armen “ Geschöpfe“ machen?
    Mit Leistungen beeindrucken und durch helfende
    Kreativität das Wahlvolk, nach vier Jahren überzeugen?
    Dann währen es keine Politiker, eigendlich möchten
    Sie ja die Wahlen abschaffen und treu dem Staate
    dienen.
    Ich persöhnlich vermisse schon Wahlkämpfe, kommend
    von Kampf, aber Fragen sie sich, soll das wirklich so
    geschen. Ein Wahlkampf mit mehr körperlichen
    Einsatz, als dem am Büffet.
    Intelligenz und Politik sind nun Dinge die nur in
    Abwesenheit voneinander funktionieren,
    denn aufgelöst und regiert werden wir immer.
    Deutschland in der Nacht hat mich um den Schlaf
    gebracht.
    Herzlichst P.

  8. hape sagt:

    Das mit den Kandidatenplakaten...
    Das mit den Kandidatenplakaten ist nur ein Missverständnis, wie folgendes Gedicht zeigt: https://www.gedichte-fuer-alle-faelle.de/allegedichte/gedicht_2886.html

  9. egghat sagt:

    Meine persönlicher Favorit in...
    Meine persönlicher Favorit in Sachen hohler Wahlkampfparolen war Vera Lengsdorfs „Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit“. Will die keine Gerechtigkeit? Hmmm?

  10. fraudiener sagt:

    Egghat, diese Frau Lengsdorf...
    Egghat, diese Frau Lengsdorf scheint ja für einige Kracher gut zu sein. Warum Fairness der guten alten Gerechtigkeit vorzuziehen ist, wüßte ich auch gern.
    .
    Paulchen, es würde mir ja schon reichen, wenn ich das Gefühl hätte, daß es diesen Leuten um etwas geht. Um mehr als die eigene Karriere, wenn möglich. (Zumindest bei den Linken scheint das ab und zu nochmal auf – unabhängig davon, ob man dem nun zustimmt oder nicht.)

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