Welches Problem genau hat die Menschheit heutzutage mit der eigentlich so angenehmen Institution des Kaffeehauses? Es ist warm, was gerade im Winter von Vorteil ist, es gibt Torte, an der Wand hängen Zeitungen und der Stuhl ist meist auch gepolstert. Man darf so lange sitzenbleiben wie man will und sogar nachordern. Aber irgendetwas treibt den jungen urbanen Lebensteilnehmer aus den Kaffeehäusern heraus wie den Nestflüchter aus der Bruthöhle. Er lässt sich den Kaffee in einen Pappbecher mit Nuckeltülle abfüllen, auf dem der Hinweis steht, besagter Becher könne unter Umständen heiße Inhalte enthalten, stürzt sich samt Becher hinaus in die im Winter alles andere als lebensfreundliche Umwelt und trinkt seinen heißen Inhalt auf offener Straße.
Eigentlich, sollte man meinen, ist die Republik bereits flächendeckend mit Kaffeemaschinen ausgestattet, sodass man nahezu überall den Koffeinbedarf decken kann. In jedem besseren Büro zischt ein Espressomonstrum mit Milchaufschäumer vor sich hin, in jeder Wohnung steht chromblitzendes Baristagerät, nur die paar hundert Meter dazwischen klafft eine anscheinend entsetzliche Lücke, die durch mobilen Transportkaffee gefüllt werden muss.
Nun ist es ja so, daß das Kaffeehaus als Ort eine nicht unwesentliche Rolle in der westlichen Kulturgeschichte spielt. Los ging es Mitte des 17. Jahrhunderts in Venedig, 1650 ist das erste Coffee-House in Oxford nachgewiesen, 1652 öffnete das Virginia Coffee-House in London. In den folgenden Jahren verbreitete sich die Idee dort vor allem rund um die Börse und das Parlament und erreichte schließlich andere Städte wie Paris und Wien. Das Kaffeehaus diente als Verabredungsort in geschäftlicher, politischer und privater Angelegenheit und war, das war neu, für alle Stände offen. Hier konnte man mit wenig Geld Zugang zu Nachrichten und Wissen erlangen – wenn man nicht gerade eine Frau war, weshalb diese sich sehr gegen das Kaffeehauswesen wandten. Das Zeug stinkt und macht unfruchtbar, wetterten sie in der „Womens Petition against Coffee“ von 1674.
Im Traktat „Verteidigung der Kaffeehäuser“ („Coffe-Houses Vindicated“, 1675) führt der Verfasser als Erwiderung gegen die erzürnten Damen allerlei gute Gründe an, warum die überall sprießenden Cafés eine überaus gute Entwicklung sind, und kommt zu dem Schluß: „So daß wir schließlich, in dieser ganzen Angelegenheit, und trotz der müßigen Sarkasmen und der trivialen Ablehnung, derer es ausgesetzt ist, mit nicht weniger Berechtigung denn Klarheit eben jene kurze Charakterisierung eines gut geführten Kaffehauses geben können (unsere Feder sträubt sich, jenen gräßlichen Löchern das Wort zu reden, die sich dieser Bezeichnung bedienen, um die in ihnen praktizierte Ausschweifung zu bemänteln): Daß das Kaffeehaus der Tempel der Gesundheit ist, die Kinderstube der Mäßigung, die Quelle der Sparsamkeit, eine Akademie des höflichen Umgangs und Schule des Einfallsreichtums.“
Dazu kommt das Postwesen, das sich als „Penny Post“ im Kaffeehaus etablierte, und die Versicherung Lloyds begann als, richtig: Kaffeehaus. Und nicht zu vergessen die guten alten Holzmedien: Die erste Zeitung, der „Spectator„, wurde im Kaffeehaus gelesen und dort auch herausgegeben. All das, was dazu führte, daß Jürgen Habermas nicht weniger als einen Strukturwandel der Öffentlichkeit diagnostizierte und ihn am Kaffeehaus festmachte. Es war ein aufklärerisches Projekt, und in seinem Zentrum stand ein Getränk, das zur Abwechslung mal nicht betrunken machte.
Was hat das nun zu bedeuten, daß gute dreihundert Jahre Kaffeehausgeschichte über Bord geworfen werden, und stattdessen die Epoche des Pappbechers eingeläutet scheint? Zunächst einmal sitzt der Gesprächspartner oft genug nicht gegenüber und schon gar nicht am Nebentisch, sondern am anderen Ende der Leitung im virtuellen Irgendwo. Der Pappbechertrinker ist immer allein unterwegs, gern mit Mobiltelefon, meist geschäftlich beschäftigt tuend. Der öffentliche Raum, den er mit seinem albernen Tall Latte Double Cream Hazelnut Zimtstern Frappucchino zu erobern gedenkt, ist eine Parkbank oder gern auch ein Mäuerchen, das irgendein Stadtplaner mit Platzgestaltung verwechselt hat. Manchmal trinkt er such nicht stationär, sondern legt Wegstrecken zurück, bleibt nicht einmal stehen, die Nuckeltülle erlaubt es ja: Das ist die moderne Aufputsch-Druckbetankung für den Leistungsträger.
Der Coffee To Go ist die mobile Weiterentwicklung des Stehkaffees, der ja ohnehin schon etwas sehr ambulantes an sich hat. (Vermutlich ist er auch der Tod des Kaffeeautomaten, der Klare Brühe und Milchpulvercappuccino durch ein und dieselbe Tülle jagt, was ja nun wirklich kein Verlust wäre.) Während das Kaffeehaus einen Raum, also etwas innerhäusliches, für die öffentliche Sphäre reklamiert hat, gehen die Kaffeegeher genau umgekehrt vor: Sie tun so, als sei der Platz, also etwas außerhäusliches, privat. Sie setzen sich hin, trinken dort Kaffee und telefonieren mit Mutti. Sie ignorieren das Getöse um sich herum, richten sich in der Öffentlichkeit häuslich ein, und man fragt sich: Haben die eigentlich kein Wohnzimmer? Oder sind die da nur so selten?
Man kann sich einmal die Zeit nehmen, und die Schlipsträger beobachten, wie sie zur Füllstation wanken, die immer mit Hausfrauenjazz beschallt wird, wie sie komplizierte Englisch-Italienische Wortmassenkarambolagen unfallfrei und mit leicht amerikanischem Akzent aussprechen, wie sie jovial nebeneinander herumstehen mit ihren lächerlichen Becherchen mit der Schneeflöckchenbanderole darauf und der Warnung vor heißem Inhalt. Solche Leute erfinden keine Zeitungen. Solche Leute erfinden höchstens Telefone, mit denen man unterwegs fernsehen kann.
Hm, Filou....
Hm, Filou. Kontaktlinsenträger finden es durchaus ab und an ganz prima, sich nicht abends einen gelblichen Schmierfilm von der Sehhilfe rubbeln zu müssen.
@ hugoservatius: Das mit den...
@ hugoservatius: Das mit den Büchern hat mich am meisten beeindruckt. Würden Sie mir eins abgeben? Ich find die Dinger voll krass.
Verehrte Frau Diener,
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Sie...
Verehrte Frau Diener,
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Sie schätzen richtig ein, ein Ihrer Profession angehöriger amerikanischer Freund behauptete einmal, ich sei die Imelda Marcos von Berlin-Charlottenburg…
Natürlich kann ich mir vorstellen, wen Sie meinen, nichtsdestotrotz sind mir die Klischees vorwiegend Ihrer und des Herrn Alphons‘ Leser oft zu einfach gestrickt.
Und wenn ich das Vergnügen hätte neben Ihnen in der Schlange beim Bäcker zu stehen, hätte ich sicher anderes zu tun, als mein Taschentelephon zu benutzen, dessen seien Sie bitte versichert…
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Beste Grüße, schade, daß ich so selten in Frankfurt bin, hs.
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P.S.
Das Problem mit den Kontaktlinsen hatte meine Frau in den seligen Zeiten vor Einführung des Rauchverbotes auch, ich finde aber Damen mit Brille eigentlich außerordentlich attraktiv, insofern, Mut zur Brille.
(Nein, ich habe kein Optikergeschäft)
Was das Rauchen angeht: Als...
Was das Rauchen angeht: Als ich damit aufhörte (hoffentlich nicht zu spät), mochte ich auch kein Café mehr aufsuchen. Was mir bis dahin so ungemein gemütlich erschien, biss mir nämlich nun äußerst garstig und rauchig in die Augen, auch Kuchen esse ich lieber mit Sahne als mit Nikotinschwaden oben drauf. Nun, wo die Cafés endlich rauchfrei sind, ist es zu spät, jetzt trinke ich lieber Tee – und damit meine ich nicht den Teebeutelverschnitt, den man im Café meistens angeboten bekommt. Da fällt mir ein: Es gab ja auch mal Teestuben. In meiner Heimatstadt gab es in den Siebzigern eine, die aber eher als Drogenumschlagplatz verschrien war….
Wie auch immer, ich lege jetzt mal die Kaffeekantate von Bach auf.
Lieber Herr Julius,
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mit dem...
Lieber Herr Julius,
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mit dem größten Vergnügen. Einige habe ich sogar doppelt, ich denke, es wird Ihnen Spass machen, zu wählen unter: Michael Bowler: „Racing with Aston-Martin“, John Pawson: „Minimum“ und Janosch: „Ich mach‘ Dich gesund, sagte der Bär“.
Melden Sie sich einfach bei mir,
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beste Grüße aus dem Bücherregal, hs.
@Andrea Diener: Diese...
@Andrea Diener: Diese Backpulvermuffins finde ich ja auch schauderhaft, aber unübertroffen sind frische, noch warme Hefemuffins (fast flüssiger Hefeteig mit reichlich Butter, Zucker und Ei, nur ein, zwei Eßlöffel pro Förmchen) mit selbstgemachter Orangenmarmelade und — Tee. Wenn dann die Heizung aufgedreht ist, Regen gegen die Fenster trommelt und ein gutes Buch zur Hand ist, dann kommt das vollkommenem Glück schon ziemlich nahe.
@Elbsegler: Sie scheinen in einer sehr glücklichen Stadt zu leben. Hier hat in der Innenstadt nur ein Kaffeehaus überlebt. Daß das schönste Kaffeehaus am Ort vor ein paar Jahren geschlossen hat, lag allerdings nicht an mangelnder Kundschaft, sondern daran, daß sich kein Nachfolger gefunden hat. Jetzt ist dort die Filiale einer Optikerkette drin… Der Starbucks hat sich drei Häuser weiter eingenistet.
Herrlich, dieser Blick zurück...
Herrlich, dieser Blick zurück nach Deutschland durch Ihre Augen. Hier, im To-Go und Drive Through Ursprungsland wohne ich in einer Kleinstadt, die tatsächlich eine Art Kaffeehaus Kultur hat (mit hinsetzen und verweilen und bei Bernice’s Bakery sogar mit köstlichen Torten statt Muffins). Frühmorgens allerdings stehen die Einheimischen in der Kaffeeschlange. Nicht im Vorbeigehen, sondern im warmen Auto (meist ein Pick-Up Truck – ich wohne in Montana) am Espresso Drive-Through. Ebenso wie Bank- und Apotheken-Durchfahrtsangebote habe ich auch den On-the-Road-Coffee im Rahmen meiner privaten landeskundlichen Studien getestet. Das Brühprodukt war lecker – sicher schmackhafter als der durchschnittliche US-Büro-Filterkaffee, der den Namen nicht mal der Farbe nach verdient. Vielleicht daher der morgentliche Andrang. Die Buden schließen alle gegen Mittag. Und dann gehen doch alle wieder ins Kaffeehaus.
Mit Verwunderung höre ich übrigens meine Mutter (eine Spätsiebzigerin ohne Mobile Device und wichtigem Beruf) begeistert über „Schtrabucks“ Kaffee und fluffige McMuffins reden. Wenn nun selbst sie sich lieber selbst bedient, als von klassisch livrierten Kellnern im Wiesbadener Café Maldaner ihr Kännchen gebracht zu bekommen, dann sehe ich da doch ein Stück alte Heimat in Gefahr. Und werde beim nächsten Besuch im Rhein-Main Gebiet auf ein Stück Schwarzwälder Kirsch im Maldaner bestehen.
Ey, wie schmeckt der Coffee...
Ey, wie schmeckt der Coffee süße. Obwohl ich gerade beim Tee bin (Prince Waldimir; verstößt gegen die reine Lehre, weil aromatisiert, paßt aber hervorragend in die Jahreszeit). Aber hin und wieder kann man dem Kaffee nicht entkommen. Wobei ich ja bisher dem historischen Vorurteil anhing, daß das Kaffeehaus erst im Gefolge von Kara Mustafa in Wien Einzug hielt und sich von dort aus verbreitete. Da sieht man wieder, daß eine regelmäßige Überprüfung von Vorurteilen bildend sein kann. Danke, Andrea. Der Einfluß des Kaffeehauses auf die europäische Literaturgeschichte jedenfalls kann nicht hoch genug überschätzt werden. Heimito von Doderer, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, hat wohl den Großteil seines Werkes im Kaffeehaus verbrochen und ihm zumindest in den „Dämonen“ ein unsterbliches Denkmal gesetzt. Ich glaube übrigens mit ariadne, daß die Schnittmenge von Kaffeehausbesuchern und Pappbecherträgern gering ist, so bleiben sollte und auf jeden Fall die Existenz von Kaffeehäusern nicht gefährdet. Bei uns hat sich neben dem Coffebaum auch noch das berühmte Café Corso erhalten („Doktor Faustus“, die Leipzig-Kapitel). Und sogar das Riquet, daß zu DDR-Zeiten bloß eine verklärte Erinnerung der Altvorderen war, hat sich wieder berappelt. Insofern sehe ich das gelassen. Die Starbucks kommen und gehen, der Kaffee aber bleibt.
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Ich weiß nicht, Barocke Hörerin, ob Sie das Label Winter & Winter kennen. Dort gibt es seit einigen Jahren eine Reihe von verblüffenden Hörcollagen auf CD. Eine ist mir besonders lieb. Uri Caine hat einige Instrumentalpassagen aus Wagner-Opern für ein Kaffeehaus-Ensemble arrangiert und diese Stücke in zwei venezianischen Cafés gespielt. Auf dem Mitschnitt hört man die Tassen klirren, die Leute leise im Hintergrund reden, es ist als wäre man bei „Tod in Venedig“ dabei. So kann man dergleichen in den heimischen vier Wänden zumindest simulieren.
Über den Verlust der...
Über den Verlust der traditionellen Kaffeehauskultur kann man sich ja zu Recht beklagen. Allerdings war die in Deutschland schon lange tot, ehe sich die Coffeeshops breit machten.
Der Witz ist doch, dass augerechnet Starbucks und Co. erst wieder halbwegs trinkbaren Kaffee nach Deutschland gebracht haben.
Haben Sie mal versucht, Anfang der neunziger Jahre in der Frankfurter Innenstadt einen Kaffee zu bekommen? Da gab’s meist nur abgestandenen bitteren Filterkaffee. Oder das Oma-Cafe, das mit beispielsweise Wiener Kaffeehauskultur auch nichts gemein hatte.
Über die Lust am Pappbecher kann man sich ja streiten. Aber es kommt doch drauf an, was drin ist.
@Frau Diener: Wenn der Becher...
@Frau Diener: Wenn der Becher keinen „Latte“ beherbergt, sondern schlicht vernünftigen, schwarzen (Bohnen-)Kaffee ist die Sache halb so schlimm. Am Bahnhof ists mit Tasse und Untersetzer immer etwas umständlich. Also alles zu seiner Zeit, das böse McDoof hat übrigens gar nicht mal so schlechten Kaffee im Angebot (im Gegensatz zur Pulverbrühe des Erzfeindes). Starbucks verdient immerhin Respekt solche Preise durchzusetzen, bei denen man im klassischen Kaffeehaus sicher besser bedient ist.
@hugoservatius: Sind Ihre Schilderungen ernst gemeint? >>> Witzig bis lächerlich. Sind Sie ein Troll? >>> Chapeau!