Regentage im Urlaub haben ihre ganz eigene Magie. Nach dem ausgedehnten Frühstück tut man erst so, als sei nichts, man geht nach draußen in die schöne Gegend, von der man zwischen Pfütze und Schirmunterkante nicht viel mitbekommt, schließlich kann man die Tatsache fortschreitender Durchnässung nicht weiter ignorieren, begibt sich still resignierend zur Unterkunft zurück und verbringt den Tag entweder im Zimmer oder in der Hotellobby.
Ich für meinen Teil bevorzuge den öffentlichen Teil des Hotels, weil man dann wenigstens in Ansätzen das Gefühl hat, draußen und unter Menschen zu sein. Ich mag auch diesen halböffentlichen, salonartigen Ort, der im Gegensatz zum Restaurant oder Café nicht zum Verzehr verpflichtet. Man kann dort herumsitzen und plaudern, man kommt mit anderen Leidensgenossen lose ins Gespräch. Und vielleicht holt man dann noch die Rommékarten heraus.
Vermutlich ist der Urlaub das letzte Refugium des guten alten Gesellschaftsspiels, das sich im 18. Jahrhundert anschickte, Konversationslöcher zu füllen und Hände zu beschäftigen. Nicht zu verwechseln sei es mit dem Glücksspiel, bei dem es um etwas geht, um Geld normalerweise, um Ruin und um Existenzvernichtung. Nein, das Gesellschaftsspiel führt Menschen gemeinsam an einen Tisch, die sich dort für eine gewisse Zeit freiwillig Regeln unterwerfen, die sie nicht gemacht haben, Steinchen oder Karten herumschieben, Zahlen um die Wette aneinanderreihen – und das Ganze auch noch zum reinen Spaß an der Freude. Und auch ein bißchen, um zu gewinnen, aber nichts Materielles, sondern einfach nur die Erkenntnis, daß man der beste Steinchenherumschieber oder Zahlenaneinanderreiher am Tisch ist.
Das Schöne an klassischen Spielen ist, daß man auch mit völlig fremden Menschen sofort einen gemeinsamen Nenner hat. Wenn abgeklärt ist, ob man Rommé mit oder ohne Klopfen spielt, ist auch schon alles Nötige entschieden. Die Karten passen in eine Westentasche und könne praktischerweise überall dabeisein. Und niemals ist ein Akku leer. Spielen ist auch etwas, was über alle Altersgrenzen hinweg funktioniert: Siebenjährige, Siebzehnjährige und Siebzigjährige können wenig gemeinsam haben außer einer Partie Halma. Und meiner Erfahrung mit Tanten und Großmüttern nach gewinnt üblicherweise die Siebzigjährige.
Ich weiß nicht genau, wie sie das machen: Aber meine Tante war im Rommé unschlagbar, meine Großmutter die Meisterin des Halma- und Mühlespiels. Dieses nonchalante Grinsen, wenn sie wieder eine Zwickmühle installiert hatte und sich anschickte, mich meiner sämtlichen Steine zu berauben, das bleibt mir ewig im Gedächtnis. Von Großmüttern lernen, das heißt zunächst einmal verlieren lernen. Und wenn man sie lange genug beobachtet, lernt man siegen.
Spiele eröffnen aber auch die Konfrontation mit anderen Kulturen. In einer Hotellobby an einem verregneten Tag lernte ich von einer Schwäbin Binockel mit altdeutschen Karten, und auf einer langen Zugfahrt bekam ich von meiner italienischen Freundin und ihrem Vater Briscola und Scopa beigebracht, was man mit neapolitanischen Karten spielt. Alle diese Spiele verstand ich, Rommé verstand ich zunehmend gut, nur eins verstand ich nie: Skat.
Skat war das Spiel, was mein Klassenlehrer auf der Klassenfahrt spielte, weshalb immer ein zweiter Lehrer mitkommen mußte und keine weibliche Lehrerin, wie es eigentlich Vorschrift ist, und diese beiden hatten sich zwei etwas seltsame, weitgehend unbeliebte Schüler dazugeholt, um eine Viererrunde zu bilden. Wir fuhren nach München und tranken uns dort von Kloster zu Wirtshaus und wieder zurück (ein Glas dürfen wir, hieß es, aber so eine Maß ist ganz schön viel), während die Viererrunde zusammensaß und Skat spielte. Das Kulturprogramm bestand darin, an einem Vormittag fünf Kirchen abzulaufen, dann war am Nachmittag mehr Zeit zum Skatspielen. Skat blieb für mich ewig das Spiel der seltsamen, unbeliebten Schüler. Die Genialen spielten ja Schach.
Doch es wird noch seltsamer, wenn man sich in die Gegenwart begibt. Anstatt ein kleines Päckchen Spielkarten mitzunehmen, schleppen Spielwütige heute elektronische Kästchen mit sich herum, die Töne machen und Strom brauchen. Abgesehen von den tragbaren Spielkisten kommt heute kein elektronisches Gerät mehr ohne Spiel aus: Mit dem iPod kann man spielen, mit dem Handy, mit dem Computer sowieso. Überall in den Foyers der Republik sitzen die Empfangsdamen und legen verbotenerweise virtuelle Patiencen, um Zeit totzuschlagen. In den S-Bahnen sitzen die Schüler und klicken auf ihren Telefonen herum. Wartezeit wird damit verkürzt und sich abgelenkt. Der gesellschaftliche Aspekt, den das Gesellschaftsspiel einmal hatte und das seinen Namen prägte, ist mittlerweile kaum mehr erkennbar.
Überall wird gespielt auf Teufel komm raus, aber immer alleine gegen den Computer, nicht gegen Tanten oder Großmütter. Wie unschlagbar der Computer sein soll, kann man einstellen, und er grinst nicht einmal nonchalant, wenn er einen besiegt. Vermutlich können Kinder damit taktisches Denken lernen und Probleme zu lösen, was bestimmt gut ist für den Weltmarkt. Aber was sie nicht lernen können, das ist, gegen einen anderen zu verlieren.
Geniales Thema...mitten ins...
Geniales Thema…mitten ins Herz einer recht entfremdeten Gesellschaft.
Ich denke, dass Gesellschaftsspiele wieder kommen werden, quasi kommen müssen. Wer sie lange nicht mehr gespielt hat und dann wieder einmal an einem schönen Abend mit einigen lieben Menschen vor einem Brett oder ein paar Spielkarten sitzt, der weiss, was er in den letzten Jahren verpasst hat.
Ich werde demnächst wieder im Speisewagen in Richtung Süden sitzen und die Rommékarten neben dem kleinen, feinen Fensterlichtlein auspacken….Kartenspiel & Gespräche nebst vorbeiziehender Landschaft…was soll da noch schiefgehen? Ich freu mich drauf.
Lange habe ich nich gespielt-...
Lange habe ich nich gespielt- aber dann, nach einigen Jahren, 3 oder 4 mögen es gewesen sein, es im Kreise einiger guter Freunde wieder entdeckt.
Daraus wurde sogar eine monatliche Einrichtung, genannt der Sandwichsamstag. Gutes Essen, tolle Getränke und danach eine runde Hansopoly (eine Anlehnung an meinen Namen mit eigens für mich gestalteten Karten und STraßen : ) oder Siedler von Catan. Auch schlichte Spiele wie das verrückte Labyrinth stehen regelmäßig auf dem Plan.
Und eben komme ich aus der Kneipe – ein guter Freund, einer der besten, seit 2 Jahren nicht in Deutschland gewesen, kam und wir spielten Karten. Den ganzen Abend, als wäre gestern das letzte Treffen gewesen. Denn genau damit wurden die Pausen ueberspielt, die entstehen, wenn man sich 2 Jahre nicht sieht.
Es war fabelhaft.
Ich liebe Gesellschaftsspiele. Kartenspiele. Würfelspiele.
Sie können wirklich...
Sie können wirklich briscola??
Respekt! Ein sehr schönes Kartenspiel, das bei den Einheimischen immer zu sehr erhitzten Gemütern führt, die dann aber gleich wieder umschlagen in die südländische Unbeschwertheit, wenn der Verlierer die Runde ausgibt!
Und wie steht es mit dem...
Und wie steht es mit dem größten Popkulturexortschlager Deutschlands überhaupt, dem deutschen Brettspiel? „German Games“ ist in Brettspielkreisen ja eine eigene Kategorie.
Hach ja, frueher war einfach...
Hach ja, frueher war einfach alles besser, man schrub ja auch seine Gedanken nicht in irgendwelche vollelektrischen Datenbanken die jeder einsehen konnte sondern sehr privat auf handgeschoepftes Buettenpapier in diese wunderbar schweinslederngebunden Tagebuechlein. Die vergassen dann auch all die kleinen Gedanken nicht wenn der Strom ausfiel oder im Rechenzentrum ein Grossfeuer wuetet und der anschliessende restore run in die Hose geht. Hach ja, frueher ….
Wir hatten immer ganze...
Wir hatten immer ganze Familiennachmittage mit Kartenspielen. Jeder hatte sein Kästchen Spielgeld. War toll.
Skat habe ich auch nicht gelernt. Immerhin haben mit meine urbajuwarischen Freunde versucht, das „Watten“ näherzubringen. Das haben wir dann auch zum Teil unter der Bank in der Schule gespielt. Und einmal peinlicherweise im Hinterzimmer der Kirche während eines Gottesdienstes, der allzu langweilig war. Da hat uns dann die Pfarrersgattin erwischt. Die fand irgendwie nicht, dass es eine Bereicherung unserer kommunikativen Fähigkeiten war.
miner, Kartenspiel und...
miner, Kartenspiel und Speisewagen ist wirklich ziemlich unschlagbar. In den meisten Zügen, in denen ich fahre, gibt es nur so Stehbistros mit einsamen Biertrinkern. Aber selbst wenn sich Familien um Tische versammeln, seh ich seltsamerweise nur selten welche, die spielen. Nur einmal, da spielten welche Autoquartett.
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Tschonnie, das verrückte Labyrinth ist eine meiner Paradedisziplinen. Ganz wunderbares Spiel, paßt aber leider auch nicht in die Hosentasche. Da muß man sich dann wirklich verabreden auf einen Abend. Jetzt kommen ja wieder diese fiesen, langen, dunklen Winterzeiten.
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Don Ferrando, Briscola noch ganz gut, Scopa hab ich so ziemlich vergessen. Aber das steht ja heute alles in diesem Internet, ungeheuer praktische Sache.
Sehr, sehr schönes Thema!
Bei...
Sehr, sehr schönes Thema!
Bei meiner Oma ist stundenlanges Rommé seit jeher an der Tagesordnung, auch daheim oder mit Gästen spielen wir (25) analog: Carcassonne (mit einigen Erweiterungen), Alhambra, zuweilen auch Scrabble etc.
Nur in einem Punkt muss ich Frau Diener wdersprechen: Der behauptete respektive implizierte Verlust des gesellschaftlichen Aspekts durch Computerspiele.
Man mag LAN-Parties für bizarr halten (Freunde von mir haben damit ganze Ferien verbracht), man mag an Online-Spielen (sowohl reine Exemplare wie World of Warcraft als auch den Multiplayer-Modus von Strategie- oder Actionspielen wie Starcraft oder Call of Duty) die physische Nähe vermissen, aber wenig ist „Hardcore“-Computerspielen so wichtig wie ein schöner Mehrspielermodus (wie ich noch aus meiner Zeit als leitender Redakteur einer Spielezeitschrift weiß 😉 ).
Natürlich, beim Warten in der U-Bahn spielt man eher alleine mit dem iPod – allerdings hätte wohl auch früher niemand mal eben schnell das Reise-Mensch-ärgere-dich-nicht herausgeholt. Und oft finde ich es auch überraschend, wenn zwei (unbekannte!) Menschen im Zug sich schnell zu einer Multiplayer-Partie auf ihren Notebooks oder Nintendo DS verabreden…
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Schauderhaft, es könnte doch in die Tasche passen. Ne ne ne, dann lieber für kalte Winterabende verabreden.
Auch schön ist es übrigens in eine Bar der gehobenen Gastronomie ein Köfferchen mit einem Backgammon mit zu nehmen, einen Gin Tonic oder einen Wein zu ordern, den Koffer auszupacken und los zu spielen. Mit Anfang 20 ist man sich der Blicke der Nachbartische sicher 🙂
auxtroisglobes, moderne...
auxtroisglobes, moderne Brettspiele haben ihre Liebhaber und werden sie immer haben. Da hab ich gar keine Bedenken. Mir ging es jetzt eher um die Klassiker, die auf Anhieb so gut wie jeder kann, und die man seiner Großmutter nicht erst beibringen muß.
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Triangelvirtuose, da haben Sie jetzt aber grandios das Thema verfehlt.
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Ju, im Gottesdienst und unter der Schulbank hatte ich eine begeisterte Käsekästchenpartnerin. Wir haben das im Laufe der Zeit zu einiger Virtuosität getrieben, und man braucht dafür nur zwei Stifte und ein Blatt Karopapier. Unauffälliger geht es nicht.