Meine Nachbarin ist verzweifelt. „Ich will ein Sofa kaufen“, klagt sie. Nun renne sie von Möbelmarkt zu Möbelmarkt, aber alles, was es dort gebe, seien diese modernen Sitzlandschaften oder voluminöse Wuchtbrummen mit Armlehnen von einem guten halben Meter Breite. Weil sie meine Nachbarin ist, wohnt sie auch in einem dieser kleinen Arbeiterhäuschen mit ihren kleinen Zimmerchen, die in diesem Viertel üblich sind. Und außer dem Sofa sollte auch noch etwas anderes ins Zimmer passen, unter anderem sie selbst.
Irgendwann einmal begann das Sofa seine Karriere als zierliches Bänkchen. Dann durchlief es eine Evolution in die Breite und Tiefe, bis es zu der Polsterschlucht wurde, die es heute ist und an der so mancher Möbelpacker in engen Treppenhäusern schon verzweifelte. Denn in Möbelkatalogen gibt es keine Altbauwohnungen, keine Fachwerkhäuser und auch nicht die kleinen Ziegelhäuser, in denen um die Jahrhundertwende die Fabrikarbeiter hausten. In jenen Zeiten hatten Möbel noch die angenehme Angewohnheit, sich umstandslos zerlegen zu lassen. Die heutigen Plüschbrocken sind meistens aus einem Guß und lassen sich nur unter Gewaltanwendung auseinandernehmen. Sie umformen den gesamten Körper von der Sohle bis zum Hinterkopf vollständig mit meist fürchterlich gemustertem Stoff, der auf die ein oder andere Art ins Beige spielt.
In den meisten Wohnungen nimmt die sogenannte Polstergarnitur den zentralen Platz ein. Üblicherweise steht sie direkt vor der Glotze, mit dem Sofatisch parallel davor, denn dort fällt der beruflich beanspruchte Mensch in Ganzkörperstarre. Der Tisch dient als Chipsabladefläche in bequemer Reichweite, aber gern auch als Eßtisch, Fußablage und, ganz wichtig, Platz für die Berieselungsaccessoires: Fernsehzeitung und Fernbedienung. In früheren Zeiten, also in den Wohnungen unserer Großmütter, war der Sofatisch mit einer Tischdecke und einer dicken Wachskerze auf einem schmiedeeisernen Kerzenhalter versehen, mitunter auch mit einer Schale, mittlerweile wird er meist rein zweckmäßig und dabei großflächig belegt. Die klassische, lockere Anordnung mit zwei passenden Sesseln (plus Beduinen-Ledersitzkissen) ist auch ein wenig in Bedrängnis geraten, denn Sessel stehen gern in der Bildfläche herum. Mittlerweile darf das Arrangement über Eck als durchgesetzt gelten, das einen ungehinderten Blick zum Fernseher erlaubt.
Eine interessante Wandlung hat die Sofadecke durchgemacht. Früher diente sie dazu, das Möbel zu schonen, und befand sich auf den Polstern. Man mußte sich einigermaßen diszipliniert hinsetzen, weil sie sonst verrutschte und Falten schlug. Die Füße gehörten im Übrigen auf den Boden. Inzwischen liegt sie meist lose herum und wartet darauf, Füße zu wärmen. Unbedingt dazu gehört auch das Sofakissen. Die dicken Samtkissen, die mit dem Handkantenschlag der geübten Hausfrau die korrekten Stehzipfel verpaßt bekommen, sind selten geworden. Mittlerweile sind die Sofas oft so tief, daß eine Kissenschicht vor der Rückenlehne nötig geworden ist, um sich überhaupt irgendwo anlehnen zu können.
Auch der Tisch wird nicht mehr geschont, anstatt Biergläsern auf Untersetzern (sonst schimpft Mutti) steht eher die Bierflasche direkt auf dem Tisch. Statt Holz wird Marmor verwendet, verbreitet ist auch immer noch der klassiche rustikale Tisch mit eingelegten Fliesen. Diese haben den Vorteil, unempfindlich und leicht zu reinigen zu sein. Leider sind sie auch brüllend häßlich mit ihren Klumpfüßen. Daher toben sich Möbeldesigner besonders gern an Sofatischen aus und ersinnen technoide Konstrukte aus Stahl, Glas, Holz, Stein und am liebsten gleich allem zusammen. Die stehen dann bei stilistisch ambitionierten Menschen herum, die gern so tun, als benutzten sie das Sofa vorwiegend zu etwas anderem als zum Fernsehen.
Er könne es nicht ertragen, in ein Wohnzimmer zu kommen und ein Sofa mit Sofatisch und zwei Sesseln zu sehen und zu wissen, dass man hier den ganzen Abend festsitzen werde, so ist von Verner Panton überliefert. Er ging also hin und erfand bunte Sitzelemente, auf denen man nicht sitzt, sondern eher herumlümmelt. Moderne Menschen nennen das loungen. Und so werden in den Möbelhäusern heute flexible Sitzlandschaften angeboten, auf denen man prima herumloungen kann, ungefähr so, wie die jungen Menschen in den Katalogen das in ihren Hundert-Quadratmeter-Zimmern vorleben.
Man hat gern flexible Möbel, auf denen man auch ein mobiles Internet nutzen kann mit dem flexiblen Tarif. Man läßt sich von flexiblen Halogenspots beleuchten und stellt ein flexibles Tischchen daneben. Wenn ein mobiler Besuch kommt, kann man alles schnell flexibel umbauen, dann lassen sich alle auf den flexiblen Möbeln nieder und unterhalten sich über ihre Mobilität. Leider ist meine Nachbarin kein flexibler, mobiler Mensch. Ich finde das gut, denn dann bleibt sie noch lange meine Nachbarin und bekocht mich mit wunderbaren Dingen. Aber man hat es manchmal nicht leicht in einer Welt, in der man zwischen dem beigen Polstertod und der möbelgewordenen Rastlosigkeit wählen muß.
NW, Coubusier geht doch immer,...
NW, Coubusier geht doch immer, oder? Wenn es nicht gerade in Kombination äußerster Seelenlosigkeit vorkommt, kahle Wohnung, monochrome Gemälde, leere Regale mit hier und da einem Büchlein oder Objektdings drin. Edwardian ist fein. Mein Kleiderschrank ist Edwardian (also, eigentlich ist es ein Garderobenschrank, aber er hat den praktischen Ganzkörperspiegel).
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Julius, hieß das nicht irgendwann mal Cocooning und ist der Trend der Achtziger, Neunziger bis jetzt und in die verlängerte Zukunft hinein?
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Kleinerberg, da haben Sie mein aufrichtiges Mitleid. Ich hoffe, Kacheltisch und Sofadreier sind mittlerweile den Weg aller ungeliebten Möbel gegangen.
Andrea, ja, Cocooning - das...
Andrea, ja, Cocooning – das hatte zuerst etwas mit Zuhauseistesamschönsten und böseweltbleibdraußen zu tun. Was heute hinzu kommt: die Annäherung an den Kinder-Ruheraum, der Regression ja generieren will, wird immer sichtbarer. Vermutlich war schon das Sofa des Biedermeier Rückzugsraum, Plauder- und Denkwinkel. Was eben neu ist: die Anleihen ans kindlich-kindische. Mehr als die Flucht aus der Welt gestaltet heute die Flucht aus dem Erwachsensein.
Form follows function. Die...
Form follows function. Die klassizistischen Sofas oben sind eben für Gesprächskultur gedacht, die es nicht mehr gibt. Von den Abmessungen her würden sie mir gefallen, von der Bequemlichkeit her nicht. Ich brauch was zum lümmeln. Und zwar primo in der Bibliothek und secundo vor dem Fernseher. Ja, ich geb’s zu, ich bin ein Kulturbanause und hab ein Flachbildschirm. Wie will man sonst anständige Filme sehen? Im Kintopp in meiner Nähe kommt diese Woche „Final Destination 4“, auf meinem Fernseher läuft „Frost/Nixon“ und „Die Herzogin“. Da ist die Wahl nicht schwer und ein Sofa braucht es. Natürlich keine Ecke und keine Landschaft, ein Zweisitzer reicht völlig. In der Bibliothek ist es schwerer und da kann ich der Nachbarin nachfühlen. Sofas mit kleinen Abmessungen sind so rar wie ein sympathischer Politiker. Unter einer Breite von 1,80 m geht fast gar nichts. Ich brauche aus Platzgründen 1,40 oder so und da gibt es fast nichts. Also bin ich auch beim Schweden gelandet. Das Ding besteht aus ein paar nackten Holzleisten und ein paar großen Kissen und hält und hält und hält. Ist natürlich nichts fürs Auge. Aber da es sonst schlicht zugeht, paßt es dazu.
@julius:
feiner...
@julius:
feiner kommentar.
[und grüße von einer nachbarin des psb: prenzlauer „snoezel“-berges.]
In der Tat, Frau Diener,...
In der Tat, Frau Diener, Puppen sind dann die höheren Weihen der Sofa-Apps, womöglich diese unsäglichen Porzellan-Stoff-Gewerke. Sozusagen der Altar der Heimbastler. Im übrigen möchte ich hierzu passend die dazugehörige Teppichfransenpflege erwähnen, die eine ebensolche Hingabe erfordert. Deren Betreiber schauen ihren Besuchern sorgsam leidend auf die Füße, ob sie denn Vorsicht beim Überschreiten derselben walten lassen.
Ich habe mir dieses Jahr ein...
Ich habe mir dieses Jahr ein neues Sofa gekauft und weiß daher wie schwierig es ist etwas geschmackvolles zu finden. Die großen Möbelketten bieten alle „Einheitsbrei“ an, schlechte Stoffe, häßliche Muster, undefinierbare Farben (beige ist da manchmal noch das Beste). In einem Fachgeschäft für Stilmöbel bin ich dann fündig geworden (ein einfarbiges Hussensofa), aber das hatte auch seinen Preis. Es ist wirklich schwierig etwas individuelles zu finden.
Vielen Dank für die Fotos der antiken Möbel.
Nico, ich kenne das. Bei...
Nico, ich kenne das. Bei meinen Eltern mache ich immer ganz komische Kreuz- und Querschritte, um die Parallelität der Fransen nicht aus dem geometrischen Gleichgewicht zu bringen. Da muß man immer schauen, wo man hintritt. Und ohne Gästepantoffeln, die in allen Größen bereitgehalten werden, geht sowieso nichts. Ist halt noch ganz alte Schule.
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Sabineffm, die antiken Rokkokomöbel können Sie in Frankfurt besichtigen, im Großen Hirschgraben, keine fünf Minuten von der Hauptwache weg. Aber was ein echter Frankfurter ist, der geht da ja nie hin. (Gleich um die Ecke ist der Laden mit der Plüschtrophäensammlung, der passenderweise KONTRAST heißt.)
Ich muß schon sagen, ich habe...
Ich muß schon sagen, ich habe die Erwähnung des Begriffs Ottomane vermißt.
Julius, ich seh schon: Am Ende...
Julius, ich seh schon: Am Ende wollen wir alle wieder Föten sein. Zurück in den warmen Mutterbauch, schon die Geburt war ein Fehler. Harte, kalte Welt dort draußen.
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Savall, es gab auch in früheren Zeiten Lümmelmöglichkeiten, Tagesbetten etwa, Ottomanen oder Récamièren. Die waren dann auch etwas zierlicher als die heutigen Klötze. Aber leider teuer, wenn man sowas sucht. Schlußendlich: Bei mir ist’s auch der Schwede geworden, Récamiére mit Gästebettfunktion (das ist ja auch wichtig).
<p>O.M. Piecha: Da haben wir...
O.M. Piecha: Da haben wir uns gerade überschnitten 🙂