Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Weltschmerz in schlafloser Nacht – das falsche Kopfkissen

| 22 Lesermeinungen

Noch nie konnte ich Weltschmerz so klar verorten. Auch aus sicherer Distanz durchschiesst es mich und lässt in der Nacht keine Ruhe zu. Statt zu schlafen, zerknautsche ich wütend das Kopfkissen und suche die richtige Position. Doch bequemer wird es nicht.

Die Alten sagen leicht erhaben: Die Diskussion um die Atomenergie und alle ihre Argumente sei dieselbe wie in den Achtzigern. Im Stillen gärt gewiss auch Frust, niemand erlebt, dass die Menschen klüger würden. Ökonomie und Utopie streiten sich, wie immer. Das hat man alles schon gesehen. Doch bei mir hat sich etwas geändert, seit die Debatte der Achtziger aus gegebenem Anlass wieder aufgeführt wird: auf einen Schlag bin ich dreißig Jahre älter.

Lass es vierzig Jahre sein: Bettflucht gehört jedenfalls nicht zu den typischen Lastern einer Twenty-something Jährigen. Auch nicht die zwei Falten zwischen den Augenbrauen, die sich beim Blick auf worldnews bilden. Krähenfüße hacken in die Ränder der Lider, wenn Augen sich zusammenkneifen wie bei grellem Licht, weil sie ins Unfassbare stieren – zu jeder Nachrichtensendung aufs Neue. Es prügeln mich die Berichte ununterbrochen, und dennoch fordere ich sie von den Sendern zu jeder meiner individuellen Programmzeiten. Dabei überblicke ich nicht einmal, ob die Nachricht tatsächlich stimmt, noch nicht oder nie. Es macht mir Angst. Im Sturm der Katastrophenbilder zieht Schmerz in meine Rückenmuskeln und verhärtet den Nacken. Hilflos strömt Mitleid in die Sphäre, nach Japan, in den Jemen, nach Libyen und Lampedusa. Doch wen wird ein europäisches Mäuschen schon erreichen können?

Bild zu: Weltschmerz in schlafloser Nacht - das falsche Kopfkissen

Ein Ende soll jeder meiner Tage finden, Decke drüber und ausgeschaltet sei der Kopf. Doch Unruhe wirbelt weiter. Jeder Gedanke ein Seitenwechsel von links nach rechts. Ausgestreckt auf dem Rücken wird die Matratze zur harten Platte. Nichts passt sich mehr der Körperform an. Wütend haut die Faust ins Kopfkissen. Pragmatismus im Kleinen ist mein einziger Vorschlag zur Besserung: Ich habe das falsche Kopfkissen. Mit so einem weichen Kopfkissen konnte ich noch nie schlafen. Wenn ich erst ein anderes Kopfkissen hätte, wäre alles gut und ich würde mir nicht die Kraft rauben lassen, die ich für den Tag so dringend brauche.

Einsame Krämpfe in der Nacht bringen niemanden voran. Die Haltung der Großeltern, die wahrhaft selbst das Grauen kannten, klingt an. Und mit ihr die stille Verurteilung  von Zipperlein – Beschwerden, die doch nur im Glück der sicheren Existenz vorgebracht werden können. Dankbar sollte man in Gedenken ihrer sein, dass man überhaupt ein Kissen hat und eine warme Unterkunft. Was hatten sie alles verloren: die Heimat durch Vertreibung, ihre Häuser durch Bombenwellen, Männer und Väter im Krieg. Jahrelang hingen die Listen der Verschollenen in den Ämtern, stundenlang wurde ein Name nach dem anderen studiert. In Angesicht der Zerstörung konnte alles danach nur besser sein als das überstandene Elend. Doch der größtmögliche Unfall ist jetzt auf der Welt. Giftige Luft strömt in die Gene der Menschen, die tatsächlich auf harten Böden in Notunterkünften schlafen. An der Grenze Europas tobt Krieg mit all seinen Forderungen, Flüchtlinge strömen aus dem Land des Hungers. Zu Tausenden riskieren sie den Tod im Mittelmeer, alles scheint ihnen besser als Verbleiben im brennenden Land.

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In dieser Weltsituation kann ich gar nicht anders, als meinem Kopfkissen die  Schlafstörung anzulasten. Zu viele Schuldige ließen sich an dreihundertvierundvierzig Händen abzählen. In Anbetracht des Leids bin ich nichts außer klein und unbedeutend, und dankbar dafür. Kein Held steckt in mir, der sich in die Katastrophe wagen würde und vor dem Kraftwerk ein Feuerwehrauto parken könnte.

Ich tue nichts mehr, als aus sicherer Distanz mitfühlen. Zumindest bin ich nicht die einzige. „Die Welt brennt und du scherst dich um so etwas Belangloses wie…“ höre ich oft. Mag sein, dass es wie eine Ausrede daher kommt, doch sie zieht. Bei mir zumindest, scheint es anderen zuweilen also auch den Boden unter den Füßen wegzureißen. Nicht wissend, wie diese Zäsur zu verdauen ist. Als hätte sich ein Vorhang geöffnet, auf der Bühne spielen sie „Reigen im Meinleid“, angesetzt für drei Monate. Dann wird wohl alles wieder beim Alten sein, die Ergriffenheit ausgewaschen, die Bundesliga auch vorbei, man wird wieder Spielfilme statt Frontal 21 sehen, die Wahlergebnisse sind bekannt und die Atomkraftwerke werden weiter für ihren Brückenweg gerüstet.

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Mag sein, dass in drei Monaten das Muster der Gleichgültigkeit wieder einsetzt. Doch mich wird das nicht einen Tag mehr jünger machen – nach diesen dreißig Jahren mehr und noch drei Monaten. Angst braucht wohl nur einmal ihren Weg zu walzen, jede weitere schießt dann plötzlich und ungehemmt hindurch. Anders als Schmerz, der in Relation, mit „nicht so schlimm, wie“ gemessen wird.

Ich werde die richtige Kopfstütze schon finden. Am besten suche ich mir gleich ein anderes Bett.

 


22 Lesermeinungen

  1. Ritter sagt:

    <p>Sie haben ja so recht....
    Sie haben ja so recht. Warum bin ich jetzt wach? Die letzten News aus Japan und Libyen gelesen….
    Warum nur fällt mir da der Erlkönig ein?

  2. und ist das Weltenleid...
    und ist das Weltenleid besonders groß dann geht das Leben erst richtig los.
    take it easy

  3. Schlendrian sagt:

    <p>Mein Vater hätte heute...
    Mein Vater hätte heute Geburtstag. 1909 geboren, hat er als Kind den 1. und als Soldat den2. WK mit gemacht, obendrein überzeugt für das Richtige zu kämpfen und so hat er auch versucht mich zu erziehen, was mir schon als Kind manch angstvolle Nacht beschert hat.
    Ich kann mich gut an die Beschimpfungen in der Volksschule (!) erinnern. Flüchtling. Wir hatten wiklich nichts mehr, manchmal nichts zu essen usw.
    Nun hab´ich selbst schon den grössten Teil meines Lebens hinter mich gebracht, was mich hin und wieder wundert. Angst habe ich keine, aber meine Gedanken sind jeden Tag bei denen, die noch nicht mal flüchten können.

  4. Tom sagt:

    <p>Liebe Sophie, herzlichen...
    Liebe Sophie, herzlichen Dank für diese Zeilen. Sie führen mir wieder vor Augen, mit welch‘ glücklichem Schicksal mein Einschlafen belegt ist. Ich gehe ins Bett, mache das Licht aus, drehe mich rum – und schlafe. Einfach so. Leider entgeht mir somit diese Art von Weltschmerz. Wobei allein schon dieses geniale Wort: Weltschmerz, fast wie kein zweites Wort, die Unfähigkeit ausdrückt, seine eigene gefühlte (und sich selbst zugeschriebene) Machtlosigkeit auch noch selbst zu bedauern. Tom

  5. nobody sagt:

    <p>guten tag,</p>
    <p>in...

    guten tag,
    in gewissen momenten ist unser bewusstsein weit geöffnet und sehr empfänglich und lässt uns alles intensiver empfinden, vorallem dann wenn etwas den gewohnten ablauf stört. unser geist macht eine rundreise durch die welt, und wir sehen dieses aus den augen eines adlers; das gefühl des weltschmerzes legt sich in uns hinein, wie ein tonnenschweres gewicht, und wir glauben in der bilderflut, die über uns wie ein wasserfall hereinbricht, zu ertrinken. haben sich die sinne endlich beruhigt, spiegelt der geist die helle seite unseres daseins – wie glücklich können wir uns schätzen unbetroffen zu sein- und macht das herz wieder leichter, und reitetet den weltgedanken wieder in den stall zurück.
    grüße,

  6. stephan sagt:

    <p>Liebe Sophie,</p>
    <p>aber...

    Liebe Sophie,
    aber man kann doch immer etwas tun!
    Schreiben Sie, veranstalten Sie eine Lesung!
    Wirklich helfen können wir nicht, aber wir können die Aufmerksamkeit immer wieder dorthin lenken, wo die Menschen wirklich in Not sind.
    In den allermeisten Medien sind doch die Opfer des Erdbebens längst nur noch Nebensache, es geht darum, ob am Frankfurter Flughafen ein radioaktiv belasteter Rettich gefunden wurde oder ob demnächst unsere Radieschen verstrahlt sind,
    einfach grotesk!
    Wann immer ich mit Freunden in Japan spreche, ist von Panik überhaupt nichts zu spüren, die sind ernst, betroffen und merkwürdigerweise sehr beschämt über so eine nukleare Notlage in ihrem Land.
    Weltschmerz ist ja total okay, aber dafür hat man auch nur Zeit, wenn es einem gut geht.
    Versuchen Sie es doch mal ohne Kopfkissen!

  7. fritzi sagt:

    "In Anbetracht des Leids bin...
    „In Anbetracht des Leids bin ich nichts außer klein und unbedeutend, und dankbar dafür. Kein Held steckt in mir“
    Ein Phänomen unserer Zeit in unserem Lande/Kontinent, glaube ich… wir wollen alle keine Helden sein und müssen es auch nicht „und sind dankbar dafür“.

  8. Mimi sagt:

    <p>Dieser Artikel spricht mir...
    Dieser Artikel spricht mir aus der Seele – wie gut kenne ich das nächtliche Hin- und Her wälzen. Und jedes noch so kleine Problem der vergangenen Tage türmt sich auf wie eine große Flutwelle voller Ärger und Sorgen! ……ob das mit einem neuen Kopfkissen getan ist?! ich weiss es nicht….

  9. 343StGB sagt:

    <p>Aus Anlass des...
    Aus Anlass des WeltSAUENtages:
    Es ist noch heute problemfrei möglich jemanden psychiatrisch zu
    diffamieren und zum vermeintlich erbbiologisch minderwertigen
    Elternteil zu stempeln, wider besseren Wissens wohlgemerkt, ich
    verweise hierbei auf Schriftsatz der RAe A. vom 12. Juni 2002
    in 9F 434/02 UG AG Bad Homburg und das spätere die Vorwürfe
    entkräftende Gutachten, welches unter 3 Zs 1795/08
    Generalstaatsanwalt beim OLG Frankfurt/Main vorliegt.
    Das wäre Verfolgung von – wenn auch vermeintlich – Behinderten.
    Daß ein Gericht eine Vaterschaftsfestellungsklage schuldhaft
    verzögern kann war mir auch neu, bei Unterhalt gilt doch die
    Vaterschaftsvermutung, bei Umgangsrechten etwa nicht
    (Az 9F 104/01 KI AG Bad Homburg)?
    Die biologische Minderwertigkeit des Vaters folgt übrigens aus
    der Glaubenslehre der „unbefleckten Empfängnis“ im Christentum
    (siehe Weihnachtsgeschichte, ein Fall von Kindsunterschiebung
    nach § 169 StGB aus heutiger Rechtssicht – entweder Gottes oder
    Josefs Sohn) s.a.: § 1595 , § 1626a BGB
    Daher haben wir hier auch durchaus die Komponente Verfolgung aus
    religiösen Gründen.
    Abgesehen von der Benachteiligung aus Gründen des Geschlechtes.
    Familienrechtsverdreher sind auf einmal gelichzeitig Gutachter.
    Die hessische Polizei macht ihre Arbeit – Strafanzeigen
    entgegennehmen – nicht. Und seit neuestem entscheiden Richter
    auch noch über ihre eigene Ablehnung aus Gründen der Besorgnis
    der Befangenheit.

  10. FAZ-soma sagt:

    "Read her while she is fresh"...
    „Read her while she is fresh“ sagen sie hier über mich. Klingt ein bißchen nach Gemüse. Aber sonst ein nettes Lob vom Chelsea Farmer’s Club – Blogger.
    https://cfc.blogger.de/topics/d%29+Back+on+the+Book/

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