Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Kleine Zivilisationsflucht unter Freunden: Der Grill

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Sobald das Wetter sich ins frühlingshafte wendet, packt die Nachbarschaft mobile Feuerstellen aus und verlegt die wochenendliche Hauptmahlzeit ins Freie. Das geht mit allerlei Riten einher, die den Naturzustand zelebrieren und uns zeigen: Der Grillabend ist das Schäferspiel des 20. Jahrhunderts.

[von Andrea Diener] Stellen wir uns den Menschen einmal im Urzustand vor. Er liegt auf einer Wiese, Nachwuchs und putzige gezähmte Wölfe tollen herum, ohne von etwas überfahren zu werden, und dazu gibt es Fleischbrocken, roh aufs Feuer geworfen. Kein Wunder, daß sich Menschen bis heute gelegentlich diesem Zustand annähern möchten, den sie sich als natürlichen denken, denn der Mensch neigt dazu, sich selbst nicht artgerecht zu halten. Kein Wunder aber auch, daß, viele Jahre später im Zeitalter von Zahnimplantat und Berufsunfähigkeitsversicherung einiges anders ist als weiland auf der arkadischen Schäferwiese: Der Nachwuchs mit Zahnspange und Sehhilfe versehen, der gezähmte Wolf gegen allerlei Seuchen geimpft und das Feuer im Kugelgrill aus Edelstahl mit höhenverstellbarem Rost, Windfang und Hartgummirollen.

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Denn sobald sich der Mensch heute in die Natur begibt, bewaffnet er sich mit allerlei eigens für die Konfrontation mit der Wildnis hergestellten, meist sehr bunten Gegenständen. (Ganz ähnliches Verhalten ist beim Reisen mit der mobilen Urhütte zu beobachten, dem „Camping“.) Bereits zehn Meter von der Terrassentür entfernt werden Trinkgläser durch bunte Plastikbecher ersetzt, man breitet sehr bunte Textilien auf dem Boden aus, um sich nicht am Chlorophyll der Grashalme zu verschmutzen, stellt sehr bunte Plastikschüsseln mit buntem Inhalt darauf und trinkt bunte Getränke aus bunten Flaschen. Hier sitzen meist die Weibchen der Gruppe, die für die kalten Komponenten des Mahls verantwortlich sind.

Denn der Umgang mit dem Feuer ist Männersache. Nur der Mann beherrscht das Brennelement, nur er weiß sich dem züngelnden Vernichtungswillen der Flammen zu widersetzen. Er kippt also einen Sack Profikohle (Männer kaufen nur Gegenstände, auf deren Verpackung irgendwo „Profi“ steht) in den Grill, dabei handelt es sich um gehackten und verschmorten Wald, und zündet das Ganze an. Allerdings nicht einfach so, sondern mithilfe zahlreicher Errungenschaften der modernen Petrochemie: Anzündwürfel, Anzündpaste, Anzündstreifen oder Flüssiganzünder unter deutscher Industrienorm enthalten brennbare Raffinerieerzeugnisse und erleichtern das Einrichten im Urzustand erheblich. (Für besonders ängstliche oder hygienische Naturen, die den Umgang mit offenem Feuer scheuen, werden sich auch Gas- oder Elektrogrills angeboten. Diese Menschen bügeln vermutlich auch ihre Unterhosen und werden von ihrer Umgebung nur selten ernst genommen.)

Der temporäre Naturzustand wird gerne als gemeinschaftliches Erlebnis zelebriert. Einer der anwesenden Herren wird zum Grillmeister gekürt, er ist im folgenden für die Überwachung des Brennverhaltens sowie des Garzustandes des Fleisches zuständig. (Natürlich gibt es auch Menschen, die Gemüse grillen, aber auch dieses Verhalten widerspricht gängigen Vorstellungen von kontrolliertem Atavismus.) Die Insignien des Grillmeisters, die seinen Status zementieren, sind die Grillschürze (als Äquivalent des Kaisermantels) und die Grillzange (Szepter). In dieser Weise als Häuptling für die Dauer des Wildnisaufenthaltes ausstaffiert, kontrolliert er die Nahrungszufuhr seines Stammes in Form von scheibenweise vorliegendem oder in Tierdärmen verpreßtem Fleisch. Seine regelmäßigen akustischen Statusmeldungen („die Würste wären dann“) gliedern den Ablauf der Mahlzeit und damit des gesamten Nachmittags. Die Frauen, die in Mayonnaise getränkte Kohlehydrate mit Dosenerbsen und Speck oder, wenn es mediterran sein darf, auch pflanzlich basierte Salate zusammengemischt haben, geben dieser fleischernen Nummernrevue den Rahmen.

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Als Orte für diese kleinen Zivilisationsfluchten hat das Gemeinwesen eigens Orte eingerichtet, sogenannte Grillplätze. Wer nicht über einen eigenen Garten oder Hof verfügt, der gemeinhin mit Anbruch des ersten lauen Frühlingstages in Rauchschwaden eingenebelt wird, kann sich eines öffentlichen Platzes bedienen. Dort lässt sich beobachten, daß das Grillen ein international weit verbreitetes Phänomen ist. Nicht nur Europäer und Amerikaner („Barbecue“) grillen, auch der gesamte arabische Raum, der gemeinhin Gehacktes auf Spießen oder zu Bällchen („Kebab“) formt. Diese Sitte zieht sich durch den vorderasiatischen Raum bis nach Pakistan, wenngleich in Indien (meiner unmaßgeblichen Beobachtung heimischer Grillplätze entsprechend) das marinierte Tandoori-Hähnchen dominiert. Einen Mittelweg geht das japanische Grillen, das marinierte Hähnchenstücke auf Bambusstäbchen spießt („Yakitori“). 

Doch abgesehen von diesen leichten Variationen in der Zubereitung und der Beilagenpräferenz ist das Zeremoniell erstaunlich ähnlich. Das Grillen, scheint es, ist eine anthropologische Konstante, die sich in allen Kulturen so oder ähnlich wiederfindet. Interessanterweise bilden sich regionale Besonderheiten heraus, die sich, im Gegensatz zum internationalen Grill-Mainstream, nicht weiter verbreiten, etwa das bayrische Steckerlfisch-Grillen. Auch erlebt die Grillwelt stets innovative Ansätze, etwa den Einweg-Grill zum Wegwerfen. Doch grundlegend ändert sich an der Grillkultur nur wenig. Was ist an diesem Erfolgsmodell auch zu verbessern? Ein Sack Kohle, ein Rost, eine Zange, ein Mann. Und rohes Fleisch. Cholesterin- und Ethikdiskussionen finden bitte woanders statt.


43 Lesermeinungen

  1. Kopfgeburt sagt:

    Beste Frau Diener
    Sehr...

    Beste Frau Diener
    Sehr erheitert ob Ihrem kurzen Exkurs ins Fach des semi-professionellen Fleischverbrennens. Vorzüglichen Dank !
    .
    Einzig den Satz: „A man’s got to do what a man’s got to do!“ habe ich vermisst.

  2. HansMeier555 sagt:

    Danke für die Erinnerung an...
    Danke für die Erinnerung an den Film. Haben Sie den gesehen? Der war lustig.

  3. Stefan sagt:

    Sehr schön! :o)

    Was in...
    Sehr schön! :o)
    Was in dieser Betrachtung allerdings fehlt, ist die verblüffende Tatsache, dass üblicherweise und ohne Diskussionen jegliche Emanzipation beim anachronistischen BBQ-Ritual ausbleibt, dem männlichen Neo-Höhlenbewohner der Platz am Grill von der Damenwelt nicht streitig gemacht wird, und während vorne unter Rauch-(und Rausch-)Entwicklung mammutgroße Fleischlappen verbrannt werden, sich hinten die Damen bei der Generierung von Makrobiotischem tummeln.
    Und während vorne am Feuer die männlichen Höhlenbewohner stumm, höchstens von gutturalen Grunzlauten unterbrochen, das uralte Ritual pflegen, werden an der Salatfront die neuesten Neuigkeiten ausgetauscht. Das war bestimmt auch schon immer so… 🙂
    Beim Szepter bin ich mir übrigens nicht sicher, ob man hier aus Analogiegründen nicht vielleicht eher die Bierflasche nennen sollte (siehe auch die oben genannte Rauschentwicklung), die ein ebenso unverzichtbares Accessoire darstellt wie die Grillzange. Angeblich wegen des „Ablöschens“. :o)
    Viele Grüße,
    ein passionierter Holz(i)kohle-Häuptling

  4. Raoul sagt:

    So, was soll ich jetzt dazu...
    So, was soll ich jetzt dazu noch anfügen, kommentieren oder entgegnen – gar nichts. Denn es ist alles gesagt, auf den Punkt gebracht und ich erkenne mich wieder in dieser (fast) letzten Bastion des archetypischen Verhaltens.
    Vielen Dank für diesen Beitrag!

  5. Wer den Elektro-Griller auch...
    Wer den Elektro-Griller auch sonst nicht ernst nimmt, macht einen Fehler. Der EG ist nämlich äußerst effektiv. Wenn er loslegt, will er auch bald essen, und nicht darauf warten, bis die Kohle erstmal durchgeglüht ist, die vorher durch Grillanzünder aller Art mehrfach angesteckt wurde und auf dem Weg zur Glut vielfache Emissionen abgesondert hat, wie Feuer, Rauch, Gestank. Und es gibt noch andere Vorteile. Allerdings wird halt in Zukunft der Wind schön wehen müssen, um die verbrauchte Energie zu liefern, und Wind ist beim Grillen nicht so angenehm.

  6. fraudiener sagt:

    Stefan, über die parallele...
    Stefan, über die parallele Rauch- und Rauschentwicklung könnte man sicher noch einiges schreiben. Ich vermerke mir zumindest einmal die Bierflasche als demnächst zu behandelndes Ding (gern auch in der modernen Ausprägung Mädchen- und Kinderbier).
    .
    Kopfgeburt, da gibt es noch andere schöne Sätze: Da sind Männer noch richtige Männer, Frauen noch richtige Frauen und kleine pelzige Wesen … etc.
    .
    Hans Meier, welcher Film?

  7. @Böhmenfürst: Einen...
    @Böhmenfürst: Einen gleichwertigen Ersatz für „the real thing“ vermag der Elektrogrill nicht zu bieten, aber hier in der Wohnung ohne Garten und mit kleinem Balkon kommt er durchaus öfters zum Einsatz. So auch nachher, sobald ich eine Ansage habe, wann die beste Ehefrau von allen aus dem Büro kommt…

  8. fraudiener sagt:

    Hm. Für den Elektrogrill gibt...
    Hm. Für den Elektrogrill gibt es sicherlich ziemlich viele vernünftige Argumente. Genauso wie für Elektroautos, Niedrigenergiehäuser und Vollkornspaghetti.

  9. Duke Nukem sagt:

    Meiner Beobachtung nach setzt...
    Meiner Beobachtung nach setzt sich immer mehr dieser Rollgrill durch, den man für 1 Euro vor dem nächstbesten Supermarkt ausleihen kann. Sehr praktisch. Das Ding fasst locker die Getränke, die Kohle und das Grillgut, rollt auf ebenem Untergrund einwandfrei vom Supermarkt bis in den Stadtpark, ist voll lenk- und nahezu unzerstörbar. Einzig Räder und Handgriff leiden deutlich, wenn sie über oder in der Grillkohle geparkt werden. Aber welches neumodische Gerät ist schon wirklich verschleißfest. Anyway, den nächsten Grill gibt es für 1 Euro vor dem nächsten Supi.

  10. Ich würde Elektro und...
    Ich würde Elektro und Holzkohle nicht gegeneinander ausspielen (und von Gas haben wir ja noch gar nicht gesprochen). Käme einer aus der Familie auf die Idee, im Garten meiner Mutter einen Elektrogrill anzuwerfen, ich würde nicht zögern, die nächstgelegene psychiatrische Klinik anzurufen, um zu fragen, ob die noch ein Plätzchen frei haben.
    .
    Dem projektierten Beitrag über die Bierflasche sehe ich (gerade als jemand, der mit Hopfenkaltschale nur mäßigen Genuss verbindet) übrigens schon sehr gespannt entgegen.

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