Der George-Clooney-Verschnitt von einem Kellner stellt den Teller mit Tortelli di Zucca vor mich hin und sagt was von Bicicletta und bellissima, und da hat er natürlich recht. Das Fahrrad ist wirklich sehr, sehr schön. Wo ich das gekauft habe? In Mantua, sag ich. Dann widme ich mich den Kürbis-Tortelli, die wie immer süßlich und zimtig schmecken, wie sie nur in dieser Gegend schmecken, und am allerbesten in Valeggio. Die Geschichte, die ich nun so beim Essen erzählen könnte, beginnt folgendermaßen: Vor drei Jahren habe ich meine Liebe zu italienischen Fahrrädern entdeckt. Nicht diese hochgezüchteten Rennmaschinen, sondern die bequemen Stadträder, auf denen man mit dem Schirm in einer Hand, wehender Krawatte und würdevoller Positur über Kopfsteinpflaster fahren kann. Fahrräder, die am Lenker einen Zeitungshalter haben. Fahrräder, wie es sie in Deutschland seltsamerweise nicht gibt.
Das ist auch der Grund, warum ich an einem Erbstück meines Großvaters festhalte, einem Damenrad der Marke „Saalburg“ aus dem Jahr 1954. Er fuhr es, bis er 86 Jahre alt war, dann war ich 16 und übernahm es in meine treue Fürsorge. Vor ein paar Jahren habe ich einige Teile auswechseln lassen, und der liebevoll bemühte Fahrradschrauber hat auch ein neues, altes Speichenschloß aufgetrieben. Mein Fahrrad ist prima. Es liegt auf der Straße wie ein Sofa und fährt über Waldwurzeln, als wäre es genau für diesen Zweck gebaut. Ein paar Nachteile hat es trotzdem, und der größte ist eine eher symbolisch zu nennende Bremse. Das Licht ist eine ewige Baustelle. Das Kettenblech ist winzig, was sicher einmal sehr elegant war, aber leider auch ein völlig rostiger Rockfresser. Schon seit einigen Jahren suche ich einen Nachfolger, aber in Deutschland wird man, sobald man etwas halbwegs stilvolles sucht, leider gleich arm. Also Italien, Land der Lenkerkörbe und Bakelitgriffe, und dort zu Bertoi in Mantua.
Nun kommt leider das Problem hinzu, daß ich mit meinem Reisebegleiter eine Art wandelndes Fachbuch für fortgeschrittene Fahrradtechnik dabei habe. An so ziemlich allem, was ich schön finde, hat er etwas auszusetzen, vermutlich sogar an meiner Forderung, dem Verkehrsgeschehen einigermaßen aufrecht entgegenzutreten anstatt gebückt wie der Affe auf dem Schleifstein, wie es zur Zeit ja modern ist, Hintern über Kopf. Ich deute also auf eins dieser klassischen Modelle, das mir keine Nackenstarre verursacht, eins mit diesen wunderbaren, in den Lenker integrierten Bremsen und halbwegs breiten Reifen, die nicht gleich in jeder Asphaltritze steckenbleiben.
Damit kann man nicht sportlich fahren, murmelt er und hebt zu einem Vortrag an, und ich hebe meinerseits zu einem Vortrag an darüber, daß sowas ja nur von einem Sonntagsfahrer wie ihm kommen könne, denn im Frankfurter Stadtverkehr kann man ohnehin nicht sportlich fahren, außerdem habe ich keinen Ehrgeiz außer dem, mein Ziel möglichst unverknittert und unzerzaust zu erreichen. Für mich ist das Fahrrad ein Transportmittel und kein Sportgerät, und immer, wenn ich diesen Sportfahrern mit dem stieren Blick begegne, umfahre ich sie möglichst großräumig. Die haben ja alle neben albernen Höschen auch eine eingeschränkte Wahrnehmung, und ich habe wegen so einem sportlichen Kurvenschneider schonmal in die Brennesseln ausweichen müssen. Ich möchte das Erlebnis nur ungern wiederholen. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich mich überhaupt echauffiere, denn der Begleiter hat letztens mit allerlei Ausreden ein Mountainbike gekauft, auf dessen Lenker „Race Face“ steht. Damit ist man ja eigentlich von vorneherein in Stilfragen disqualifiziert.
Ich ignoriere also alle Ratschläge (ich wußte schon immer, daß diesem Wort etwas subtil gewalttätiges innewohnt) und lasse mich lieber vom Meister des Hauses beraten, der mir erst einmal grundsätzlich zu einem 28-Zoll-Rahmen rät. Auf solche simplen Basishinweise kommt der Experte der Fahrradtechnik natürlich wieder nicht. Gut, den Rahmen gibt es von der Hausmarke mit allen Ausstattungen, die ich haben will, und zwar innerhalb von zwei Tagen. Wunderbar, paßt. Dann hätte ich gern cremeweiß, brauner Brooks-Sattel, helle Bakelitgriffe und natürlich einen Portagiornale, einen Zeitungshalter. Der Hobbyexperte verzieht sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Gesichtspartien. Bakelitgriffe sind prima, sag ich, ich fahre seit zwanzig Jahren mit nichts anderem. Wenn man anständig aufrecht sitzt, belastet das ja die Handgelenke nicht. Weitere Gesichtsentgleisungen sind die Antwort.
Der Meister des Hauses notiert meine Bestellung und drückt mir einen Zettel in die Hand, auf dem die stolze Historie des Hauses aufgezeichnet ist. Großvaters Name Umberto Bertoi steht bis heute auf den Rädern, dann kam Anselmo, dann Fabrizio, das bin ich, sagt der Meister, und nun ist der Sohn Luca mit im Laden. 1905 begann man mit der Fahrradbauerei, das geht bis heute. Also kann ich annehmen, daß ich eine halbwegs erprobte Angelegenheit erwerbe.
Soweit der Kauf und die Tortelli di Zucca in Valeggio, dem kleinen Städtechen am Mincio, die nach dem Vorspeisenteller zwar kaum zu bewältigen sind, aber mit der Überfüllung ist immer noch einfacher zurechtzukommen als mit einem hungrigen Magen angesichts des überbordenden Antipasti-Buffets. George Clooney will nochmal genau wissen, wo das Fahrrad her ist und was es gekostet hat. Ob ich es ihm verkaufe? Nie!
Jetzt muß das Ding nach Deutschland, und zwar mit einem viel zu kleinen, offenen Auto mit zwei Sitzen und Heckgepäckträger. Hm, sagte Meister Fabrizio dazu und schickte dann seinen Assistenten los, Plastikfolie und Paketklebeband holen. Mein erstes Auto war ein Fiat Spider, sagt er. In rot. Na dann. Mit drei Spanngurten und einiger Klebearbeit fixierte er die Angelegenheit und wünschte uns eine gute Fahrt. Hoffentlich regnet es nicht, sagt der Begleiter, aber immerhin hat er seine Gesichtszüge wieder halbwegs im Griff angesichts der Tatsache, daß sich wegen des Fahrradlenkers das Verdeck nicht schließen läßt. Das hat das Verdeck nun mit den Türschlössern gemeinsam, auch wenn bei denen der Grund woanders liegt. Deshalb müssen wir auch an einem Ort essen gehen, wo wir das offene Auto halbwegs im Blick haben. Und wenn wir es nicht im Blick haben, weil wir in die Tortelli starren, steht George Clooney am Eingang herum und guckt auf die Straße.
Das Fahrrad fährt also von Mantua nach Valeggio, dann an den Gardasee, dann über die Autobahn durch Südtirol durch nach Sterzing, über den Brenner nach Innsbruck und über Garmisch und München in die bayerische Provinz. So ungefähr ab Sterzing wird es kühl. Die Heizung im Auto ist irgendwie seit einiger Zeit nicht so gut in Form, und ich kaufe lieber mal noch ein paar Socken. Ein zweiter Pullover wäre auch gut, aber der ist im Kofferraum unter dem Fahrrad und damit unerreichbar. Wir ziehen uns Lederkappen in die Stirn und vermummen die Gesichter mit Schals, die Augen bebrillt und die Finger in dicken Handschuhen. Wir kaufen Hustenbonbons. Wir leiden ein bißchen und versichern uns gegenseitig, daß es eigentlich gar nicht so schlimm ist. Am Brenner ist es kalt, und wir brausen stumm durch. Meine Beine frieren, nur mein linker großer Zeh wird geröstet. In Garmisch liegen Schneeplatten neben der Straße. Es zieht. Die Autobahn ist auch nicht geheizt. Wenigstens regnet es nicht.
Was die Sperrigkeit meiner Urlaubssouvernirs angeht, schlage ich den Begleiter jedenfalls bei weitem, der es während einer letztjährigen Reise immerhin zu einem Porzellan-Früchtekorb, einer Porzellanterrine, einer Espressomaschine und einer Madonna Immaculata gebracht hat. Jedes Mal denken wir, zur Not lassen wir halt was stehen. Und jedes Mal funktioniert es dann doch. Diesmal sogar mit Fahrrad, und neun Paar Schuhen, wenn ich richtig gezählt habe. Neun! Aber das ist nicht meine Geschichte, da fragt ihr den Begleiter besser selbst. Ich für meinen Teil fahre das Fahrrad heute noch nach Frankfurt, und dann fährt das Fahrrad hoffentlich mich. Durch Frankfurt, und zwar völlig unsportlich und ohne Race Face. Der Transport war mir in diesem Fall Sport genug.
<p>Dolby, das ist zum...

Dolby, das ist zum Transportieren von Zeitungen am Lenker gedacht.
Liebe Frau Diener, sie haben...
Liebe Frau Diener, sie haben mich auf eine fabelhafte Idee gebracht. Ich wollte mir sowieso ein neues Fahrrad kaufen, aber das hätte ich viel weniger stilvoll gemacht. Ich hatte vor, mit meinem Koga Miyata einfach zum Fahrradhändler im Dorf zu gehen und zu sagen: ‘Bitte ein Neues von der gleichen Sorte.’ Auf Grund Ihres charmanten Artikels habe ich jetzt beschlossen, mit dem Familiendienstwagen nach Italien zu fahren und mir einen Zeitungshalter mit Fahrrad zu kaufen. Zum dortigen Fahrradhändler werde ich dann sagen: ‘Bitte so eins wie für Frau Diener, aber in dunkelgrün, sie wissen schon, so eine Sportwagenfarbe.’
Ein sehr schönes Fahrrad...
Ein sehr schönes Fahrrad !
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Ich besitze noch ein altes Adler-Fahrrad.
Auch zum Aufrechtsitzen in ähnlich solider Ausführung.
Made in Frankfurt.
Es ist wahrscheinlich noch Vorkriegsware.
Dreigangkettenschaltung mit Rücktrittbremse.
Allerdings ist es komplett restaurierungsbedürftig.
Kann hier jemand eine Empfehlung abgeben zur Fahrradrestaurierung ?
Tiger, die dunkelgrünen...
Tiger, die dunkelgrünen („verde inglese“) gab es nur als Sonderedition und leider nicht mehr in 28 Zoll. Ansonsten gehen Sie einfach zu jedem Fahrradhändler südlich des Gardasees (die Kulturgrenze der schönen Fahrräder verläuft nördlich von Breschia) und sagen: Un modello classico, per favore. Und Ihnen wird sicher gern geholfen.
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Reiterjunge, sind Sie in Frankfurt? Dann gehen Sie zu HexHex in der Gutleutstraße, die kann ich wärmstens empfehlen.
Frau Diener, vielen Dank für...
Frau Diener, vielen Dank für den Tip !
Ich werde mir die Werkstatt einmal ansehen.
Dann kommt das Rad mal wieder zurück ins Gutleutviertel.
Dort waren nämlich die Adlerwerke.
Wunderbare Geschichte,...
Wunderbare Geschichte, wunderbares Fahrrad!
Gibt es auch eine Großaufnahme der Barchetta inklusive Rad?
Das habe ich gerade für den...
Das habe ich gerade für den sportlich orientierten Reisebegleiter gefunden:
https://www.fahrradclassica.de/8.html
Ein Must-have für den Fan der Marke.
Ich denke schon, dass man auch...
Ich denke schon, dass man auch in Deutschland gute Fahrräder kaufen kann – allerdings wohl ohne den reizenden Zeitungshalter am Lenker. Aber ein schlichtes, ganz unspektakuläres Stadtrad der Marke Triumph tut es für meine Zwecke allemal. Wichtig finde ich, dass Rad im Bedarfsfall schnell repariert zu bekommen (ohne bin ich nur ein halber Mensch). Mein örtlicher Fahrradhändler, bei dem ich schon einige Räder gekauft habe (zwei wurden geklaut), kennt mich inzwischen mit Namen, schickt mich für eine Stunde ins Café um die Ecke und schon ist das Rad wieder betriebsbereit. Das macht er allerdings nicht bei Leuten, die mit ihren Tschibo- oder Aldirädern ankommen. Auch hasst er das ständige Gefeilsche nach dem Motto: „Im Internet gibt´s das Rad aber 100 € billiger.“ Da zahle ich lieber etwas mehr, habe aber dafür einen guten Service. Aber was machen Sie mit den Einkäufen, Frau Diener? Brauchen Sie keinen Fahrradkorb?
danke an alle Kommentatoren,...
danke an alle Kommentatoren, ich kann mich vor Lachen fast nicht mehr einrenken
so wird man dann auch 120 wie 20. Ja die Bremse an der Lenkstange und ein Rücktritt und nur nicht zu viele Gänge das gibt dann das perfekte Freiheitsgefühl
und Frau Diener Sie werden sehen es werden jetzt viel mehr Anfragen bezügl.
dieses Rades sein und das ist doch ganz in dem angedachten Sinne
@Don Ferrando Sie haben dass...
@Don Ferrando Sie haben dass mit dem Fahrradspleen unseres Don überhaupt
nicht geschnallt! Da müssen Sie schon eine gute psychologische Schule hinter sich
haben um das zu durchschauen. Schöne Grüße und gutes radeln