Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Gemeinsam ausgeübte Eleganz: Im Ballsaal

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Selten sind sie geworden, die wirklich feierlichen Anlässe, die Bälle in großer Robe. Viele von ihnen wurden durch informelle Parties oder andere Formen des Zusammenkommens ersetzt, aber für einen Ball gibt es im Grunde keinen Ersatz. Er ist der textile Ernstfall, die größtmögliche Anstrengung in Eleganz, und dabei sogar generationenübergreifend. Eins steht jedenfalls fest: Mit Coolness kommt man dort nicht weit.

Dem Alltag des gemeinen Mitteleuropäers gebricht es an Eleganz. Und nicht nur dem Alltag: Die Gelegenheiten zum Aufrüschen sind selten geworden, die Rahmen informeller, der Kegelverein in der kleinen Stadt feiert lieber Sommer-Cocktailparties statt Bälle, und der Rest von Büro bis Oper wird mit weißem Hemd oder weißer Bluse absolviert. Oder einem diffusen Kleidungsstück namens „Oberteil“. Paßt immer. Wie praktisch.

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Kein Wunder, daß Modeblogger Scott Schuman (aka. „The Sartorialist“) in Berlin nur eine einzige fotografierenswerte Frau gefunden hat. Einen veritabler Skandal, befand Ulf Poschard unlängst in der Welt. Und der Schuldige ist sogleich ausgemacht: Die Unterschicht sei schuld und die Mittelschicht auch, denn die Oberschicht würde ja gern, traue sich aber nicht mehr angesichts der grassierenden Reichendiskriminierung in diesem Land. „Die Wurschtigkeit im Umgang mit der eigenen Erscheinung ist auch Ergebnis einer Ideologie gleichgeschalteter Scheußlichkeit“, findet Poschardt. „Deren Vertreter machen sich über Menschen mit Hermèstaschen, Yves-Saint-Laurent-Kleidern und -Hüten zunächst lustig, isolieren sie dann als Störenfriede und wollen sie schließlich mit Reichen- und Vermögenssteuer in das Elend der Mittelstandsmode zurückdrängen. Dass sich wohlhabende Bundesbürger von derlei Missgunst verschrecken lassen, ist armselig.“

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Scott Schuman wie wild draufgehalten hätte, wenn mehr Menschen in Berlin Kelly-Bags mit sich herumtrügen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich der mißgünstige Mittelständler überhaupt in der Lage sieht, eine echte Kelly-Bag von einer der vielen Nachahmungen zu unterscheiden, die dieser Tage an den Handgelenken kursieren. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Poschardt bewußt ist, wie wenig echte Eleganz mit High-Fashion-Marken und deren gelabelten Insignien zu tun hat, die längst zu hirnlosem Consumerluxus abgesackt sind, den die Zahnarztgattin aus dem Vordertaunus tütenweise in ihren falschgeparkten Cayenne stapelt. Gleichschaltung findet ja nicht nur unten statt.

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Doch verlassen wir Berlin und das bedauernswerte Medienprekariat und begeben uns einmal auf einen Ball, diesen Hort der eleganten und stilvollen körperlichen Betätigung. Auch ich habe selten genug Gelegenheit dazu, und es ist zugegebenermaßen ein etwas exotischer Ball, nämlich der Spring Ball des Frankfurt Scottish Country Dance Club. Irgendeine Art von Sport muß der Mensch ja treiben, und die gemeine Muckibude ist mir ziemlich zuwider, wovon beizeiten noch zu berichten sein wird. Sport also, der in Abendkleidung getrieben wird, mit gediegener Kapelle auf der Bühne, Blumen auf dem Tisch und den ganzen ritualisierten Formen des Aufforderns und Ineinanderrumpelns auf der Tanzfläche.

Von Bällen hört man ja schon als Kind, wenn Aschenputtel dort im schönsten Gewand aufrauscht, dem Prinz das Herz stiehlt und ihm dafür einen Schuh hinterläßt. Man liest davon, wie mysteriöse Mr. Darcys das Sozialleben eines kleinen, britischen Landnests und diverse Frauenherzen durcheinanderbringen. Bälle gehören zu einer diffusen, längst vergangenen Epoche, es umgibt sie die Aura allerhöchster Festlichkeit, und das einzige, was noch mehr Garderobenaufwand verlangt, ist die Krönungszeremonie eines europäischen Monarchen. Im Alltag wird man oft belächelt, wenn man mit Fächer, Blume im Haar und Spitzenhandschuh ausstaffiert durch den Tag stolziert, auf dem Ball ist es normal und sogar praktisch. Der Fächer kühlt, der Handschuh schützt vor der Schweißflosse des Tanzpartners, die Hochsteckfrisur ist die reine Notwehr in Sachen Verzottelung.

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In prüderen Zeiten war der Tanz eine der wenigen Möglichkeiten, Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht zu pflegen. Inzwischen hilft er eher, gegen die grassierende Partycoolness anzukämpfen, die vermutlich auch nichts weiter ist als verkappte Unbeholfenheit und Ausrede dafür, nichts wagen zu müssen. Everyone would prefer not to. Beim Ball muß man ran, denn Eckestehen, Bierflaschehalten und Klugschwätzen gilt nicht als Partizipation. Dabei hilft es, wenn den Tänzen Standardschritte und Figuren zugrundeliegen, das heißt, der Tänzer muß sich nicht auf die Attraktivität seines Ausdrucks verlassen, wie es in vielen Discotheken allabendlich so fürchterlich in die Hose geht. Er muß nur aufpassen, der Partnerin nicht auf die Füße zu treten und kann sich ansonsten auf die Ausführung erlernter Schrittfolgen beschränken. Das kann sehr befreiend sein, erfordert aber minimale Beschäftigung mit den Grundtechniken. Im Falle des Spring Ball auch das handfeste Auswendiglernen komplexer Figuren und schnelles Spicken, bevor es losgeht. Wenn am Ende alle am richtigen Platz sind, ist das Erfolgserlebnis umso größer. 

Im Übrigen sind Bälle eine generationenübergreifende Angelegenheit, bei der Jung und Alt zusammenkommen, das unterscheidet sie von den meisten Parties, die eine eher eng umrissene Zielgruppe haben. Die Party wird in jeder Generation neu erfunden, oder zumindest vermeintlich, die Regeln des Balles dagegen stehen fest. Die Alten kennen sie, die Jungen lernen sie, ein ganzes Handlungsrepertoire: Kichernde Mädchen mit Puderdosen in den Toilettenräumen, Blickkontakte, Verbeugungen, erste Tänze, erschöpfte Pausen, Erfrischungen, Blumen, Schleifen. Und natürlich gibt es auch noch Tanzlisten. Leider eher profane Papierlisten, nicht mehr in Form von Tanzfächern. Ich besitze ein Exemplar vom Flohmarkt, eine junge Dame tanzte im Januar 1911 in Breslau mit ziemlich vielen Herren, die ihr Sinnsprüche, Gedichte oder einfach Grüße hinterließen. Die Schrift wurde eingebrannt mit etwas, was in meiner Jugend Brennpeter hieß, womit man in der Bastelstunde hölzerne Brettchen oder andere Scheußlichkeiten verzieren und der Mutter zum Muttertag schenken konnte. Ob die wohlhabenden Bundesbürger wohl noch Tanzfächer benutzen, wenn sie in Yves-Saint-Laurent-Kleidern ihre festlichen Anlässe begehen? Oder hat die allgemeine Mißgunst sie auch davon schon abgehalten?

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Eleganz, so meine Ansicht, unterscheidet sich nicht groß von anderen Künsten, denn sie entsteht durch den Willen zur Form. Ein kompromißloser Wille. Lässigkeit zählt nicht, Faulheit nicht, Nachlässigkeit nicht. Es ist eine gemeinschaftliche Verabredung, einen Rahmen zu schaffen, in dem nur das formvollendetste gerade gut genug ist. In seiner „Analysis of Beauty“ zeigte Hogarth im Jahr 1753 als Plate II eine Tanzszene: „The Country Dance“ heißt das Blatt (und hier schließt sich der Kreis aufs Schönste). Von schätzungsweise acht tanzenden Paaren gelingt es nur einem, dabei eine halbwegs gute Figur zu machen, der Rest kämpft mit den Gliedmaßen und Proportionen des eigenen Körpers oder denen des Tanzpartners. Niemand fragt nach dem Preis des Kleides. Die Marke der Schuhe interessiert keinen. Die Maxime des „viel hilft viel“ stimmt hier nicht. Es ist ein flüchtig Ding, diese Eleganz, die Hogarth meint und Blogger Scott Schuhman ablichtet, sie läßt sich nicht herbeiwünschen und zwingen schon gar nicht. Man kann versuchen, sich zu verabreden, um sich gemeinsam anzustrengen, das ist der Ball. Man kann es im Privatleben versuchen, welcher Schicht auch immer man angehört. Und manche, das tut mir leid, das so hart sagen zu müssen, haben einfach nicht besonders viel Talent zur Eleganz. Aber auch darin unterscheidet sie sich nicht von anderen Künsten.


45 Lesermeinungen

  1. Filou sagt:

    Es ist mitten in der Nacht....
    Es ist mitten in der Nacht. Nein, es ist gar schon etwas weiter. Sie ruehren da an etwas, das weit zurueckliegt und mit sehr viel Peinlichem verbunden ist.
    Ja, gibts das wirklich noch? Keine Ahnung. Alles ist so fern. Auch der damentliche Aufwandt, der schnoeselige Friseurbesuch, der Anstandsunterricht beim Tanzlehrer-am Ende war es doch nur Makulatur. Eleganz? Ach je! Die Tanzpartnerin, die auf der Schulter des „Herrn“ so den kleinen Finger abspreizte, dass ein Witzbold ihr das Handtaeschchen beim Vorbeitanzen dranhing. Kleinbuergerball. Gekuenstelte Romantik. Abschlussball, bei dem man sich nicht besaufen durfte. Muetter, die guckten, mit wem sich das Toechterchen besonders (!) amuesierte. Furchtbar, furchtbar.

  2. Madrid sagt:

    Das ist schön, Frau Diener....
    Das ist schön, Frau Diener. Man möchte gleich wieder üben.

  3. Inge sagt:

    guten Morgen Andrea, gestern...
    guten Morgen Andrea, gestern hatte ich den Gedanken „der Kongress tanzt“ und
    heute schicken Sie uns den dazugehörigen Ball ja ein Ball ist die schöne Abrundung wenn es politisch und gesellschaftlich zu einem guten Schluß gekommen ist und Eleganz hat man oder hat man nicht das muß von innen kommen und kann auch nicht gelernt werden

  4. Rosinante sagt:

    Liebe Andrea Diener,
    vielen...

    Liebe Andrea Diener,
    vielen Dank, dass Sie wieder da sind. Die dienerlose Zeit war hart. Und Ihr neues Thema ist es nicht minder. Hart und Zart. Sie erinnern mich an einen dunklen Punkt meiner gesellschaftlichen Sozialisation: die Tanzstunde. In der dummen Stadt, wo ich damals wohnte und wuchs, blühte die Ausserparlamentarische Opposition, war das Headquarter der 7th Army Europe der in Vietnam fightenden USA und im Ottheinrichbau des Schlosses fühlte ich mich beim Mittelball der Tanzschule als Jung- (Sehrjung-) kommunist derart deplaziert (natürlich auch schüchtern, gehemmt, die Erziehung verfluchend, im Körper unwohl und in Tanzbewegungen hölzern), dass es über mangelhaften Wienerwalzer, Foxtrott und etwas Tango nie wesentlich hinausging.
    .
    Zu einem Ball gehört der Tanz. Obwohl der Kommunismus rasch ging, wurde der Ball nie mein Ding. Aber dem „harten Kern der Schönheit“ bin ich hoffnungslos verfallen. Und die Generation 2.0 hat gerade erst angefangen.
    Ihr Rosinante

  5. Inge sagt:

    den Fächer den Sie erworben...
    den Fächer den Sie erworben haben ist wunderschön wäre noch von Interesse wem dieser Fächer einst gehört hat und was die besagte Dame für die Gesellschaft
    geleistet hat. Das mit dem Brennpeter habe ich in den Kindertagen noch nicht gekannt Mutter bekam ein mühsam gelerntes Gedicht, die ersten Blumen die im
    garten ihre Köpfchen in die Sonne reckten und einen gedeckten Frühstückstisch.
    Aber ich besitze eine Holzschachtel mit eingebrannter Aufschrift „Inge’s Rundstricknadeln“ von einer ehemaligen Arbeitskollegin einem Mißbrauchsopfer
    die ihre verletzte Seele in der Aidshilfe in Frankfurt geheilt oder zumindest gelindert hat. Hier hat sich wirklich etwas in die Herzen gebrannt.

  6. loreley sagt:

    Irgendwie habe ich das anders...
    Irgendwie habe ich das anders in Erinnerung. Schumann zeigte sich auf seinem Blog ganz begeistert von Berlin.
    https://thesartorialist.blogspot.com/2007/04/im-in-love-with-berlin.html
    Er hat auch mehr als eine Frau fotografiert.
    https://thesartorialist.blogspot.com/2007_04_01_archive.html#7704508479141630097
    Ich erinnere mich deshalb daran, weil es mich interessiert hat, welchen Stil er in deutschen Städten fotografiert. War er inzwischen noch einmal da?

  7. muscat sagt:

    Wir haben Sie vermißt, Frau...
    Wir haben Sie vermißt, Frau Diener. Dafür haben Sie sich nun umso furioser zurückgemeldet.
    Ein Ball – hach! – einmal im Jahr muss das sein (wenn auch nicht unbedingt in Ffm.). Ich liebe es!

  8. Inge sagt:

    noch ein Nachtrag dann bin ich...
    noch ein Nachtrag dann bin ich erst einmal mit Lady unterwegs: ich bin gestern
    auf diesen Gedanken mit dem Ball gestoßen weil es mit den FAZ Seiten nicht anders war: wie ein Wiegeschritt aktuelle Seiten mit älteren Ausgaben verbunden
    so ist es auch beim Tanz ein Schritt vor und einer zurück in einer schönen Schrittfolge und Eleganz ausgeführt eben ein schönes Gesamtbild

  9. Der Tiger sagt:

    In meiner Jugend habe ich...
    In meiner Jugend habe ich Tanzstunde und Bälle gefürchtet. Man musste auf seinem Platz warten bis man von irgendeinem Jüngling aufgefordert wurde. Ich war kein attraktiver Teenager. Deswegen hatte ich vor jeder Runde Angst, als Mauerblümchen vor allen blamiert übrigzubleiben. Sind die Regeln auf richtigen Bällen immer noch so?

  10. Mit großem Vergnügen...
    Mit großem Vergnügen gelesen, bleibt nichts hinzuzufügen!

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