Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Besitzanspruch auf ein Allgemeingut: Bürokaffeetassen

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Man denkt, es sei so einfach: Schrank auf, Tasse raus, Kaffee rein, Mensch zufrieden. Ja, haha, eben nicht. Wenn der Mensch sich irgendetwas ausdenken kann, um seinen Arbeitsalltag interessanter zu gestalten, dann tut er es auch, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Vor allem ohne Rücksicht auf Mitmenschen. Dann geht es auch nicht mehr um Kaffeetassen, sondern um Nutzungsrechte und Besitzansprüche. Und um den Fettnäpfchenparcours, der sich zwischen Diddlmaustasse und Vollautomat auftut.

Frau Sophie ist im Streß, und so müssen Sie, werte Leserschaft, heute mit mir altgedienter Schreibkraft vorlieb nehmen. Ich habe das geplante Thema letztens bei einem Abendessen im Hause Maltzahn erwähnt, und es verfehlte nicht die sofortige Wirkung. Man muß nur kurz den Begriff fallen lassen: Über was wollen Sie schreiben? Bürokaffeetassen? Allgemeines Gekicher am Tisch und lockeres Abgewinke aus dem Handgelenk. Ja, da weiß ein jeder die ein oder andere Anekdote zu erzählen. Die Kollegin etwa, die einmal aus schierem guten Willen ein ganzes Sortiment stiftete, das aber nur wenige Wochen im entsprechenden Küchenschrank verblieb bis es zerstob. Wohin so etwas zerstiebt, ist ja nie so ganz klar, das Haus hat sieben plus zwei Stockwerke, wo soll man da anfangen zu suchen? In der Tiefgarage? In der Pförtnerloge? Einige Abteilungen experimentieren zwar auch mit auffordernder Beschriftung („CvD!!!“), das konnte sich aber bislang nicht durchsetzen.

Wenn Tassen auf Wanderschaft gehen (was sie immer dann tun, wenn irgendwo die Kaffeemaschine kaputt ist und die Arbeiterschaft sich in langen Kolonnen durch die Treppenhäuser schiebt, auf der Suche nach einem funktionstüchtigen Vollautomaten, der einen nicht mit der Aufforderung „Satzbehälter entleeren!“ anherrscht, und das noch am frühen Morgen vor dem ersten Kaffee, oder der gerade eine Identitätskrise durchmacht und einem hilflos die Frage „Brühposition?“ entgegenblinkt, was ja schon fast wieder rührend ist), dann wandern die Tassen immer so lange, bis sie in einem Stockwerk landen, in dem garantiert keiner mehr weiß, wem sie irgendwann einmal gehört haben, und dann bleiben sie da. Für immer. 

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So ziemlich der einzige Sport, den der Büroalltag neben dem Kantinenspaziergang erlaubt, ist ja auch der Gang zur Kaffeeküche. Das führt natürlich früher oder später dazu, daß alle viel mehr Kaffee trinken als eigentlich gesund ist, und natürlich ist das auch viel ungesünder, als sitzen zu bleiben und sich überhaupt nicht zu bewegen. Aber der Gang zur Kaffeeküche sorgt nicht nur für die Entfaltung der gekrümmten Glieder, er birgt auch eine durchaus wichtige soziale Komponente. Weil man sich ja nicht das Rauchen angewöhnen will, nur um ab und zu mit Menschen zu reden, gewöhnt man sich eben das Kaffeetrinken an, schlendert gen Küche und hofft darauf, daß zufällig gerade irgendein freundlicher Kollege auf die gleiche Idee gekommen ist.

Jetzt geht die Sache aber noch ein Stück weiter. Denn wer neu im Büro ist, kann in der Kaffeeküche nicht nur viele nette Kollegen kennenlernen, er kann auch in viele weniger nette Fettnäpfchen treten. Und das beginnt schon bei der Auswahl der Tasse, denn es gibt Kollegen, die Besitzansprüche auf bestimmte Tassen erheben, was man aber erst dann erfährt, wenn es zu spät ist. Das widerfuhr mir einmal, als ich nichtsahnend einen großen schwarzen Kaffeebecher mit irgendeiner Aufschrift mit Kaffee füllte und das Büro betrat. Schweigen. Betretene Blicke gen Tastatur. Später im Gang der dezente Hinweis, die Aufschrift zu lesen: „Ich Chef du nix“, stand darauf. Verdammt. Solche Tassen gehören immer jemandem. 

Wer schon länger im Arbeitsleben steckt, weiß mittlerweile, daß es Tassen gibt, die immer jemandem gehören. Katzenmotive etwa, das ist die Chefsekretärin. Witzische Sprüche, das ist der witzische Kollege. Und es gibt welche, die man sich grundsätzlich nehmen kann, weil sie sonst niemand benutzt. Glühweintassen vom Weihnachtsmarkt Mannheim anno 1993, dafür will sich keiner mehr zuständig fühlen. Überhaupt Tassen früherer Jahrzehnte, pockig-brauner Töpferwarenlook aus den Siebzigern, satiniertes Farbglas aus den Achtzigern, weiße Standardtassen mit der Spülmaschine zum Opfer gefallenen Aufschriften längst in die Insolvenz geschlitterter IT-Consultingfirmen aus den Neunzigern. Ein wildes Sortiment steht dort im Schrank, das Handelsblatt und die Diddl-Maus einträchtig Henkel an Henkel.

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Fettnäpfchen, ja, da lachen sie am Tisch. Da kann jeder etwas beitragen. Es gebe, so berichtet der Kollege, eine Tasse, auf die er sehr viel Wert lege. Sie sei nicht eben schön, aber groß, und zwar genau so groß, daß sie einen Cappuccino plus einen schwarzen Kaffee aus dem Vollautomaten fasse, und ohne diese Kombination fühle er sich weder fähig noch Willens, morgens den Dienst anzutreten. Um also seine tägliche Tauglichkeit zu gewähren, bunkere er diese lebensnotwendige Tasse auf seinem Schreibtisch. Das ging so lange gut, bis besagter Kollege einmal in Urlaub war und der Volontär vorübergehend seinen Platz einnahm. Oh, Geschirr, dachte der fleißige und um Ordnung bemühte Volontär. Das gehört doch in die Küche! Und damit hatte er ja auch nicht unrecht, bis zu dem Tag, an dem der Kollege aus dem Urlaub wiederkehrte und in seinem Zimmer ziemlich vernehmlich ziemlich unzufrieden war. Die Vorenthaltung der morgendlichen Kaffeedosis rührt bei vielen ja an das Empfindlichste: An die gute Laune. Es sei schrecklich gewesen, berichtete der noch immer leicht erschütterte Volontär von diesem Vorfall. Jemand anderes habe sich in der Zwischenzeit der großen Tasse bemächtigt. Man habe sie ihm entreißen müssen, um die Arbeitsfähigkeit der Abteilung wieder herzustellen. 

Ja wem denn die große Tasse eigentlich ursprünglich gehört habe? fragt jemand am Tisch. Keine Ahnung, sagt der Kollege. Jetzt gehört sie mir. Und belegt damit, daß Tassen durchaus dauerhaft adoptiert werden können. Es stellt sich mitunter eine innige und allseits respektierte Beziehung zwischen Tasse und Arbeitnehmer ein, was aber auch daran liegen kann, daß sonst keiner daraus trinken mag. Die scheußliche orange Keramikware mit der Aufschrift „CDU-Fraktion im Hessischen Landtag“ ist nicht eben beliebt, doch sie hat ihren Nutzer gefunden. Ewig ungeliebt dagegen die Tasse mit der skulptural geformten Diddl-Maus auf dem Henkel, mit der man immer Gefahr läuft, sich einen Augapfel auszustechen. Die ist was für echte Risikosportler, und die gibt es in Büros eher selten.

Auch ich habe einmal eine zarte Zuneigung zu einer Tasse gefaßt. Es war eine englische Porzellantasse mit Kaninchenmotiv. Sie war ein wenig kitschig, aber irgendwie optimistisch, und wir trafen uns im zweiten Stock. Irgendwann verloren wir uns aus den Augen, aber die Freude war umso größer, als wir uns im vierten Stock erneut begegneten. Hallo, englische Kaninchentasse! Du auch hier? Ich wollte mir gerade einen Kaffee aus der Kaninchentasse genehmigen,  als jemand die Küche betrat. Oh, das ist die Tasse der werten Kollegin, ein Geschenk ihrer Mutter, klärte man mich auf. Ich rührte die Kaninchentasse aus Respekt vor Kollegin samt Mutter nicht mehr an. Seitdem trinke ich aus allen möglichen Pötten, Hauptsache groß genug, Farbe egal. Irgendwann einmal werde ich mir eine eigene Tasse mitbringen und jeden, der sie sich aus Versehen aus dem Schrank nimmt, anherrschen. Ich bin noch nicht so weit, aber wenn ich damit anfange, weiß ich, ich bin endgültig im Büroleben angekommen.


27 Lesermeinungen

  1. colorcraze sagt:

    Apropos, Bürokaffeetassen....
    Apropos, Bürokaffeetassen. Wußten Sie, das das schon eine ganz alte Sache ist? Ich war vor ein paar Jahren mal urlaubsmäßig in Olympia. Dort wurden Reste einer Werkstatt gefunden, wahrscheinlich Bildhauer oder sonstwelche Bauhandwerken. Und was fand man auch noch – Tassenscherben. Und auf einer stand wohl tatsächlich „Phidias“. Man darf also davon ausgehen, daß der Schöpfer der überragenden klassischen Statuen bereits eine – Bürotasse – hatte.

  2. fraudiener sagt:

    Das ist großartig. Das wußte...
    Das ist großartig. Das wußte ich noch nicht. Und daß sein Name draufsteht, stellt ihn natürlich auch in eine lange Tradition. (Überhaupt Namenstassen. Der Brauch kam uns ja irgendwann in den späten Achtzigern abhanden.)

  3. Der Glühweinbecher vom...
    Der Glühweinbecher vom Mannheimer Weihnachtsmarkt 1993 gehörte bestimmt Hugo Müller-Vogg. Bei aller Liebe zur Quadratestadt wäre das für mich jedenfalls Grund genug, die Tasse auch weiterhin im Schrank zu lassen.

  4. colorcraze sagt:

    @AD: in Geschenkläden (mal...
    @AD: in Geschenkläden (mal Porzellan, mal Touristik) gabs Namenstassen aber eigentlich durchgehend immer bis heute, will mir scheinen – na gut, seit der Zeit, als ich das letzte Mal eine in der Hand hatte, sind auch schon 2 Jahre vergangen. Aber im Büro meine ich mich zwischen 1981 und heute nicht an Namenstassen zu erinnern, da geb ich Ihnen recht.

  5. dummbratz sagt:

    Liebe Frau Diener, schön,...
    Liebe Frau Diener, schön, daß Sie mal wieder hier auftauchen.
    Meine ist groß (0,5l), orange und unparteilich, nachdem die vorige der Schusseligkeit des nicht mehr Kollegen zersplitternd zum Opfer fiel.
    Blicke können zwar nicht töten, aber es reichte dennoch für einen ziemlich nachhaltigen Eindruck, außerdem bewegte sich seine Karriere dann eindeutig Richtung Süden (Wissen ist eben manchmal doch Macht), nicht daß er vorher nicht vorsichtig ermahnt worden wäre, respektvoll und vorsichtig mit fremden Gut umzugehen. Vielleicht verstand der Kollege eben auch nicht, daß im Westflügel das permanente den Mitarbeitern auf die Füsse treten ein absehbares Ende haben würde. Keiner vermißte ihn nach seinen Abgang und so gesehen brachten die Scherben etwas Glück.

  6. Filou sagt:

    @colorcraze, die Scherbe von...
    @colorcraze, die Scherbe von Phidias ist ein ganz alter Archaeologenscherz. Bei einer Domgrabung in Koeln, so wurde mir erzaehlt, faelschten die mal eine „roemische“ Lucky-Strike-Packung. Danach wurde sehr heftig getrunken.

  7. kaktus sagt:

    Einfach eine eigene Tasse...
    Einfach eine eigene Tasse mitbringen. Die unmissverständlich Ihnen gehört. Ich mein Sie haben es schon gut erkannt, wo sehen Sie sich in der Kette zwischen Witz und Katzentasse ? Vllt gibt es von der Uni Maastricht mittlerweile Merchandise Artikel, oder Golf Club/ Hockey Club schieß mich tot oder was von sportlichen Events oder der irakischen Botschaft. Würde es mit der Tasse ebenfalls wie Ihr oben genannter Kollege handhaben. Dann muss man nur seine eigene Tasse reinigen bzw. weiß auch, dass diese sauber ist und man kann den persönlichen Kaffeekonsum perfekt steuern.
    gruß Kaktus

  8. kaktus sagt:

    Pardon ! Erst jetzt ist mir...
    Pardon ! Erst jetzt ist mir aufgefallen, dass dieser Artikel gar nicht von Sophie von Maltzahn geschrieben wurde, sondern von Frau Diener. Streichen Sie Uni Maastricht und Konsorten, das verliert so leider seinen Witz.

  9. Rotiboy sagt:

    Unsere so überaus...
    Unsere so überaus regelorientierten Nachbarn, die Schweden, haben natürlich auch für dieses Problem eine Lösung gefunden, wie ich vor einigen Jahren herausfand. Bei meinem Eintreffen wurde mir daher, mit dem gebührenden Pomp (vom Dekan persönlich) ‚meine‘ Kaffeetasse präsentiert. Versehen mit dem Logo der Uni, daher diebstahlsfrei UND einer Nummer. Es stellte sich heraus, dass jeder Mitarbeiter im Departement ’seine‘ Tasse hatte. Für Gäste gab es dann die allseits bekannte Kollektion von unerwünschten Tassen. Bei meinem Ausscheiden verblieb die Tasse natürlich im Departement, und wird vermutlich jetzt von meinem Nachfolger reklamiert. Selbst die Putzfrauen wussten wem die Tasse zuzuordnen war !

  10. Jeeves sagt:

    Kein Wort über die typisch...
    Kein Wort über die typisch braun-schwarze Farbe, die in den Tassen quasi „klebt“? und die kaum noch abgeht? Wäscht in der FAZ jedesmal jeder seine Tasse ordentlich ab? Oder werden die entsorgt und für Nachschub ist gesorgt?
    …so wie mein Anwalt, der mir mal ein Quintett „lustiger“ Tassen (die er wohl auch bereits geschenkt bekam) mit auf den Weg gab, also richtiggehend aufdrängte und die ich nach zwei Wochen unbenutzem Küchenschrankplatzwegnehmen schlicht wegwarf; arbeitete ich in einer großen Redaktion, hätte ich solch Set wunderhübscher großer Kaffeetassen natürlich sofort großzügig gespendet. Und die schmutzigen hätten die längste Zeit ihren Dienst … na wie sagt man: getan? verrichtet? Weg damit!
    Aber, wie schon vermutet: bei der FAZ gibt’s keine dreckigen Tassen (?!)

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