„Na“, fragte die Zahnarzthelferin, als sie mir jüngst den Zahnstein aus den Zwischenräumen herauskratzte und ich mit offenem Mund praktisch wehrlos vor ihr lag, „schon Weihnachtsgeschenke gekauft?“ Ich gab einen gutturalen Laut von mir und verdrehte die Augen. Nicht nur, daß das so ziemlich die einzige Reaktion ist, zu der man während einer zahnärztlichen Prophylaxebehandlung fähig ist, sie war dem Gegenstand auch durchaus angemessen. Ich hatte noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft, ich gedachte, so wenig Geschenke wie möglich zu kaufen, ich bemühe mich, es Jahr für Jahr weniger werden zu lassen und werde vermutlich nur einige gute Gesten zustandebringen, die einen nicht völlig nackt dastehen lassen.
Es ist nicht so, daß ich geizig bin, aber Geschenkpflicht zu bestimmten Tagen setzt mich unter eine unangenehme Art von Druck. Und es wird immer schlimmer, je älter man wird. Kinder haben es leicht, sie schreiben Wunschzettel mit haufenweise Spielzeug drauf, verschenken selbstgetöpferte Tonklumpen oder Gipsfladen mit ihrem Handabdruck drin und alle freuen sich. Wunderbar. Wenn sie größer werden, werden auch die Wünsche größer, dann wollen sie irgendwann nur noch Geld, sind darüber aber trotzdem froh. Doch je älter Menschen werden, desto anspruchsvoller werden sie, desto mehr haben sie schon und desto weniger brauchen sie noch. Eltern zum Beispiel neigen dazu, ziemlich komplett zu sein, und das, was sie noch nicht haben, eigentlich auch nicht wirklich zu wollen. Wenn man sie fragt, was sie sich zu Weihnachten wünschen, sagen sie: Wir haben ja alles, wir brauchen nichts.
Das macht es dem Schenker, also mir, nicht unbedingt leichter, denn natürlich muß man trotzdem etwas schenken, weil es erwartet wird. Die vermeintliche Bescheidenheit ist keine, sondern erhöht nur die Schwierigkeitsstufe. Ich bohre also nach: „Nicht einmal die Wanderhure Teil dreihundertfünfzehn, Mama?“ – „Nein, die schenkt mir schon der Papa“, heißt es dann, das war ja klar, das einzige mögliche Wunschobjekt ist schon vergeben. Ich werde mir also wieder einmal den Kopf zerbrechen müssen.
Und so kommt es, daß zu Weihnachten die vielgeschmähten Notgeschenke unterm Weihnachtsbaum liegen: Socken, Krawatten, lange Unterhosen, damit der Bub nicht friert. Das After Shave, das immer genau ein Jahr reicht, das Fläschchen Tosca von 4711, das auch immer ein Jahr reicht. Wein und Schnaps werden gern genommen, denn was macht Opa noch wirklich Freude? Richtig, Alkohol. Die Tante bekommt Biber-Bettwäsche und Angora-Unterhemden, der Rest Kulturbeutel. Bisheriger Rekord war der Ringtausch von drei Kulturbeuteln bei fünf Beteiligten. Komischerweise ist nie einer bei mir hängengeblieben, obwohl ich einen brauchen könnte. Aber ich sage das lieber nicht so laut, wer weiß, was für ein scheußliches Ding ich dann demnächst übereignet bekomme.
Das ist nämlich das nächste Problem: So ein unverlangt eingesandtes Geschenk neigt dazu, nicht nur haarscharf an meinem Geschmack vorbeizuschrammen, sondern wenn, dann richtig. Man fragt sich mitunter, welche Vorstellung die Menschheit von einem hat, daß sie ernsthaft mit sowas ankommt. Ich besitze Perlenohrringe aus Bernstein, obwohl meine Ohrlöcher seit 15 Jahren zugewachsen sind. Ich besitze ein Saftglas mit Uli-Stein-Maus drauf und das häßlichste Teeglas der Welt. Die silbernen Salz- und Pfefferstreuer in naturgetreuer Vogelform mit Löchern im Kopf dagegen sind so abwegig, daß sie schon wieder richtig gut sind. Ich besitze CDs mit schottischer Fahrstuhlmusik, die irgendein Pseudodruide auf seiner Harfe mundzupft, und das Erstlingswerk einer Rapperin, die ihre Homosexualität thematisiert. Beide wurden mir mit dem gleichen Satz übergeben, nämlich einem überzeugt vorgebrachten „das wird dir gefallen“, was mich in tiefe Zweifel stürzte, ob ich eventuell den Eindruck vermittle, daß mir das tatsächlich gefallen könnte.
All diese hochwertigen Dinge verbringen eine gewisse Anstandsphase im Haushalt, bevor sie irgendwann entsorgt werden. Eine gute Gelegenheit dazu ist das Wichteln. Da gibt es ja verschiedenste Varianten, aber die beste ist die: Man packt etwas möglichst liebevoll ein, was man nicht mehr braucht und wofür man nichts bezahlt hat, bringt es zur Firmenweihnachtsfeier mit, bekommt eine Nummer draufgeklebt, zieht dann selbst eine Nummer und packt das Geschenk unter Anteilnahme und Schadenfreude der gesamten Runde aus. Oh, eine Musikkassette der Kelly Family, danke! Den blutrünstigen japanischen Thriller hab ich danach für 10 Euro bei Amazon verkauft, das fürchterliche „Strawberry Love“-Parfüm ging in die zweite Runde.
Was nicht bald entsorgt wird, kann sich auf ein langes, ungestörtes Dasein in den Tiefen einer Schrankwand gefaßt machen, die sich zum Archiv der Nutzlosigkeiten entwickelt. So einiges sammelt sich an im Laufe eines Lebens, Modegeschenke nach Jahrzehnten gestaffelt: Hölzerne Kormoranbilder und Rauchglasaschenbecher aus den Sechzigern, Käseigel und Knabberschälchensets aus den Siebzigern, Sandrieselbilder und Hologramme aus den Achtzigern, Sandwichmaker und getöpferte Duftlampen aus den Neunzigern. Dazu einige Produkte von seltsam zeitloser Scheußlichkeit, die sind von den Verwandten aus der Zone.
Die Zahnarzthelferin ist mit Kratzen fertig und mischt jetzt die Polierpaste. „Au-üln!“ verlange ich und greife zum Spülbecher, dann geht es mir besser. „Ich weiß nie, was ich schenken soll“, sag ich. „Jeder hat schon alles, und dann steht es nur rum.“ Ich lehne mich wieder zurück, dann nimmt die Zahnarzthelferin die rotierende Bürste und surrt damit über meine Zahnreihen. „Ich schenke immer was zum Essen. Entweder ist es dann weg, oder es ist abgelaufen und muß weggeworfen werden“, sagt sie. „Ah“, sag ich, weil man mit einer Polierbürste im Mund nicht viel mehr sagen kann. Aber das ist eine Lösung, Geschenke mit einem Haltbarkeitsdatum möglichst innerhalb des nächsten Monats, oder noch kürzer. Damit gibt man sich selbst nicht die Blöße, jemanden komplett falsch eingeschätzt zu haben, und man zwingt niemanden, etwas zu besitzen, was er freiwillig nie besitzen würde, und bei der Übergabe auch noch ein erfreutes Gesicht zu machen. Ich muß das nur noch meiner Umgebung beibringen.