Wie machen das die Italiener? Man kommt her, ein paar Meter über die Grenze, und es wird einem ganz sympathisch ums Herz. Alles atmet diese stilvolle Lässigkeit, nirgendwo scheint man sich sonderlich anzustrengen, außer morgens im Bad beim Herrichten der eigenen Person. Und die Städte natürlich, die alten Mauern, die rutschigen Eiersteinpflaster, die Brünnchen und Madonnenbildchen. Verona, Bergamo, wo man hinkommt, überall ragen in den Altstädten diese schmiedeeisernen Balkone aus dem Gemäuer. Es schnörkelt das Eisen und steinerne Balustraden stützen schwere Platten, tönerne Töpfe mit Pflanzen und Kakteen hängen am Geländer. Die Türen sind meist mit hohen Klappläden versehen, sodaß man die Sonne aussperren kann, was im Süden immer wichtig ist. Bemerkenswert ist, daß die Balkone zur Straße hin weisen, sogar direkt über der Straße hängen, also mitten im Trubel. Und es sind keine Schaubalkone, es sind Balkone, die benutzt werden, auf denen Menschen sitzen und nicht nur Getränkekisten lagern. Natürlich hängt dort auch Wäsche. Im Süden hängt immer irgendwo Wäsche draußen.
Auch bei neueren Gebäuden schaut man durchaus gern nach vorne heraus, einige Häuser sind sogar völlig von Balkongeländern umringt. Die Straße ist nichts, von dem man sich abschottet, sie ist Kommunikationszentrum und öffentlicher Raum, und der italienische Balkon ein Stück Wohnung, das die Teilhabe an der Öffentlichkeit erlaubt, ohne das Haus zu verlassen. Vor allem für die älteren Herrschaften, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, ist das ein immenser Vorteil. Man bekommt alles mit.
In Deutschland ist das etwas anders. Hier ist der Balkon eher ein Stück Waldeinsamkeit, das einen Rückzug an der frischen Luft erlaubt, ohne die Wohnung zu verlassen. Die Tätigkeit des Draußensitzen scheint zwar auf den ersten Blick die gleiche, doch das deutsche Draußensitzen unterscheidet sich fundamental vom italienischen Draußensitzen. Balkone werden umgittert, berankt und mit Sichtschutzmaßnahmen versehen, außerdem weisen sie selten zur Straße hin. Man sitzt lieber rückwärtig, mit Blick aufs Grüne, und dort allein und unbeobachtet. Balkonien ist schließlich ein Ort, an dem man zur Not sogar Urlaub machen kann.
Und auch im Urlaub gehört ein Balkon zwingend dazu. Noch die fieseste, betongegossene Bettenburg bietet ihren Gästen Balkon mit dickem Sichtschutz zum Nachbarn hin, wie Bienenwaben sehen diese Häuser aus, ein Zimmer mit Balkon wie das nächste, die reine, monotone Struktur. Ganz anders dagegen die Berghotels mit den klotzigen hölzernen Jodelbalkons, dem Inbegriff alpiner Tourismusarchitektur. Und je alpiner das Hotel, desto fetter wuchern die Geranien. Der europäische Hängegeraniengürtel beginnt ungefähr bei Aschaffenburg mit dem Übertritt über die bayerische Grenze und reicht bis Südtirol hinunter. Weiter südlich greift man gern zu hitzebeständigeren Pflanzen, nördlich ist man einfach nicht so orthodox. Vor allem im mediterranen Raum kann die Bepflanzung ruhig auch lückenhaft sein, während der alpine Geranienbalkon unbedingt eine makellose rotgrüne Wulst aufweisen muß. Kenner lesen daran auch die Qualität des Hauses ab.
Zurück zum deutschen Wohnbalkon. Traditionell unterschied man zwischen dem Schmuckbalkon, dem klassischen historistischen Eisenmonster, das die Fassade mit herrschaftlicher Grandezza aufhübschte, ansonsten aber keinerlei Funktion hatte. Er stammt von den Balkons ab, die an Schloßfassaden Architekturelemente bilden, aber vermutlich nie betreten wurden. Dann gibt es im Wohnungsbau noch den Wirtschaftsbalkon, der lag auf der Rückseite des Hauses zum Hof hin und wurde auch benutzt, etwa zum Kartoffelschälen oder Wäschetrocknen. Erst mit dem neuen Bauen in den Dreißiger Jahren und erst recht mit dem Mietswohnungsbau nach dem Krieg gehörte der Balkon dann zu jedem Neubau dazu – aber eine Trennung gab es nicht mehr. Man saß dort an schönen Tagen, und gleichzeitig dienen sie als Ausweis eigener Geranienpflegekompetenz. Man hänge noch ein bißchen rustikalen Nippes dazu, geschnitzte Wurzelzwerge, Wagenräder und Geweihe, fertig war der Freisitz.
Auch den Wohnungsbau der Sechziger und Siebziger Jahre macht der Balkon mit. Er bietet nicht zuletzt auch eine Möglichkeit, an den anonymen Außenfassaden der Hochhäuser und Wohnblocks individuelle Duftmarken zu hinterlassen. Die Bepflanzung, die Farbe des Sonnenschirms, die Teilverglasung: So sieht man von unten gleich, wo man wohnt.
Leider hat der Gestaltungswille in der letzten Zeit ein wenig nachgelassen. Viele Menschen bepflanzen überhaupt nicht mehr, sondern nutzen ihre Balkone als Bierkeller oder Satellitenschüsselhalter. Fahrräder, Gartengrills, die mitunter auch vor Ort benutzt werden, Möbelfragmente, pralle Mülltüten gar finden sich dort als öffentliche Rumpelkammer für jeden sichtbar ausgestellt – sehr zum Ärger des Passanten, der gern mit erfreulicheren Anblicken konfrontiert wäre. Der gar nicht so schwer herzustellen ist. Man muß sich ja nicht gleich hinter einem alpinen Geranienwestwall verschanzen.
"Der europäische...
„Der europäische Hängegeraniengürtel beginnt ungefähr bei Aschaffenburg … Kenner lesen daran auch die Qualität des Hauses ab.“
Wunderbar beobachtet – der Lacher darüber hat mir den Tag gerettet 🙂
Hier und bei nahe verwandten...
Hier und bei nahe verwandten Blogs lese ich in den Kommentaren immer wieder: Satz x, Absatz y „hat mir den Tag gerettet“. Schön, wer das mit (Ab-)Sätzen kann. Nur frage ich mich, was das für Tage sein müssen, denen es an einfachster Rettung gebricht. Bleibt zu hoffen, dass noch viele Dinge aus der Welt des braven Bürgers defilieren. Schon der Rettung wegen.
Ferdinand, manche erfreuen...
Ferdinand, manche erfreuen sich an Sprache. Andere an bunten Bildchen. Woran auch immer Sie sich erfreuen, gehen Sie bitte dorthin, hellen Sie ihr frustriertes Gemüt auf und lassen Sie das kleinliche Diskreditieren meiner Leser.
Ich habe das redlich versucht,...
Ich habe das redlich versucht, das mit den Geranien, allerdings mit Petunien, weil ich Geranien nicht leiden kann. Jetzt weiß ich endlich, warum ich trotz größter Mühe und Sorgfalt gescheitert bin: ich lebe in Frankfurt, also außerhalb des Walls. Dies stimmt mich froh, denn nun bin ich nicht mehr in der Verantwortung und jegliche famliäre Lästerei in Bezug auf meinen nicht vorhandenen grünen Daumen von mir weisen.
@Ferdinand: Gründe, sich den...
@Ferdinand: Gründe, sich den Tag retten zu lassen gibt es genug: Der Himmel ist grau, es ist früh, man hat noch mehrere Stunden Arbeit vor sich und der Sommerurlaub auf den man sich freuen könnte ist vorbei… 😉 ich lasse mir hier jedenfalls genauso gerne wie P.Seudonym den Tag retten.
@Andrea Diener und jeden den es sonst interessiert:
Die Balkone meines in den 80ern erbauten Mietshauses sind auch so noch oben und zur Seite abgeschottete Beton-Bienenwaben, ich habe zum Glück ein bischen mehr Luft weil mein Balkon ganz oben ist über mir dann nur der freie Himmel und nicht der Boden der nächsten Bienenwabe ist.
Ich denke die italienisch-deutschen Balkonunterschiede haben vor allem mit dem Wetter zu tun, hierzulande erlaubt das Wetter das Draußensitzen eher selten. Daher wohl die Ersatznutzung als Abstellfläche… Was mir neulich in meinem Urlaub an der französischen Kanalküste auffiel: Dort gibt es in der landesüblichen traditionellen Architektur (die europaweit gleichen Plattenmietshäuser lasse ich mal aus) so gut wie gar keine Balkone, dafür baut sich aber jeder der kann irgendwie einen Wintergarten an.
Das ist wohl auf den Wind zurückzuführen, in der Normandie sieht man ab und an auch Telefonhäuschen in der landestypischen, unverwüstbar wirkenden Bruchsteinarchitektur mit 4-fach festgenagelten Schindeln. Wäre doch ein schönes Thema für eine Diplomarbeit: Korrelation von Balkon- und Wintergartendichte mit der Anzahl der Sonnenstunden und Windgeschwindigkeit…
wurde das Hotelbild der...
wurde das Hotelbild der balearischen Hauptstadt aufgenommen? Ich sah dort, als ich sie besuchte, ganz aehnliche monster – tuoristenherbergen. gruss
Sehr geehrte Damen und...
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich amüsiere mich köstlich ob des Synonymes „Ferdinand“ verfassten Textes. Obgleich offenbar verbittert und nahezu misanthropisch schließe ich mich völlig seiner Meinung an, erfreue mich an einem Text deren Urheber mit Leichtigkeit dieser Autor sein könnte.
Viele Grüße Frau Diener, Ihr Standpunkt ist verständlich.
Ach, Herr Ferdinand, ich...
Ach, Herr Ferdinand, ich könnte Ihnen mit Leichtigkeit einen Tag beschreiben, der der Rettung bedarf. Aber so etwas würde wirklich niemand hören wollen.
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Vom Rucksack zur Geranie ist ein weiter Weg, oder vielleicht auch nicht. Ich glaube, bei den italienischen Balkons funktioniert es auch deshalb so gut, weil es dort gewachsene Strukturen gibt. Wenn ich mir das vierte Bild anschaue, dann glaube ich zu sehen, wie schon die Urgroßmütter der beiden jetzigen Balkonbewohnerinnen sich dort gestritten und versöhnt haben. Oder denken Sie an die hübsche Szene im Ivory-Film „Zimmer mit Aussicht“, wo der Gemüsehändler aus dem vom Balkon heruntergelassenen Korb Bestellung und Geld nimmt und das Gemüse hineinlegt. So eine Szene kann man sich hierzulande nicht vorstellen. Die Balkone, von den Gründerzeit-Zierbalkonen abgesehen, sind doch zumeist an Neubauten mit ihrer Anonymität. Also, ich lege keinen gesteigerten Wert auf tiefergehende Bekanntschaft mit meinen Nachbarn und bin froh über die Wand dazwischen. Geraninen habe ich auch keine. Ich habe beschlossen, daß der Architekt mit der Balkongestaltung sich etwas gedacht hat und will nicht in sein Urheberrecht eingreifen. Allerdings hab ich eine Gartenbank für den Sonnenuntergang (Aus unbehandeltem Echtholz! Nicht von Ikea! Haha!)
Ich habe auch einen Balkon und...
Ich habe auch einen Balkon und eine Terrasse.
Der Balkon ist Teil des 2. Kinderzimmers welches noch nicht abschließend renoviert ist. Aber auf die Blumen die meine Frau mal an das Balkongeländer hängen wird freue ich mich jetzt schon …
Wie sie schon abschließend bemerkten, es wäre so einfach der Umwelt einen Farbtupfer mehr zu geben und das Auge zu erfreuen. Leider ist selbst das vielen schon zu viel.
Der monotone Feierabend vor dem Fernseher muss einfach zu verlockend sein.
Stimmt am Balkon oder der...
Stimmt am Balkon oder der Terasse lässt sich viel über die Kultur der jewiligen Gesellschaft sagen! Hat die Bessere gesellschaft eigentlich auch ihren Balkonstil oder nicht. Ich stelle mir das so vor wie im Winde verweht, fast so groß wie ein mitteldeutscher Garten und Platz für eine rauschen Tanznacht.
Was sagt der werte Begleiter dazu?