In regelmäßigen Abständen geht die politische Kaste zum Friseur, kauft sich gegebenenfalls eine neue Brille, stellt sich dann in einem Fotostudio auf und bemüht sich, dabei nicht sehr viel peinlicher auszusehen als die Sachbearbeiter in der Imagebroschüre der lokalen Sparkasse. Die Ergebnisse werden hübsch retuschiert und mit Verlaufshintergründen in Parteifarbe versehen. Dann klebt jemand ein paar Slogans drauf (gerne auch mal schief, das wirkt dynamisch), für die jemand anderes fürchterlich überbezahlt wurde, und läßt das Ergebnis vom Fußvolk an die Laternenpfähle der Republik binden. So ungefähr funktioniert Wahlkampf.
Mit dem Auto kann man an Ausfallstraßen eine kreuzbiedere, sich zunehmend verdichtende Portraitgalerie abfahren, dann schauen einen all die blondgesträhnten Damen und staatstragenden Herren vorsichtig auffordernd an und bitten um Stimmen. Einen knappen Quadratmeter haben sie Platz, mich überzeugen zu können, aber womit füllen sie ihn? Vor allem mit sich selbst, was, vorsichtig gesagt, vielleicht nicht die beste aller Ideen ist. Daneben stehen Sprüchlein, die so hohl sind, daß die „Partei“ sich nicht leicht tut, sie satirisch zu übertreffen.
Silvana Koch-Mehrin forderte unlängst: „Für Deutschland in Europa“. Ach, wo denn sonst? In Vorderasien? CDU-Kandidat Dr. Matthias Zimmer verspricht mit einem Gesichtsausdruck zwischen Hangover und Zahnschmerzen „Kompetenz für Berlin“, und das mitten in Frankfurt. Und jenseits der geographischen Verwirrungen bauschen sich die Wortsoufflés aus dem Baukasten der Politphrasen: Stark, anpacken, Zukunft, Chance, Arbeit, Sicherheit, gestalten, Deutschland, Freiheit, Wohlstand, Arbeit, gemeinsam, Vernunft, sozial, Wachstum, Arbeit, menschlich, Bildung, Kraft, Perspektive, Arbeit, Gerechtigkeit, Familie, Arbeit, fair, Arbeit, Arbeitsplätze, Arbeit. Früher ging es bei der SPD wenigstens noch um „Tod oder Brot“. Heute muß man schon aufs Logo schauen, mit wem man es eigentlich zu tun hat, manchmal sorgt immerhin die Farbgebung für Trennschärfe. Das Plakat, so mag man einwenden, ist nicht der Ort für inhaltliche Auseinandersetzung. Aber welcher Ort ist es denn? Die Talkshow, der Infostand auf dem Wochenmarkt?
Während die FDP seit ungefähr 150 Jahren in aller Zeitlosigkeit fordert, daß sich Arbeit wieder lohnen muß, hat immerhin die Linke erkannt, daß es so etwas wie eine aktuelle Situation gibt, die man aufgreifen kann: Mindestlohn, Geld für Bildung, Raus aus Afghanistan. Leider kann sie sich nicht ganz entscheiden, ob sie lieber „Reichtum für alle“ fordern soll oder „Reichtum besteuern“ – oder doch beides gleichzeitig? Das wäre natürlich die Lösung sämtlicher Probleme, denn dann wären die Bürger reich und der Staat auch. Toll! Daß da noch keiner drauf gekommen ist.
Wenn gar nichts mehr geht, lautet eine beliebte Werbe- und Medienregel, Kinder und Hunde gehen immer. Besonders die SPD setzt gern aufs Kind, es ging ja früher schon, also muß es auch jetzt gehen, aber manchmal geht es auch so daneben, daß es schon körperlich weh tut. Und plötzlich wünscht man sich ganz dringend eins von Ursulas Stoppschildern her. Zum Hund bekannte sich 2006/07 der Frankfurter SPD-Bürgermeisterkandidat Franz Frey, der dem Terrier „Schröder“ ein Nikolausmützchen aufsetzte. Genutzt hat es nichts, bekanntlich ist Petra Roth noch immer Rathauschefin.
Wenn ein Kind nicht mehr reicht, dann kann man noch ein paar Randgruppen dazudekorieren: Einen Bürger mit Migrationshintergrund, der einem die Hand reicht, eine Oma, die sich an den Arm hängt, und natürlich das Kind, das man im anderen Arm hat, während es einem, man hat ja alle Hände voll zu tun, das Mobiltelefon ans Ohr hält, während es sich eine Akte unter den anderen Arm geklemmt hat. Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht. Das gibt es wirklich.
Schlimm wird es spätestens dann, wenn lokale Abgeordnete unbedingt originell sein wollen, etwa im Falle der Kandidatin für Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, Vera Lengsfeld. Sie habe große Mühe, überhaupt wahrgenommen zu werden, sagt Lengsfeld zu ihrer Verteidigung, und die CDU fände das Plakat witzig. Das kann ich ja verstehen, daß man wahrgenommen werden will, aber will man wirklich so wahrgenommen werden? Als Berlins tiefstes Dékolleté?
Darf ich mich dann demnächst auf Abgeordnete freuen, die im schönsten Putin-Stil Männersachen machen und dabei Muskeln zeigen? Guido Westerwelle oben ohne beim Lachsfischen in Vorpommern? Wolfgang Schäuble, die Hand sanft über samtene Pferdenüstern streichelnd? Ist es wieder an der Zeit, daß die Ikonographie wegführt vom denkenden, lenkenden Volksvertreter am Schreibtisch, hin zum kraftstrotzenden Machthaber mit gebärfreudigen Damen drumherum? Wollen wir dieses ganze demokratische Bürgertumsgedöns überhaupt noch, oder sind wir mit einer anständigen Erbmonarchie nicht ebenso schlecht und recht gefahren? Begann nicht überhaupt der Verfall spätestens mit dem Bothmer-Skandal 1970, als die erste Frau in einem Hosenanzug im Bundestag ans Rednerpult trat?
Frau Lengsfeld tut sich übrigens deshalb so schwer mit dem Wahrgenommenwerden, weil sie gegen Christian Ströbele antritt, dem Grünen mit dem Fahrrad und dem roten Schal. Ströbele geht einen völlig anderen Weg, denn er hat einen eigenen Hauszeichner und belebt damit die gute alte Tradition der Plakatmalerei neu: Seit dem letzten Bundestagswahlkampf zeichnet Gerhard Seyfried für ihn in gewohnter, leicht psychedelischer Wimmelmanier und nimmt dabei so ziemlich jeden Topos auf, den die Wahlplakatgestaltung der letzten achtzig Jahre hergibt: Von der aufgehenden Sonne über glückliche Bürger, verschreckte Anzuggestalten mit Geldkoffern bis hin zur Verbrüderung von Punk und Polizist. Überhaupt haben die Grünen eine gewisse Künstlertradition aufzuweisen, eins der ersten Plakate, sehr minimalistisch, entwarf Joseph Beuys. Das ist lange her, inzwischen ist alles wie gewohnt: Slogans und Portraits.
Denn ein weiteres Standbein der Wahlwerbung ist das reine Spruchplakat, das einem Parteiparolen in typographischer Gestaltung um die Ohren pfeffert. Besonders die NPD macht das ausnehmend gern und beweist wieder einmal, daß Dummheit an der Anzahl der verwendeten Ausrufezeichen erkennbar ist. Gerne werden ein paar Fäuste zwischen das Boulevardblattlayout geklemmt, die auf den Wörtern „Jetzt!“ oder „reicht!“ herumhauen. Auch jede Spielart der Vertierung von Menschen ist gern gesehen. Bei der NPD, nicht bei mir.
Die Plakate werden von der fleißigen Parteibasis auf Pappen geleimt und in der Stadt verteilt. Mitunter kommt es dann zu unschönen Kollisionen mit der umgebenden Realität. Aber die Flächen werden fest vergeben, die Pfründe sind längst verteilt. Und wenn der Wahlkampf in die richtig harte Phase kommt, erwarten uns zusätzlich noch Großplakate, Stände mit Sonnenschirmchen und fleißigen Parteimitarbeitern, die arglose Passanten ansprechen, und die notorischen Großveranstaltungen, die ganze Plätze bespielen. Kurz: Es fängt klein und leise an und wird zunehmend größer und lauter. Dann schlägt sich das Ganze in Zahlen nieder, und Politiker werden vor Kameras stehen und sagen: „Wir haben gekämpft.“
Savall: Gute Idee! Die Grünen...
Savall: Gute Idee! Die Grünen haben ja schon den Wal, die CSU kriegt einen röhrenden Hirsch, die FDP vielleicht eine Ameise?
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Aber das ist ja überhaupt das Mißverständnis an Werbung: Die ist für Blöde gemacht. Das würde kein Konzern zugeben, von Zielgruppen schwafeln und von Einprägsamkeit, aber die ist ja bekanntlich die Nachbarin der Penetranz.
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icke, nein Sie wollen nicht zur Wahlkampfveranstaltung. Die Musik ist schlecht, die Reden sind schlecht, es ist eine entsetzlich zähe, langweilige Angelegenheit, die die Intelligenz so ziemlich jedes Anwesenden beleidigt. Ich hab mir das oft genug angetan.
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Warum ich dann kein Politiker geworden bin? Ich bin nicht teamfähig, ich bin Einzelarbeiter. Am besten funktioniere ich hier in meiner Zelle. So jemanden kann man da nicht brauchen.
@ Andrea Diener: glauben Sie...
@ Andrea Diener: glauben Sie denn dass Sie, wenn durch irgendeinen Zufall alle anderen Politiker, Beamten, Zuarbeiter, ja selbst Sekretärinnen, Pförtner und Praktikanten verschwunden wären, dass Sie dann die Führung der Bundesrepublik alleine hinbekämen? Bis zu einem gewissen grad ist Politik durchaus einzelarbeit, aber dann muss sich die einzelne Wahrheit eben mit der vielfältigen Wirklichkeit auseinandersetzen. Ich gebe zu, dass das nicht besonders angenehm ist.
Ich will ja gar nicht behaupten, dass die Politiker alle edel, weise und gut sind. Und bin der Meinung dass wer mit einer Art „Blut Schweiss und Tränen“ Rede durchaus Chancen hätte – die Leute sind ja nicht so dumm. Aber die Wahlkampfplakate finde ich in ihrer Beschränktheit ausreichend (auch wenn ich bei der Kraft der CDU immer an den Krieg der Sterne denken muss – AM als Luke Skywalker?).
Und Mr Obama ist ja auch mit dem Spruch eines Hausfrauenvereins zum Einmachtag gewählt worden.
Ich finde das Plakat von Dr....
Ich finde das Plakat von Dr. Matthias Zimmer sehr schön, weil der Hintergrund um ihn herum heller ist als der Rest. Das habe ich schon mal gesehen, aber wo nur… https://www.rit-show.de/photo03092005120401/1135784189.jpg
@ A Diener: fällt mir jetzt...
@ A Diener: fällt mir jetzt erst auf, dass Sie mein „Sie“ persönlich genommen haben. War nicht so gemeint sondern bezog sich auf die Allgmeinheit der Politikerscheltenden.
Doctor Snuggles, ich habe...
Doctor Snuggles, ich habe ziemlich lange gebraucht, um zu kapieren, daß der helle Hintergrund offenbar die Reichstagskuppel darstellen soll. Zumindest ist das schöner als der häßliche Schlagschatten hinter Steinmeier. So sieht das aus, wenn man Leute an die Wand stellt und anblitzt. Soll man nicht machen, beim Blitzen immer von der Wand weg. Jetzt haben die den Schatten natürlich per Fotoshop da hineinmontiert, der ist ja nicht echt. Warum? Warum nur? Wie kommt man auf die Idee, photographische Fehler künstlich in an sich gute Bilder hineinzumontieren? Machen die als nächstes den Kandidaten die Augen rot?
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icke, danke für die Klarstellung. Ich beziehe Dinge ja immer gern auf mich 🙂
Wunderbar, tobitobson! Genau...
Wunderbar, tobitobson! Genau so sehe und empfinde ich das auch:
Es ist ein ebenso unfaßbares wie grausames Szenario und Schauspiel, namens Wahlkampf, das sich da über uns ergießt. Läßt sich m. E. nur noch als optische Umweltverschmutzung titulieren und gehört, in dieser Fom, endlich
abgeschafft!
Die Reichstagskuppel? Hmm......
Die Reichstagskuppel? Hmm… könnte auch die Glasfassade vom Frankfurter Hauptbahnhof sein, das sieht ähnlich aus. Dr. Matthias Zimmer, Ihr Mann für das Frankfurter Bahnhofsviertel, das wäre doch mal ein Slogan. Und das mit dem Anzug – es gibt da bestimmt den einen oder anderen Bankmitarbeiter, der mal schnell in der Mittagspause einen 50er für gewisse Dienstleistungen ausgibt. Passt also auch. Man sollte ihn persönlich fragen.
Eben! Es geht ja nicht um le...
Eben! Es geht ja nicht um le german Politikverdrossenheit, sondern tatsächlich um die miese, dümmliche Belästigung. Ich schließe ja dann gleich vom Plakat auf die Meinung, die so ein Politiker von mir hat und erschauere.
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„Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frei.“
(Das muß heute einfach sein. Prosit, Herr Geheimrat!)
<p>Mensch! Heute um 11 war Dr....
Mensch! Heute um 11 war Dr. Zimmer bei mir um die Ecke zum Frühschoppen in der Kelterei Nöll, und ich war nicht da! Das wäre die Gelegenheit gewesen. Dr. Snuggles, der Wahlkreis ist groß, von der Alten Oper bis Zeilsheim, da paßt einiges dazwischen. Und da wird er es nicht leicht haben.
Dem Herrn Geheimrat mache ich...
Dem Herrn Geheimrat mache ich nachher noch vor Ort meine Aufwartung.
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Le Politikverdrossenheit ist wohl eher le Politikerverdrossenheit. Aber vielleicht schätzt man so manchen erst zwanzig Jahre später. Vermutlich stand man schon unter Brandt herum und schimpfte, daß die Politiker nicht mehr das Format hätten wie früher, also damals, das waren noch richtige … etc.