Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Von Herzen, mit Schmerzen: Das Geschenk

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Es ist ja gut gemeint, aber, naja, ich guck jetzt mal erfreut und nicht so entsetzt wie ich mich gerade fühle, weil ich einen rosa Kulturbeutel bekommen habe. Mit Glitzer. Und Fransen. Was denkt der eigentlich, wer ich bin, und glaubt er ernsthaft, er wäre noch mit mir befreundet, wenn ich eine Person wäre, die sowas gut findet? Kennt er etwa Personen, die sowas gut finden? Warum gibt er sich mit Personen ab, die sowas gut finden? Und was, um Himmels Willen, sag ich jetzt und wie findet er wohl die Krawatte – ob er grünes Paisleymuster mag? (Schenken ist die Hölle. Ehrlich.)

„Na“, fragte die Zahnarzthelferin, als sie mir jüngst den Zahnstein aus den Zwischenräumen herauskratzte und ich mit offenem Mund praktisch wehrlos vor ihr lag, „schon Weihnachtsgeschenke gekauft?“ Ich gab einen gutturalen Laut von mir und verdrehte die Augen. Nicht nur, daß das so ziemlich die einzige Reaktion ist, zu der man während einer zahnärztlichen Prophylaxebehandlung fähig ist, sie war dem Gegenstand auch durchaus angemessen. Ich hatte noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft, ich gedachte, so wenig Geschenke wie möglich zu kaufen, ich bemühe mich, es Jahr für Jahr weniger werden zu lassen und werde vermutlich nur einige gute Gesten zustandebringen, die einen nicht völlig nackt dastehen lassen.

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Es ist nicht so, daß ich geizig bin, aber Geschenkpflicht zu bestimmten Tagen setzt mich unter eine unangenehme Art von Druck. Und es wird immer schlimmer, je älter man wird. Kinder haben es leicht, sie schreiben Wunschzettel mit haufenweise Spielzeug drauf, verschenken selbstgetöpferte Tonklumpen oder Gipsfladen mit ihrem Handabdruck drin und alle freuen sich. Wunderbar. Wenn sie größer werden, werden auch die Wünsche größer, dann wollen sie irgendwann nur noch Geld, sind darüber aber trotzdem froh. Doch je älter Menschen werden, desto anspruchsvoller werden sie, desto mehr haben sie schon und desto weniger brauchen sie noch. Eltern zum Beispiel neigen dazu, ziemlich komplett zu sein, und das, was sie noch nicht haben, eigentlich auch nicht wirklich zu wollen. Wenn man sie fragt, was sie sich zu Weihnachten wünschen, sagen sie: Wir haben ja alles, wir brauchen nichts.

Das macht es dem Schenker, also mir, nicht unbedingt leichter, denn natürlich muß man trotzdem etwas schenken, weil es erwartet wird. Die vermeintliche Bescheidenheit ist keine, sondern erhöht nur die Schwierigkeitsstufe. Ich bohre also nach: „Nicht einmal die Wanderhure Teil dreihundertfünfzehn, Mama?“ – „Nein, die schenkt mir schon der Papa“, heißt es dann, das war ja klar, das einzige mögliche Wunschobjekt ist schon vergeben. Ich werde mir also wieder einmal den Kopf zerbrechen müssen.

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Und so kommt es, daß zu Weihnachten die vielgeschmähten Notgeschenke unterm Weihnachtsbaum liegen: Socken, Krawatten, lange Unterhosen, damit der Bub nicht friert. Das After Shave, das immer genau ein Jahr reicht, das Fläschchen Tosca von 4711, das auch immer ein Jahr reicht. Wein und Schnaps werden gern genommen, denn was macht Opa noch wirklich Freude? Richtig, Alkohol. Die Tante bekommt Biber-Bettwäsche und Angora-Unterhemden, der Rest Kulturbeutel. Bisheriger Rekord war der Ringtausch von drei Kulturbeuteln bei fünf Beteiligten. Komischerweise ist nie einer bei mir hängengeblieben, obwohl ich einen brauchen könnte. Aber ich sage das lieber nicht so laut, wer weiß, was für ein scheußliches Ding ich dann demnächst übereignet bekomme.

Das ist nämlich das nächste Problem: So ein unverlangt eingesandtes Geschenk neigt dazu, nicht nur haarscharf an meinem Geschmack vorbeizuschrammen, sondern wenn, dann richtig. Man fragt sich mitunter, welche Vorstellung die Menschheit von einem hat, daß sie ernsthaft mit sowas ankommt. Ich besitze Perlenohrringe aus Bernstein, obwohl meine Ohrlöcher seit 15 Jahren zugewachsen sind. Ich besitze ein Saftglas mit Uli-Stein-Maus drauf und das häßlichste Teeglas der Welt. Die silbernen Salz- und Pfefferstreuer in naturgetreuer Vogelform mit Löchern im Kopf dagegen sind so abwegig, daß sie schon wieder richtig gut sind. Ich besitze CDs mit schottischer Fahrstuhlmusik, die irgendein Pseudodruide auf seiner Harfe mundzupft, und das Erstlingswerk einer Rapperin, die ihre Homosexualität thematisiert. Beide wurden mir mit dem gleichen Satz übergeben, nämlich einem überzeugt vorgebrachten „das wird dir gefallen“, was mich in tiefe Zweifel stürzte, ob ich eventuell den Eindruck vermittle, daß mir das tatsächlich gefallen könnte.

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All diese hochwertigen Dinge verbringen eine gewisse Anstandsphase im Haushalt, bevor sie irgendwann entsorgt werden. Eine gute Gelegenheit dazu ist das Wichteln. Da gibt es ja verschiedenste Varianten, aber die beste ist die: Man packt etwas möglichst liebevoll ein, was man nicht mehr braucht und wofür man nichts bezahlt hat, bringt es zur Firmenweihnachtsfeier mit, bekommt eine Nummer draufgeklebt, zieht dann selbst eine Nummer und packt das Geschenk unter Anteilnahme und Schadenfreude der gesamten Runde aus. Oh, eine Musikkassette der Kelly Family, danke! Den blutrünstigen japanischen Thriller hab ich danach für 10 Euro bei Amazon verkauft, das fürchterliche „Strawberry Love“-Parfüm ging in die zweite Runde.

Was nicht bald entsorgt wird, kann sich auf ein langes, ungestörtes Dasein in den Tiefen einer Schrankwand gefaßt machen, die sich zum Archiv der Nutzlosigkeiten entwickelt. So einiges sammelt sich an im Laufe eines Lebens, Modegeschenke nach Jahrzehnten gestaffelt: Hölzerne Kormoranbilder und Rauchglasaschenbecher aus den Sechzigern, Käseigel und Knabberschälchensets aus den Siebzigern, Sandrieselbilder und Hologramme aus den Achtzigern, Sandwichmaker und getöpferte Duftlampen aus den Neunzigern. Dazu einige Produkte von seltsam zeitloser Scheußlichkeit, die sind von den Verwandten aus der Zone. 

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Die Zahnarzthelferin ist mit Kratzen fertig und mischt jetzt die Polierpaste. „Au-üln!“ verlange ich und greife zum Spülbecher, dann geht es mir besser. „Ich weiß nie, was ich schenken soll“, sag ich. „Jeder hat schon alles, und dann steht es nur rum.“ Ich lehne mich wieder zurück, dann nimmt die Zahnarzthelferin die rotierende Bürste und surrt damit über meine Zahnreihen. „Ich schenke immer was zum Essen. Entweder ist es dann weg, oder es ist abgelaufen und muß weggeworfen werden“, sagt sie. „Ah“, sag ich, weil man mit einer Polierbürste im Mund nicht viel mehr sagen kann. Aber das ist eine Lösung, Geschenke mit einem Haltbarkeitsdatum möglichst innerhalb des nächsten Monats, oder noch kürzer. Damit gibt man sich selbst nicht die Blöße, jemanden komplett falsch eingeschätzt zu haben, und man zwingt niemanden, etwas zu besitzen, was er freiwillig nie besitzen würde, und bei der Übergabe auch noch ein erfreutes Gesicht zu machen. Ich muß das nur noch meiner Umgebung beibringen.


70 Lesermeinungen

  1. Stephanie sagt:

    Ein herrlich schöner Text von...
    Ein herrlich schöner Text von deinen Geschenkerfahrungen, die ich teilen kann. Wer kennt das nicht? Bei meiner Oma bekommt man die Geschenke, die man ihr gemacht hat im nächsten Jahr sogar wieder zurück geschenkt 🙂 Also ist das Motto immer etwas zu kaufen, was einem selbst gefällt. Und ich muss leider auch noch einige Geschenke in den verbleibenden 4 Tagen auftreiben.
    Ich wünsche trotz Geschenkstress frohe Weihnachten

  2. Wolfgang sagt:

    Der Ringtausch wird besonders...
    Der Ringtausch wird besonders amüsant, wenn sich der Beschenkte gar nicht die Mühe macht, das Geschenk auszupacken, sondern es nach einiger Zwischenlagerung unausgepackt weiterschenkt. So bekam einst meine Tante eine Flasche Wein mit einer Glückwunschkarte ihres fünf Jahre zuvor verstorbenen Bruders.

  3. Antoinette sagt:

    Ein wirklich genialer Tipp der...
    Ein wirklich genialer Tipp der Zahnarzthelferin! Den beherzige ich aber schon seit Jahren. Beim Weinhändler meines Vertrauens werden alle männlichen Verwandten versorgt, dazu noch ein paar herzhafte Häppchen von Münstermann – und für die weiblichen Verwandten die ausgezeichneten Pralinen von Heinemann.
    Bisher habe ich noch keine Beschwerden bekommen, außer vielleicht über ein paar zugelegte Pfunde. Es ist nämlich zu Weihnachten immer das gleiche Mantra „ach Kind nichts zum hinstellen, und vor allem nichts großes“ – was bleibt einem da übrig, außer etwas, das verspeist oder getrunken wird?
    Ein eigener Blog-Beitrag wären auch „Hochzeitsgeschenke“, dank dieser Scheußlichkeiten ist man nämlich auch mindestens ein Jahrzehnt fürs Wichteln ausgerüstet.

  4. fraudiener sagt:

    <p>Stephanie, ich habe noch...
    Stephanie, ich habe noch nie etwas zurückgeschenkt bekommen, nur einmal zurückgeerbt. Wolfgang, ausgepackt wird bei uns ja schon. Dann das Papier ordentlich zusammengefaltet, das kann man ja nochmal verwenden, das ist ja noch gut.
    .
    Antoinette, ich bin zum Glück nur ganz selten auf Hochzeiten. Das letzte Mal war es gnädig, die Braut wünschte einen Beitrag zu einer neuen Spiegelreflexkamera. Mittlerweile wohnen die meisten ja eh schon zusammen, da braucht der Haushalt ohnehin nichts. (Man braucht ja eh immer weniger. Im Gegensatz zu meinen Großeltern komme ich gut ohne Heringstopf mit dreidimensionalem Porzellanfisch als Henkel aus.)

  5. BlackJack66 sagt:

    Oh der Tipp mit dem Essen ist...
    Oh der Tipp mit dem Essen ist wirklich gut und wenn man den richtigen Laden betritt, dann erlebt man auch die lsutigsten Geschichten: https://schwarzmarkt.blog.de/2009/12/18/italienische-momente-7596500/
    Sonst ist für die Eltern oder Großeltern auch immer Gesundheitsgeschenke gut und meist sogar die richtige Wahl.

  6. Sind Sie beim gleichen...
    Sind Sie beim gleichen Zahnarzt?
    Bei meinem letzten Besuch Anfang Dezember wurde ich auch während der Zahnreinigung bzgl. meines Geschenkeverhaltens befragt.
    Abgesehen davon, dass außer der gutturalen Lautäußerung nicht viel an Response meinerseits möglich war, ist es natürlich schon interessant.
    Ihre Zurückhaltung bzgl. der Äußerung des Wunsches nach einem Kulturbeutel kann ich nur unterstützen. Mein Mann war letztes Jahr nicht so zurückhaltend, und erhielt sowohl von Schwiegermama als auch von meiner Mutter so ein gutes Stück. Wenn wir jetzt zu Besuch fahren stellt er jedesmal die Frage, „welchen muss ich denn diesmal mitnehmen?“ Beide sind durchaus sehr geschmackvoll (sowas geht), aber würde nun entweder die eine oder die andere Schenkende beschämen, wenn das falsche Stück bei Besuch auftaucht.
    Das geschmackloseste Geschenk war einmal ein Salz-und-Pfefferstreuer von Schwager und Schwägerin, welchen die beiden zur Hochzeit erhalten hatten. Insbesondere ärgerte mich damals, das das kleine Beutelchen mit Pfeffer bereits abgelaufen war. (Unabhängig davon, dass ich eigentlich immer nur frisch gemahlenen Pfeffer verwende, aber hier ging es ums Prinzip. Geschmackloses verwichtelt man in der Firma, oder schmeißt es weg. Aber man verschenkt es nicht in der Verwandtschaft!)

  7. Ephemeride sagt:

    Sehr geehrte Frau Diener:...
    Sehr geehrte Frau Diener: Welch‘ schöner Text mit einer aparten Zeitreise durch die untersten Schubläden irgendwelcher Kellerschränke. Besser als jeder Jahresrückblick!
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    Ansonsten kann ich nur das Motto „Schenken und schenken lassen“ empfehlen. Scheußlichkeiten sind immer dabei und selbst angeblich Konsumierbares ist manchmal ohne Haltbarkeitsdatum und unkonsumierbar (Himbeer-Palinka beispielsweise aus Ungarn mit einer erfrischenden Erfindergeistnote einer Ölraffinerie…) Aber zumeist kommt doch alles von Herzen und ist damit von eigenem Wert.
    .
    Nur einmal, da gab es eine Vase – die Inkarnation aus den skurilen Alpträumen einer weltbewegten Töpferin mit Indienerfahrung. Die (also, die Vase…) habe ich weiterverschenkt – mit der Bitte, diese wiederum weiterzugeben und die ihr innewohnende Geschichte weiterzuerzählen. Das geschah 1988, und ich bin fest überzeugt, dass ich die Vase eines Tages noch einmal in meinen Händen halte. Nachdem das gute Stück eine kleine Weltreise hinter sich gebracht hat…

  8. Essen schenken ist super. Am...
    Essen schenken ist super. Am Besten was selbst machen. Mein Favorit: Pralinen.

  9. Savall sagt:

    Die Leiden des...
    Die Leiden des Beschenktwerdens sind vielfältig und von ausgesuchter Grausamkeit. Ich habe es allerdings schon vor etlichen Jahren geschafft, die engere Familie auf weihnachtliche Geschenkabstinenz zu trimmen. Das geht freilich nur, wenn keine kleinen Kinder beteiligt sind, das ist klar. Mein Grund war ein egoistischer: es traute sich niemand mehr, mir Bücher zu schenken, weil sie nicht wußten was ich schon hatte. In den ersten Jahren hatte sich dann doch ein leiser Frust breitgemacht. Um einem Volksaufstand zuvorzukommen, kam ich auf folgende salomonische Lösung: jeder kauft sich anläßlich des Weihnachtsfestes etwas, daß er wirklich gern haben möchte. Jeder nur eins, um Orgien zu vermeiden. Der Hauptspaß ist jetzt die Überraschung der jeweils anderen. Und es ist mitunter tatsächlich verblüffend, was da manchmal zum Vorschein kommt. Der nette Nebeneffekt ist, daß man so viel Geld ausgeben kann wie man möchte, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ein anderes treffliches Hilfsmittel ist natürlich der Amazon-Wunschzettel. Da können keine Doppelbeschenkungen auftreten, der Überraschungseffekt bleibt gewahrt und trotzdem können keine Mißgriffe passieren. Apropos, Andrea, ich konnte wieder einmal nicht widerstehen. Erschrecken Sie also nicht.

  10. In unserer kleinen Familie...
    In unserer kleinen Familie haben wir beschlossen, dass sich die Erwachsenen untereinander nichts schenken. Punkt. Meistens kauft man sich die kleinen Sachen, die man haben möchte, eh schon während des Jahres und die teuren Sachen sind zu teuer, um sie sich als Geschenk zu wünschen. Lediglich die Kinder bekommen wirklich Sachen geschenkt, die sie gerne hätten, wobei das auch immer im Rahmen bleiben muss. Unsere Tochter hat soviele Sachen, dass sie teilweise gar nicht mehr weiß, mit was sie überhaupt spielen soll und entsprechend bekommt sie jetzt eben nicht mehr das x-te Puppenset, die dritte Spielkasse oder die zweite Puppenküche. Es wird eine Digitalkamera sein, weil sie gerne fotografiert. Die Großeltern geben etwas dazu, so teilen wir uns das ganze. Es wird das Spiel „Twister“ sein, das hat sie nämlich nur in einer Kleinstversion von McDonalds und die ist zu klein, damit Erwachsene mitspielen können. Und dann bekommt sie noch ein paar günstig erstandene „Clikits“ von LEGO, weil sie Kinderschmuck liebt. So, das war’s. Ich kann nur hoffen, dass nicht doch noch etwas reinkommt, was sie nicht wirklich braucht. Ein letztens angekommenes Paket meiner Eltern läßt mich bereits mißtrauisch gucken. Die wollten doch Geld für die Kamera geben. Hoffentlich ist es nur Kleidung für die Tochter bzw. für unseren neugeborenen Sohn…

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