Man kann es ja leider nicht übersehen, weil man auf allen Kanälen damit zugeschüttet wird, wobei es die angeblich überregionale Tageszeitung aus München auf ihrer Website am Dollsten treibt: Die schlimmsten Wiesn-Sünden, der Wiesn-Knigge, Typologie der Wiesn-Zelte, Wiesn von A-Z, After-Wiesn-Locations, Promis auf der Wiesn, die schönsten Wadln auf der Wiesn, und alles das als mindestens zwanzigteilige Klickfalle. Und natürlich die schönsten Dirndl, als Bildstrecke in, richtig, zwanzig Teilen. Das Adjektiv, das all das entschuldigen soll, lautet zünftig.
Aber wo kommt es her, das Dirndl? Es entstammt der bäuerlichen Arbeitsbekleidung, und als solches soll es immer wieder naturzugewandte Einfachheit und die Nähe zu Kuh und Alm demonstrieren, ganz ähnlich wie die Schäfertrachten im 18. Jahrhundert. Aber dort auf dem Land sind die Trachten nicht entstanden, denn die Bauern kopierten oft mit ihren Mitteln höfische oder städtische Kleidung, eigneten sich die Mode der Städter an und machten sie zu dem, was heute als Volkstracht bekannt ist und was eigentlich so etwas ist wie eine Momentaufnahme des Kleidungsverhaltens einer bäuerlichen Gemeinschaft irgendwann im 19. Jahrhundert. Denn Tracht ist nicht nur ein regionales Phänomen, es ist auch zeitliches und eins des Standes und der gesellschaftlichen Stellung. Und nicht nur in der Stadt, auch auf dem Land gab es Modeströmungen, auch wenn sie viel langsamer und abgeschwächter vonstatten gingen. Es ist also alles nicht so einfach.
Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts förderte die bayerische Obrigkeit das Tragen von Tracht, um das Nationalgefühl der Untertanen zu stärken – die Debatte einer Nationaltracht ist aber keine rein bayerische oder süddeutsche, sondern nahezu in ganz Europa zu finden. Das erste Münchner Oktoberfest im Jahre 1810 fand anlässlich der Hochzeit von Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese statt, damals war die Veranstaltung noch eine Mischung aus Pferderennen und Olympiade – der Antikenbegeisterung des Kronprinzen geschuldet. Auch damals schon wurde ein Umzug mit Kinder-Trachtengruppen für das Kronprinzenpaar organisiert, und zwar durch einen Verwaltungsjuristen namens Felix Joseph Lipowsky, der sich auch als Herausgeber einer Grafikreihe mit Abbildungen von Landestrachten hervortat. Was authentisch war, bestimmte er: Möglichst ländlich, möglichst althergebracht. So sollte sich das Volk im Kostüme vereint fühlen, und der Regent gab sich in Tracht gekleidet volksnah. Der zweite Oktoberfest-Trachtenumzug kam erst 1835 dazu, nun auch mit erwachsenen Trachtenträgern, der dritte 1895, und erst seit 1950 ist er obligater Bestandteil des Festes.
Wo bleibt das Dirndl? Beginnen wir mit einer Definition: Das Dirndl ist ein Mädchen oder eine Magd, die dem Dirndlgewand ihren Namen lieh – und zwar ungefähr im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, vorher sprach man vom Heugwand, was auf eine Arbeitskleidung hinweist. Dieses Dirndlgewand ist ein Kleid, eng geschnitten, mit angesetztem Rock und einer Schürze dazu. Der Ausschnitt kann weit sein, wie heutzutage im Festzelt oft demonstriert wird, aber auch ganz hochgeschlossen. Unter dem ärmellosen oder kurzärmeligen Kleid trägt man eine Bluse, es gibt aber auch Winterdirndl mit langen Ärmeln. Der Stoff ist üblicherweise Baumwolle, Leinen oder Wolle. Das Verbreitungsgebiet ist unscharf, aber ungefähr der Münchner Raum, teilweise nach Süden hin ausfransend.
Und jetzt kommen die Touristen: Nach der Adaption städtischer Moden durch die Bauern im 18. Jahrhundert schwappte das einfache Arbeitskleidchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich wieder zurück in die Städte, denn hier wurden gerade fröhlich Alpenvereine gegründet. Man pflegte sich als Alpintourist gern mit romantischen Insignien der Heimatliebe zu umgeben. Aber diese Bestrebungen hatten nicht nur die Städter, denn auch auf dem Land erkannte man zunehmend das Potential der Trachten, nicht nur für den Tourismus, aber auch. Und natürlich gründete man sofort auch Vereine, die man Gebirgstrachten-Erhaltungsvereine nannte. Die Tracht wurde zum Festtagsgewand für Dörfler, und das Dirndl zum Standardgewand der Sommerfrischlerin, besonders die Miesbacher Tracht wirkte dabei stilbildend, und trat von München und Salzburg aus einen Siegeszug durch die bürgerlichen Schneidereien an. Und was die Mode erst einmal in den Klauen hat, das verwurstet sie bis zur Unkenntlichkeit: Details der überlieferten Volkstracht werden als Versatzstücke behandelt und zu einem Gewand arrangiert, das vage volkstümelnd Traditionsverbundenheit signalisiert.
Seinen endgültigen, deutschlandweiten Durchbruch erlebt das Dirndl mit der Operette „Im Weißen Rössl am Wolfgangssee“, uraufgeführt 1930 im alpenfernen Berlin. Kurz erlebt die Tracht eine Blüte, etwa bei den Salzburger Festspielen mit dem Henndorfer Dirndl, in dem sich die Prominenz in der ersten Reihe angetrachtelt zeigt, danach wird es finster. Denn dann beginnt die Suche nach der urdeutschen Urtracht, bei der regionale Farb- und Formenvielfalt eher unerwünscht ist – gelenkte Kulturpflege war das Stichwort im Nationalsozialismus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wühlte man sich tief in die Volkskunde, authentisch sollte es sein, gleichzeitig entstanden in den Fünfziger Jahren Heimatfilme am laufenden Band, die die Sommerfrischler-Tracht wieder populär machten. In der Verfilmung mit Johannes Heesters ist auch das Weiße Rössl am Start. Und so fährt die Dame von Welt wieder im alpinen Look in die Berge, knöpft Blusen halshoch zu, schnürt Dirndlmieder und bindet Schürzenschleifen.
Aber in den Folgejahren setzt etwas ein, was ich als Carolinreiberisierung des Dirndls bezeichnen möchte: Die Degradierung des Dirndls zum Rüschenkitsch in Softeisfarben. Die ältere Dame wählt eine Variante mit mehr Pluster und Rüschen, die sich gnädig über Halsfalten legen, die jüngere ein Glitzerkleidchen irgendwo zwischen Zirkusreiterin und Holiday on Ice.
Aus der zeitlosen Tracht, dem konservierten Gewand, ist endgültig ein Modeartikel geworden, wie auch aus der Volksmusik im Fernsehen die volkstümliche Musik gerann: Mit einigen historischen Versatzstücken operierend, dem Zeitgeist folgend, sich modern gebend, aber Tradition ausstrahlen wollend. Man kann nicht alles haben, deshalb geht das so gnadenlos schief. Und das, was Trachten schön macht, die Einfachheit, die strenge Eleganz mit gezielt eingesetzter Opulenz in den Details, die fehlt den Schleifenorgien im Fernsehen völlig.
Und nach dem Muff der Mitklatschsendungen wird nun eine neue Trachtengeneration durch die Festzelte geschwemmt, die alles ironisch sehen will. Der Stilbruch ist mittlerweile Normalität, man trägt Bergstiefel zum Minidirndl, Seppelhut zum Seidenmieder und immer wieder Polyester. Niemand ist gefeit vor solchen Entgleisungen, die kollektive Entstellungswelle ergreift Alt wie Jung, Einheimische wie Auswärtige. Besonders schlimm ist es immer dann, wenn Menschen ein an sich schon hoffnungsloses Kleidungsstück dadurch zu legitimieren versuchen, daß es witzig sei, was so etwas Ähnliches ist wie zünftig, nur allgemeiner. Aber müßte man über Witzigkeit nicht lachen können, und warum treiben mir Hüte in Form von Bierfässern höchstens Tränen der Scham in die Augen?
Noch gibt es alte Arbeitsdirndl aus vergangenen Jahrzehnten zu kaufen. Im Internet zu Spottpreisen, ebenso auf Flohmärkten in München und Umgebung für zehn, zwanzig Euro. Mit etwas Glück finden sich auch Winterdirndl aus Wollstoff, geknöpft oder gehakt, ohne Reißverschlüsse und mit dem charakteristischen Einstiegsschlitz unter der Schürze. Nicht mehr lange, klagte eine Flohmarktverkäuferin, die ausgesucht schöne Gebrauchtkleidung verkauft. Man müsse sich ranhalten. Und sowas kommt nicht mehr nach. Das gibt es nicht mehr. Was es gibt, sind die Billigausgaben aus Fernost, komplett für hundert Euro mit Bluse und Schürze. Die Designerdirndl aus Seide im vierstelligen Preisrahmen. Die Landhausmode, Leinensäcke mit Hirschhornknopf.
Ich bleibe beim Gebrauchtdirndl. Wenn es nicht sexy genug sei, schlug eine andere Verkäuferin vor, könne ich es ja überm Knie kürzen. Ich werde mich hüten!
Ach, es liest sich gut, dass...
Ach, es liest sich gut, dass Sie der Dirndlkreation mit über dem Knie endenden Rock abhold sind, denn in Fachkreisen wird’s auch „N*ttndirnl“ genannt.
Dirndl sind etwas...
Dirndl sind etwas Süddeutsches, die der gemeine Norddeutsche (oberhalb der Donau) mit Befremden betrachtet.
Meine Großmutter mütterlicherseits trug für ihre bäuerliche Arbeit stets eine dunkelblaue riesige Schürze zum Binden aus groben Stoff. Dies als Tracht zu bezeichnen, auf die Idee wäre sie nie gekommen. Das „Stück“ ließ sich auskochen, hielt jahrelang, man konnte sich daran die Hände abwischen, Schweiß abtrocknen, einen Gartenstuhl für den Herrn Pfarrer sauber wischen, Kindergesichter sauber reiben (rubbelte immer, aber man hatte danach rote gesunde Wangen). Für die Küchenarbeiten hatte sie einen Kittel aus Baumwolle, die sie Kattun (vermutlich Cotton) nannte.
Die GTEVL-er, eine...
Die GTEVL-er, eine Parallelwelt wie anderswo die Kameruner. Harmlos und hinter geschlossenen Mauern.
Viel bizarrer: Die Mittellalterquatschköpfe und andere Rollenspieler.
Ich hab ja heftige...
Ich hab ja heftige Akzeptanzprobleme bei Trachten im allgemeinen. Der Volkstümel-Wahn im Fernsehen hat das nun wirklich unaussprechlich kontaminiert. Der Gesichtsausdruck des kleinen Mädchens auf dem letzten Bild würde das ungefähr zum Ausdruck bringen. Und bei den marschierenden Blasmusikkapellen im „Weißen Rössl“ muß ich sofort an „Triumph des Willens“ denken, schloagts mi. Es ist ja ohnehin erstaunlich, wie ungebremst die UFA-Ästhetik nur mit ausgetauschtem Inhalt in der Nachkriegszeit aufschlug. Sowas wie Peter Lorres „Verlorenen“ wollte keiner sehen. Wie auch immer. Daß die Trachten erst im 19. Jahrhundert enstanden waren ist soweit locus communis, aber es ist doch sehr interessant, mal die ganze Geschichte zu hören. Was mir noch auffällt ist die Konzentration auf bestimmte Regionen: Bayern, Schwarzwald, Spreewald. In den Vierlanden bei Hamburg soll es ja auch noch eine entsprechende Tradition geben. Aber ein gemeinsamer Nenner dafür ist schwer zu finden. Vielleicht alles Gebiete, die während der industriellen Revolution nicht so durcheinandergewirbelt wurden.
Wenn man aus der Gegend kommt...
Wenn man aus der Gegend kommt und ein traditionelles „Gewand“ auf dem Oktoberfest trägt – warum nicht. Im Unterschied dazu sind die seltsam verkleideten Touristen zu sehen, die ich persönlich absolut unerträglich finde. Dabei ist es doch bis Karneval gar nicht mehr so lang hin! Und die Verkleidung gehört dort ebenso zum Programm wie das Trinken.
Mein Schwiegervater kam...
Mein Schwiegervater kam dereinst aus dem hohen Norden nach Göttingen! angereist, meiner Hochzeit beizuwohnen – Mit Jagdhut und Lederhosen. Die Familie rätselt noch heute, wo er die aufgetrieben hat. Jedenfalls war er sehr enttäuscht, weit und breit niemand Anderes in ähnlicher Kleidung oder gar im Dirndl anzutreffen. Ich vermute mal, daß ihn die Einheimischen für einen waschechten Süddeutschen hielten? Seitdem habe ich Verständnis für die Österreicher, die die noch so perfekt verkleideten Deutschen allüberall auf Anhieb erkennen.
Danke für die...
Danke für die „Carolinreiberisierung des Dirndls“!!! Welch Wortspiel..! Bei mir zu Hause trägt man noch „Waschdirndl“, also ganz simple Kleidungsstücke, mit denen man zur Not auch noch heuarbeiten kann… meist aus leichtem Baumwollstoff, das macht das Tragen im Sommer angenehmer.
Ein Kollege (mit niedriger...
Ein Kollege (mit niedriger Hemmschwelle) war mit seiner Frau vor zwei Jahren in Franken zu einer Feier eingeladen, mit dem Dresscode „In Lederhosen und Dirndl“.
Zum Entsetzen der Festgesellschaft – welche im Landhausmodenschick schwelgte – kamen Er und seine Frau tatsächlich in Dirndl und Lederhosen.
Er im Dirndl, sie in Lederhosen.
Recht hat er.
Einfach leben und leben...
Einfach leben und leben lassen. Haben wir denn wirklich keine anderen
Themen, vor allem jetzt? In Bälde werden wir uns darob an den Kopf greifen.
Diskutieren um jeden Preis sollte der Vergangenheit angehören.
Liebe, warum veröffentlichen...
Liebe, warum veröffentlichen Sie meine Gedanken nicht?
Sie könnten zum Nachdenken anregen, aber dann hätten Sie nichts mehr zu
schreiben. So plaudern Sie munter weiter, bis das Narrenschiff sinkt.