Die Querelen um die Frauenquote betreffen mich direkt – wie mühsam! Unaufgefordert zwingt mich die Debatte, meine Rolle als Frau ernst zu nehmen. Nicht Mensch lässt man mich sein, nein! Du bist eine Frau, brüllen mich die Zeitungen an, und stehst deswegen nicht aufrecht genug in Diskussionsrunden, kannst nicht im Imperativ sprechen und lässt dich unterbrechen. Du willst dich doch in faule Komfortzonen nach ein paar Jahren Pseudokarriere zurück ziehen und dich an einem sonnigen Vormittag am Spielplatz auf einen Latte Macchiato verabreden. Beweis‘ gefälligst, dass du anders bist! Sonst gibt es keine, die wir zur Quotenfrau heran züchten können. Doch liebe Herren, liebe Herrinnen, da mache ich nicht mit. Für kein Kopfstreicheln aus der männlichen Vorstandsebene und auch kein Abzeichen mit rot durchgestrichenem Fötus aus der Riege der Boss-Anzugträgerinnen. Nein, diese Suppe ess‘ ich nicht, denn so bin ich nicht.
Das Geschrei geht morgens vor dem Spiegel schon los. Schmink dich nicht wie eine, die mit tiefem Ausschnitt, dünnen Absätzen und wellenden Haaren, weil morgens eine halbe Stunde unter Lockenwicklern, durchs Büro stolziert! So eine willst du nicht sein, die ein Meeting mit einer Bar verwechselt, wo sie gewohnt ist, den baggernden Männern Körbe zu geben. Dabei noch einen arroganten Blick aufsetzt, als müssten diese Typen selbst merken, dass sie mindestens drei Ligen unter ihr spielen. Ah ah, sie schnippst in die Luft und hält ihnen die Handfläche abwehrend vor die Nasen. Sie hat nicht die letzten zwei Karrierestufen übersprungen, damit hier nun Scherze gemacht werden. Eine Femme Fatale, eine toughe Frau mit postfeministischen Allüren, eine dominante Nervensäge. Wer kann denn so arbeiten? Also nehme ich meine Haarspange, drehe den Zopf dreimal herum und stecke ihn hoch.
Die armen Männer, denke ich, was werden sie doch attackiert zurzeit, dabei wollten sie doch immer nur das Beste für das Unternehmen. Und der Beste ist schließlich nicht nur an Qualifikationen zu messen, sondern auch daran, wer am besten in ihr Team, in ihre Reihen, in ihren Club passt. Sie meinten es doch nicht böse, als sie all die Jahre auf Geschäftsführertreffen in den schönsten Messemetropolen und luxuriösen Hotels, weit weg von Kind und Kegel, lieber unter sich geblieben sind. Das war bestimmt nicht so angenehm, wie es von außen scheint.
„Liebe Herren Vorstandvorsitzende“, so beginnt ein öffentlicher Brief in der Wirtschaftswoche, in dem Personalberater Heiner Thorborg zum Gegenmarsch auf die Frauenquote bläst. „Es geht auch um Ihre Position!“ Thorborg hat den Feind genau erkannt. Die Pfeile werden aus höchster Instanz abgefeuert, dieser verdammt weiblichen Politik, und bringen die warm gesessenen Positionen zum Glühen. Die Armen.
Früher hatten sie es leichter: da rauchte man im Büro und kniff der Sekretärin in den Po, wie in der chauvinistischen Fernsehwelt von „Mad Men“, in der Frauen ihren Platz im Vorzimmer wissen. Die TV-Serie braucht sehr viele Folgen um zu erzählen, wie eine Einzige in der Werbeagentur Sterling Cooper im New York der Sechziger es schafft, ihr Namensschild an die Bürotür zu kleben. Es wundert mich, dass Alpha-Mädchen Stunden mit „Mad Men“ verbringen können, als würden sie auch gerne Ballonröcke bis zur Wade tragen und ihrem schneidigen Chef das Butterbrot schmieren. Wird das Konzept Hausfrauchen & Büromännchen wieder ein Referenzmodell? Tatsächlich habe ich den Satz „Ich suche einen Mann, zu dem ich herunter schauen kann“ noch von keiner gehört.
Pling macht es zu meinen Füßen. Meine Haarspange ist auf die weißen Fliesen gefallen. Wieso bloß, die sitzt doch sonst immer verlässlich? Da sehe ich im Spiegel warum und mag meinen Augen kaum trauen: Meine langen blonden Haare biegen sich langsam nach oben, kriechen den Kopf hinauf als schwebe über mir ein Haar-Magnet und stehen mir dann schließlich kerzengerade zu Berge. Wirklich wahr, genauso ist es geschehen, da steckt keine Baroness von Münchhausen in mir. „Wenn ich jetzt noch die Arme ausstrecke, könnte ich auch „die schwankende Frau“ von Max Ernst sein.“
Der Surrealist malte seine Frauenfigur mit weißem Röckchen und spitzen Ballerinas 1923 vor einem Gerüst, das ihr hölzerne Beine und Metallstangen zur Stütze anbietet. Ob sie davor schwebt oder im Rücken daran befestigt ist wie eine Marionette am Faden, bleibt offen. Die rosa Lippen stehen offen vor Erstaunen, doch ihr Blick ist versperrt, davor hat sich eine Metallstange gebogen. Die Haare stehen ihr zum Himmel. Zwischen zwei metallenen Säulen oder Schornsteinen hat sich der Boden für sie geöffnet, und sie schwebt oder schwankt in Schräglage immer weiter nach oben.
Doch genug der Trugbilder, ich mache mir jetzt die Haare schön. Und zwar ganz so, wie ich sie heute am liebsten habe. Offen, mit leichtem Seitenscheitel, die vorderen Strähnen eingedreht und am Hinterkopf mit meiner Spange zusammen gemacht. Leicht verspielt und beeinflusst von der Empire-Frisur im achtzehnten Jahrhundert. Das passt besser zu meiner Haltung, denn wenn ich in ein paar Jahren mit einem erfolgreichen Mann erfolgreiche Babys haben will, dann kriege ich sie auch, so Gott will. Zumindest denke ich mir das heute. Vor sechs Jahren habe ich an nichts anderes gedacht, als beruflich genau an den Punkt zu kommen, an dem ich heute stehe. Und wenn ich erst ab Vierzig nach drei Kindern wieder in die Vollzeit zurückkehren will, dann tue ich das. Bestimmt kann ich dann viel besser kommandieren. Aber Mütter sind auch bekannt dafür, gut schimpfen zu können, genauso wie schlichten zwischen verstrittenen Parteien. Das sind wertvolle Führungseigenschaften, keine Frage.
Dass die Angst vor einem „Prädikat ungeeignet“ tatsächlich unsinnig ist, wird der demographische Wandel zeigen. Die Sozialsysteme wird er zwar kaputt reißen, die Alten wie Kompost verrotten lassen, aber Jobs gibt es dann genügend. Der Kopf darf nur in der Familienzeit nicht aufhören, auf neue Erkenntnisse zu pochen. Nur wer stehen bleibt, hat verloren. Schon heute bieten Aktiengesellschaften, vor allem solche von öffentlichem Interesse, spezielle Karrieretrainings für Frauen an, Telekom hat die Quote freiwillig eingeführt. Mit manch anderen Großindustriellen muss man noch mal reden, aber dreht sich eine Gesellschaft weiter, kann niemand endlos dagegen halten. Erst recht nicht die Wirtschaft.
Aber ja, es wäre mir lieb, dass von oben an Hebeln gedreht wird, sodass die Rückkehr leichter ist und ich mich nicht wieder ganz unten anstellen muss. Wenn ich bis dahin überhaupt noch dieselbe bin und nicht schon Schriftstellerin, Rockstar oder Politikerin. Ich schwanke noch.