Wenn man, wie ich, gerade mal wieder viel auf Reisen ist, lebt man eigentlich in der ständigen Angst, etwas zu vergessen. Es gibt Dinge, die kann man guten Gewissens vergessen: Zahnpasta, Socken und Kopfschmerztabletten kann man an so ziemlich jedem Ort der Erde günstig und schnell beschaffen. Kein Problem. Dann gibt es Dinge, die sind schon deutlich schwerer ersetzbar: Alles, was irgendwie angepaßt ist wie Brillen, Prothesen, verschreibungspflichtige Medikamente. Blöd, wenn man sowas liegenläßt, man muß in fremden Apotheken radebrechen oder rennt am Abend, nachdem man seine Kontaktlinsen herausgenommen hat, halbblind durch die Gegend. Vergeßlichkeit ist keine Behinderung, aber durch die Folgen, die sie nach sich zieht, fühlt man sich mitunter deutlich eingeschränkt, körperlich wie geistig.
Und dann gibt es diese ganz besondere Sammlung von Gegenständen, die ich immer dreimal durchschaue, bevor ich mich auf dem Weg mache. Das ist die Technikperipherie, also: Kartenlesegeräte, Akkus, Netzkabel und Verbindungskabel. Wenn man mir vor zehn Jahren gesagt hätte, daß ich mit nicht weniger als fünf verschiedenen Kabeln auf die Reise gehe, ich hätte jeden für verrückt erklärt und vermutlich die Zukunft verweigert.
Es ist ja so gut wie alles in dieser Welt irgendwie DIN- oder sonstwie genormt, nur das Netzgerät im Allgemeinen nicht. Ich habe ein Netzgerät für mein Mobiltelefon, das einigermaßen klobig ist und im Ausland leider auch noch einen Adapter benötigt. Ich habe ein Netzgerät für mein MacBook, das auch einigermaßen klobig ist, aber immerhin ohne Adapter auskommt. Ich habe drei verschiedene Ladegeräte für drei verschiedene Kameraakkus, keines davon klobig, und zwei benötigen einen Auslandsadapter. Der iPod will auch Strom, und zwar klobig und adapterfrei. Alle diese Kabel liegen und stecken irgendwo in der heimischen Wohnung herum, und müssen bei Antritt der Reise von ihrer Steckdose abgenommen, entwirrt und zusammengerollt werden. Aus Gründen der natürlichen Arbeitssedimentbildung verlaufen viele der Kabel zwischen Bücherschluchten und durch Untertunnelungen in Schreibtischanordnungen hindurch, und ein Entfernen sorgt für bedrohliche Erosion der fragilen Anhäufungen. Die Geologie meines Schreibtisches gerät in eine Aufruhr, die, um im Bild zu bleiben, erdbebenähnliche Verwerfungen nach sich zieht. Daß das für meine Arbeitslandschaft nicht gerade von Vorteil ist, dürfte sich von selbst verstehen.
Wenn dann für alles, was unterwegs mit Energie versorgt werden muß, ein Kabel eingepackt ist, will die Technik noch untereinander kommunizieren. Dazu muß man sie zusammenstecken, und zwar mittels verschiedener Kabel mit verschiedenen Anschlüssen. Als Joker ist es immer gut, ein Kartenlesegerät und einen USB-Stick dabei zu haben: Ersteres hilft, falls ich das Kamerakabel vergesse, zweiteres ist sowieso immer gut, wenn es kein Internet gibt (oder jemand dabei ist, dessen Computer den Anschluß verweigert) und Daten von einem Computer auf den nächsten transferiert werden müssen. Dann wäre ein Kopfhörer gut, eine zweite SD-Karte, Autoladekabel, Zweitakkus von so ziemlich allem und – kurzes Innehalten – hab ich was vergessen?
Die Folgen sind ja schrecklich. Kein Telefon – das hatte ich schonmal und bin durch Rom geirrt, weil ich den Treffpunkt nicht gefunden hab. Kein Kamerakabel – und dann verursacht das Kartenlesegerät dauernd seltsame Fehler. Keine zweite Speicherkarte, und ich steh mitten im Getümmel und lösche Bilder, was dazu führt, daß der Akku bald leer ist. Kein zweiter Akku – Katastrophe! Ich stehe in der Altstadt von Siena und muß mit der Kamera des Begleiters vorlieb nehmen, die, milde gesagt, meinen Ansprüchen nicht so ganz entspricht. Hatte ich alles schon, war jedes Mal furchtbar und brauche ich nicht mehr. Lieber ein Kabel zuviel, eine Speicherkarte zuviel, ein Akku zuviel, für alles Doppellösungen, immer schön Backup für alles. Das Leben in der Moderne ist ja ein einziges Backup, weil man dauernd damit rechnet, daß irgendetwas aus heiterem Himmel versagt, man es nicht nachkaufen kann, weil es erst bestellt werden muß, was einem in dem Moment gerade wenig nützt. Und wenn ein Teil versagt, steht man da und kann nichts, aber auch gar nichts machen, man ist machtlos, da sind die Daten, dort müssen sie hin und man kann sie nicht händisch verarbeiten, diese fiesen kleinen Einsen und Nullen, aus denen alles besteht, was man als Arbeit bezeichnet.
Da meditiert man dann vor der Abreise über dem geöffnetem Koffer voller Socken und Zahnpasta und geht das durch, was neudeutsch „Workflow“ heißt. Bild auf Karte, Strom von Akku, Karte in Lesegerät, Bild auf MacBook, Strom in Macbook, okay. Das müßte jetzt passen. Das ganze, aus der heimatlichen Arbeitsumgebung herausoperierte Geraffel muß dann in eine Tasche, wo es sich nicht verheddern kann, es aber trotzdem unweigerlich tut. Kabel verheddern sich immer, wenn man ihnen kurz mal den Rücken zudreht, und anschließend verknoten sie sich mit den Kopfhörern zu einem schwarzweißen Spaghettiberg, den man nur entwirrt bekommt, wenn man früher Handarbeitsunterricht hatte oder drei Semester Makramee studiert, aber immerhin weiß man jetzt, wofür man diesen Topflappenblödsinn mal gelernt hat. Das kommt dann alles in Taschen, deren Seitentaschen groß genug sind für klobige Netzgeräte, Taschen, die sich ihre Praktikabilität teuer bezahlen lassen, aber Knoten gibt es natürlich trotzdem.
Dann kommt man an im fernen Land, mit Zweitakku, Zweitkabel, Backuplösung und Backuplösung für die Backuplösung. Nichts kann schief gehen. Sogar die Brille ist da, Kopfschmerztabletten und Tampons (haben Sie das schonmal in einer italienischen Apotheke vortanzen müssen, weil Sie das Wörterbuch auch vergessen hatten? Unvergeßliches Erlebnis) und es kann nichts, aber auch wirklich gar nichts schief gehen. Die Technik kann gar nicht so fies sein, irgendwas muß funktionieren. Und dann, an genau diesem Punkt, setzt wieder die menschliche Schwäche ein, das Versagen, das Vergessen. Zwar wurde der richtige Akku der richtigen Kamera und dem richtigen Ladegerät zugeordnet, zwar konnte alles erfolgreich entwirrt und untereinander verkabelt werden, aber: Der Adapter liegt noch zu Hause. Es ist Samstag Abend. Sie fluchen. Sie hassen Sich selbst, ihr unzuverlässiges Gehirn, Sie hassen diese ausländischen Länder, die sich nicht an die deutsche Industrienorm halten und Steckdosen mit drei Löchern bauen, und vor allem hassen Sie diese verdammte, verfluchte Moderne, die wieder einmal nicht hält, was sie verspricht in Sachen Vereinfachung, Globalisierung und Ladenöffnungszeiten. Das MacBook funktioniert zwar, aber den Akku für die Kamera können Sie nun nicht laden. Haare fönen fällt auch aus. Man weiß auf Anhieb nicht, was schlimmer ist.
Ach uebrigens, Frau Diener, im...
Ach uebrigens, Frau Diener, im Elektroidiotenhaus liegen beim iPod-Zubehoer Stromadapter fur fast alle Steckdoesen der Welt PLUS ein Teil um via USB iPods u.A. aufzuladen. Ich glaube aber, dass Sie das schon wissen.
Sie sind eben ein Profi. Als...
Sie sind eben ein Profi. Als Amateur reicht mir seit einigen Jahren die Handykamera mit 3,2 MP. Ich HASSE Kabelsalat. Das käme insbesondere auf Reisen für mich nicht in Frage.
Denkt euch bitte was Neues aus, liebe Elektrotechniker…
Seit einigen Jahren bin ich...
Seit einigen Jahren bin ich auch immer mit Kabeltasche unterwegs. Fürs ankommen und am Zielort klappt es jetzt einigermaßen, nur wenn ich wieder zuhause bin, fehlt doch meistens etwas. Dann wird das Beherbungsunternehmen auf seine Servicequalitäten geprüft… Nette Hotels schicken dann ganz schnell die liegengebliebenen Telefonladekabel, Netzgeräte etc. Wenn ich mehr reisen müsste, könnte ich Kabel-nachsende-service-tests veröffentlichen…
„Arbeitssedimentbildung“ – danke für dies erlösende Wort!endlich wird klar, dass es sich dabei um einen Vorgang von naturgeschichtlichen Dimensionen handelt, und dass all meine Aufräum-und Sortieraktionen nur ein kurzes Innehalten dieses erdgeschichtlichen Prozesses bewirken können.
Filou, bislang bestreite ich...
Filou, bislang bestreite ich mein Leben und meine Reisen noch ohne Taschenmesser. Aber nur selten ohne Nähzeugs, und da findet sich oft das Nötigste, aus dem sich zumindest ein Provisorium zusammenflicken kann. (Aus Haarklammern kann man auch ganz schön viel bauen.)
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Leser, das mit der Zweitausstattung hab ich mir auch überlegt. Jedenfalls bevor ich Leica-Kunde wurde. Wenn mir nicht der freundliche Fachhändler seinen Privatakku geliehen hätte (er muß jetzt wieder analog), hätte ich bis heute nur einen und wäre vermutlich sehr unglücklich. Manche Firmen leben in einem seltsamen Planwirtschaftsloch.
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Davon abgesehen, Chris, bin ich mit meiner M9 sehr froh. Ich habe gerade die erste Reise seit zwei Jahren absolviert, bei der ich keine roten Striemen auf der Schulter davongetragen habe. Aber auch sonst. Endlich bin ich wieder selbst schuld daran, wenn Bilder nichts werden, und nicht irgendeine Automatik.
Dieser Beitrag war ein reines...
Dieser Beitrag war ein reines Déjà-vu-Erlebnis für mich…
<p>Um das Problem mal auf eine...
Um das Problem mal auf eine Meta-Ebene zu heben (und ansatzweise zu lösen):
Für mich wichtige Informationen lagere ich seit Jahr und Tag auf meinen immer in Griffweite befindlichen Palm-Organizer aus (alt, aber robust und simpelst zu bedienen, heutzutage gebraucht für ein Handgeld zu haben).
Mit dem wunderbaren Freeware-Progrämmchen HandyShopper führe ich darauf nicht nur Einkaufs-, sondern insbesondere auch (filterbare) Universal-Checklisten für Dienst-, Camping-, Kurz- und Fernreisen. Da stehen von der Socke bis zur Sonnenbrille sämtliche Gegenstände abhakbar drin, die ich mitnehmen will, soll oder muß. Was im Koffer ist wird abgehakt und verschwindet zunächst vom Display, beim Rücksetzen vor der nächsten Reise ist wieder alles gelistet.
In der Praxis gereift und ständig fortgeschrieben, komme ich dank dieser Listen mittlerweile so gut wie nie mehr in die Lage, unterwegs irgendetwas Wesentliches zu vermissen. Weil ich nichts vergessen habe! Der Witz besteht schlicht darin, einmal gemachte Erfahrungen zu dauerhaft nutzbaren (und wieder auffindbaren) Checklisten gerinnen zu lassen, und das funktioniert mit meiner Methode ganz außerordentlich gut!
Kreative Puristen mögen einwenden, daß ich mich damit um manch spannendes (Beschaffungs-)Abenteuer in der Fremde bringe, aber das nehme ich billigend in Kauf… 😉
Ich habe zu meine notebokk...
Ich habe zu meine notebokk Tasche noch einen Kabel, Stecker und Adapter Rucksack!
Wir sind selber schuld, wenn wir uns so zu Sklaven machen.
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Hatte dann auf meiner letzten Reise nur die gute alte Silberoxyd-Kamera dabei.
Leider keine Leica!
Sorry, aus irgend einem Grund...
Sorry, aus irgend einem Grund hat es in meinem vorherigen Kommentar die beiden Links geschossen, die ich daher nochmals separat nachreiche:
Palm Organizer: https://www.klein-aber-fein.de/palm/
HandyShopper: https://handyshopper.softonic.de/palm
Nix für ungut, hatte zwar sehr sorgfältig gegengelesen, war aber wohl doch noch ein Fehler drin…
Herr Zonebattler, kurz...
Herr Zonebattler, kurz zwischendurch: Bitte kein html in den Kommentaren! Das kann dieses etwas kuriose System hier nicht, wandelt es in Hieroglyphen um und ich muß das dann immer händisch umfrickeln. (Aber das System sagt ja auch dauernd „der Blog“.)
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Herr Beethoven, im Gegensatz zu Ihnen warte ich sehnsüchtig auf drahtlosen Strom. Diese Kabelkaskaden in den Wohnraumecken sind wirklich kein schöner Anblick. Und vielleicht kann man sich dann auch im Notfall beim Nachbarn bedienen, wie beim Wlan, das immerhin zwei Zeitgenossen hier unverschlüsselt herumfunken lassen.
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Adapterrucksack. Respekt.
Wohnungsästhethisch, Frau...
Wohnungsästhethisch, Frau Diener, bin ich ganz bei Ihnen. (re. Kabellosigkeit und drahtloser Strom)