Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Waldeinsamkeit hinterm Geranienwall: Der Balkon

| 50 Lesermeinungen

In südlichen Ländern ist der Balkon eine an die Wohnung angeschlossene Öffentlichkeit. Doch je weiter man nach in den Norden kommt, desto verschanzter sitzen die Menschen hinter Geranienwällen und Rankgittern und hoffen auf ein Stückchen Abgeschiedenheit. Balkonien ist schließlich ein dem Alltag entrücktes Land.

Wie machen das die Italiener? Man kommt her, ein paar Meter über die Grenze, und es wird einem ganz sympathisch ums Herz. Alles atmet diese stilvolle Lässigkeit, nirgendwo scheint man sich sonderlich anzustrengen, außer morgens im Bad beim Herrichten der eigenen Person. Und die Städte natürlich, die alten Mauern, die rutschigen Eiersteinpflaster, die Brünnchen und Madonnenbildchen. Verona, Bergamo, wo man hinkommt, überall ragen in den Altstädten diese schmiedeeisernen Balkone aus dem Gemäuer. Es schnörkelt das Eisen und steinerne Balustraden stützen schwere Platten, tönerne Töpfe mit Pflanzen und Kakteen hängen am Geländer. Die Türen sind meist mit hohen Klappläden versehen, sodaß man die Sonne aussperren kann, was im Süden immer wichtig ist. Bemerkenswert ist, daß die Balkone zur Straße hin weisen, sogar direkt über der Straße hängen, also mitten im Trubel. Und es sind keine Schaubalkone, es sind Balkone, die benutzt werden, auf denen Menschen sitzen und nicht nur Getränkekisten lagern. Natürlich hängt dort auch Wäsche. Im Süden hängt immer irgendwo Wäsche draußen.

Bild zu: Waldeinsamkeit hinterm Geranienwall: Der Balkon

Auch bei neueren Gebäuden schaut man durchaus gern nach vorne heraus, einige Häuser sind sogar völlig von Balkongeländern umringt. Die Straße ist nichts, von dem man sich abschottet, sie ist Kommunikationszentrum und öffentlicher Raum, und der italienische Balkon ein Stück Wohnung, das die Teilhabe an der Öffentlichkeit erlaubt, ohne das Haus zu verlassen. Vor allem für die älteren Herrschaften, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, ist das ein immenser Vorteil. Man bekommt alles mit.

In Deutschland ist das etwas anders. Hier ist der Balkon eher ein Stück Waldeinsamkeit, das einen Rückzug an der frischen Luft erlaubt, ohne die Wohnung zu verlassen. Die Tätigkeit des Draußensitzen scheint zwar auf den ersten Blick die gleiche, doch das deutsche Draußensitzen unterscheidet sich fundamental vom italienischen Draußensitzen. Balkone werden umgittert, berankt und mit Sichtschutzmaßnahmen versehen, außerdem weisen sie selten zur Straße hin. Man sitzt lieber rückwärtig, mit Blick aufs Grüne, und dort allein und unbeobachtet. Balkonien ist schließlich ein Ort, an dem man zur Not sogar Urlaub machen kann.

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Und auch im Urlaub gehört ein Balkon zwingend dazu. Noch die fieseste, betongegossene Bettenburg bietet ihren Gästen Balkon mit dickem Sichtschutz zum Nachbarn hin, wie Bienenwaben sehen diese Häuser aus, ein Zimmer mit Balkon wie das nächste, die reine, monotone Struktur. Ganz anders dagegen die Berghotels mit den klotzigen hölzernen Jodelbalkons, dem Inbegriff alpiner Tourismusarchitektur. Und je alpiner das Hotel, desto fetter wuchern die Geranien. Der europäische Hängegeraniengürtel beginnt ungefähr bei Aschaffenburg mit dem Übertritt über die bayerische Grenze und reicht bis Südtirol hinunter. Weiter südlich greift man gern zu hitzebeständigeren Pflanzen, nördlich ist man einfach nicht so orthodox. Vor allem im mediterranen Raum kann die Bepflanzung ruhig auch lückenhaft sein, während der alpine Geranienbalkon unbedingt eine makellose rotgrüne Wulst aufweisen muß. Kenner lesen daran auch die Qualität des Hauses ab.

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Zurück zum deutschen Wohnbalkon. Traditionell unterschied man zwischen dem Schmuckbalkon, dem klassischen historistischen Eisenmonster, das die Fassade mit herrschaftlicher Grandezza aufhübschte, ansonsten aber keinerlei Funktion hatte. Er stammt von den Balkons ab, die an Schloßfassaden Architekturelemente bilden, aber vermutlich nie betreten wurden. Dann gibt es im Wohnungsbau noch den Wirtschaftsbalkon, der lag auf der Rückseite des Hauses zum Hof hin und wurde auch benutzt, etwa zum Kartoffelschälen oder Wäschetrocknen. Erst mit dem neuen Bauen in den Dreißiger Jahren und erst recht mit dem Mietswohnungsbau nach dem Krieg gehörte der Balkon dann zu jedem Neubau dazu – aber eine Trennung gab es nicht mehr. Man saß dort an schönen Tagen, und gleichzeitig dienen sie als Ausweis eigener Geranienpflegekompetenz. Man hänge noch ein bißchen rustikalen Nippes dazu, geschnitzte Wurzelzwerge, Wagenräder und Geweihe, fertig war der Freisitz.

Auch den Wohnungsbau der Sechziger und Siebziger Jahre macht der Balkon mit. Er bietet nicht zuletzt auch eine Möglichkeit, an den anonymen Außenfassaden der Hochhäuser und Wohnblocks individuelle Duftmarken zu hinterlassen. Die Bepflanzung, die Farbe des Sonnenschirms, die Teilverglasung: So sieht man von unten gleich, wo man wohnt.

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Leider hat der Gestaltungswille in der letzten Zeit ein wenig nachgelassen. Viele Menschen bepflanzen überhaupt nicht mehr, sondern nutzen ihre Balkone als Bierkeller oder Satellitenschüsselhalter. Fahrräder, Gartengrills, die mitunter auch vor Ort benutzt werden, Möbelfragmente, pralle Mülltüten gar finden sich dort als öffentliche Rumpelkammer für jeden sichtbar ausgestellt – sehr zum Ärger des Passanten, der gern mit erfreulicheren Anblicken konfrontiert wäre. Der gar nicht so schwer herzustellen ist. Man muß sich ja nicht gleich hinter einem alpinen Geranienwestwall verschanzen.


50 Lesermeinungen

  1. ziemlichgut sagt:

    liebe andrea diener.

    ein...
    liebe andrea diener.
    ein vorhandener balkon Uund seine aussicht) ist bei meinen wohnungssuchen bisher immer kriterium nummer eins gewesen, noch vor badewanne und gesamtgröße 😉 ich liebe einfach diesen zwischenraum zwischen innen und aussen und blick ins grüne. auch im winter wird mein balkon (mit einer heissen tasse tee in der hand) gern von mir besucht.
    vielen danke für eine diese folge ihres überaus lesenswerten blogs!

  2. ... uiuiui Ihr Blogger seid...
    … uiuiui Ihr Blogger seid aber auch empfindlich, der kleinste Hauch Kritik, schon ruelpst es ein „gehen Sie bitte dorthin“. Wie waere es mit ein wenig Abstand? Und Leichtigkeit? Da geht doch was … bin mir fast sicher.

  3. lina sagt:

    @ferdinand, ja, rettung...
    @ferdinand, ja, rettung scheint überall gefunden werden zu können. als
    „frustriert“ kann ich ihre zeilen nicht empfinden, das muss eine diener-spezifische definition sein.
    danke

  4. RalleRalunke sagt:

    Hut ab, Frau Diener!
    Mit Ihrem...

    Hut ab, Frau Diener!
    Mit Ihrem Artikel haben Sie es dem deutschen Spießer aber mal wieder so richtig gezeigt. Was ist schon das muffige Teutonentum gegen italienische Sprezzatura?
    Also: Heizpilze ‚raus und dann wollen wir mal sehen, wer hier der bessere Italiener ist!

  5. boreer sagt:

    - ja verehrte Frau Diener Sie...
    – ja verehrte Frau Diener Sie schreiben so schön, dass zu lesen ist Balsam auch für mich; wenn hier mal nichts steht, dann erfreue ich mich an Ihrem Privatblog

  6. Ferdi sagt:

    Interessanterweise hatte ich...
    Interessanterweise hatte ich unabhängig den gleichen Gedanken wie Ferdinand.
    „hat mir den Tag gerettet“ – Was für eine alberne Aussage.

  7. Raffy Ryff sagt:

    "Weiter südlich greift man...
    „Weiter südlich greift man gern zu hitzebeständigeren Pflanzen (…)“. – Ecco! wie der Italiener sagt. Da haben wir’s. Was bestimmt die Bepflanzung unserer Balkone? Was bestimmt die Attrativität des eigenen Balkons? Und was lässt alte Südländer übers Geländer rufen? – Ja, das Klima. Unser gutes altes Klima. Im Süden lässt sichs angenehmer draussen hocken und parlieren, wenns schön warm ist. Dafür bleibt hier das Bier auf dem Balkon schön kühl. So hat alles zwei Seiten. Und wenn sich das Klima weiter erhöht, löst sich auch das Geranienproblem von selbst. Auguri!

  8. Anke sagt:

    Andrea Diener,
    Vielen Dank...

    Andrea Diener,
    Vielen Dank fuer Ihr Rebuttal eines frustrierten Noergerers.
    Ihre Sprache hat mich sehr erfreut,

  9. farnpflanze sagt:

    Werter Ferdinand,

    nach Ihrer...
    Werter Ferdinand,
    nach Ihrer freundlichen ingérence werde ich von nun an direkt zur Formulierung „meinen Tag gemacht“ greifen.
    Ich rufe hiermit zur Verunreinigung der Deutschen Sprache auf!
    Gegen verbiesterte, moralisierende, spießige, anti-liberale, historisierende, normative, willkürliche, authentizistische, lame Sprachblockwartereien.
    Es leben Anglizismen, Denglish, Gallizismen, Gräzismen, Hebräismen, Jiddismen, Latinismen, L337 und sämtliche Erweiterungen, Umbauten und Veränderungen der Deutschen Sprache.
    Mein Mind, meine Main und mein Mund gehören mir!
    Sie – Herr Ferdinand – dürfen schreiben, reden und denken wie Sie wollen. Aber ich auch!

  10. Der Gärtner sagt:

    Liebe Frau Diener,
    Ihnen...

    Liebe Frau Diener,
    Ihnen scheint das Wetter in Stresa auf’s Gemüt geschlagen zu haben. Lassen Sie doch ein paar Kommentare zu die Ihnen vielleicht nicht behagen. Sonst wird’s totenstill im Blog.
    Mit besten Grüssen
    G.

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