Ding und Dinglichkeit

Geh endlich! Das Abschiedsgeschenk

Ich hab gesagt, Du sollst gehen! Verlass mich, altes Ich. Ich bin Dir entwachsen. Merkst Du das nicht selbst? Ich weiß heute mehr, als Du jemals lernen wolltest. Ich kann jetzt Konflikte lösen, vor denen Du erschlaffst. Kann verzeihen, während Du nur wütend tobst. Du hängst in Rückblicken fest, ich schaffe neue Ansichten.

Bye, bye Jugend. Jeden Morgen wische ich Dir eins aus. Schmiere Alterscrème auf mein Gesicht, denn alt, das bin jetzt endlich ich.

Geh und nimm mit, was zu Dir gehört, ich schenke es Dir, ohne Reklamation. Du holst Dir jetzt einen Karton aus dem Keller und trägst zusammen, was vom Abiturienten übrig ist.

Ach, Du möchtest das nicht?

Dann tu ich es für Dich. Ich packe Deinen Koffer und lege hinein: Turnschuhe, Zigaretten, Coelhos Alchimisten, Nudeln mit Ketchup, zerschmetterte Bierkrüge, das Abi-Ballkleid aus imitierter Seide. Das Ganze wickle ich ein in Gleichgültigkeit, Hochmut, Jähzorn und all die kurzsichtigen Süchte. Die Reihe kannst Du immer wieder abzählen, wenn Dir auf der Reise in die Auflösbarkeit langweilig wird. Um den Karton binde ich Dir eine Schleife aus braunem Klebeband. Long Lasting und wasserabweisend. Brauchst gar nicht erst das Heulen anzufangen.

Ich erhebe mich über Dich, weil ich es kann. Weil ich es so will. Ich ist jetzt ein anderer. Deine Sorgen sind nicht mehr meine. Du willst mich binden, programmieren, meine Kraft in kleinen Dosen verwalten. Nein, raus! Kein: Neue Freunde möchte ich in meinem Leben nicht, vor Enttäuschungen fürchte ich mich. Schlag es Dir aus dem Kopf. Kein: Da bleib ich lieber stumm und wende mich ab. Erst reicht, kein: Aber ich habe mich doch bereits entschieden. Die Würfel sind nicht gefallen, denn sie fallen nie.

Kapier doch: Du passt nicht mehr zu mir, geh einfach! Wie bitte? Du denkst, Du spinnst und ich wickle bloß den Faden auf? Behauptest, ohne Dich zu befrieden, kann ich nicht weiter wachsen? Wenn ich mich nicht mit Dir vertrage, werde ich mit vierzig Jahren an teure Experten für Familienaufstellungen geraten? Weil Du mit gedichteten Traumata immer wieder meinen Weg grätschen wirst? Blödsinn. Du sollst mich kennenlernen. Ich blühe, Du stirbst. Ich fühle, Du würgst. Ich leih Dir meinen Finger.

Schluss mit trägem Selbstbelügen wie „das schaffe ich nie, ich weiß nicht wie“. Genug geschlafen, bloß groß geträumt, doch wirkungslos verblieben. Mini-ich. Ich arrangiere mich nicht. Nicht mir Dir, Hasenfuß. Ich bin jetzt, wer mit siebzehn Jahren die Welt umsegelte, mit zwölf Konzerte gab und mit vier das Vaterunser auf drei Sprachen schreiben konnte.

Du nervst mich, bist mir viel zu festgefahren. Meine Zukunft wird nicht verschnürt und verknotet mit doppeltem Palstek. Ein adäquater Beruf, ein passgenauer Mann, eingestyltes Heim mit Garten im Zentrum der Großstadt. Es langweilt mich, den Menschen hinterher zu sehen, die tun, wie mir empfohlen.

Aber Du kommst daher mit nur einem Lebensmodell im Angebot, das dazu noch eingleisig ist! Vorgespielt, nachgemacht. Mit hartnäckigen Wurzeln, die tief und breit mit der eigenen Historie verwachsen sind. Du bist so ineffektiv! Der Korrektur entkommst du nicht. Jetzt nicht und in fünf, zehn und zwanzig Jahren wieder nicht. Dann, wenn mein bis dahin gestaltetes Ich erneut alt wird, meine Tage dem Bekannten angepasst sind, vom laktosefreiem Kaffee am Morgen bis zum Tatort am Sonntagabend. Und nichts die routinierte Ruhe stören darf. Du staunst, fragst mich, was der Auslöser ist? Doch von außen ist keine Zäsur von Nöten, wenn ich meinen Schnitt setzen will. Denn ich kann glücklich sein und trotzdem justieren. Dich, mich. Same same? Now different.

Unsere Verbindung ist gekappt. Wenn überhaupt, bau ich mir eine viel längere Brücke, die reicht bis in die Zeit, als Du noch in weiter Ferne lagst. Als Wahrheit sich leicht erschloss, Gemeinschaft außer Frage stand, gekränkter Stolz nicht wichtiger war als anderer Menschen Glück, man sich schlug und vertrug, als eine lustige Frisur reichte, dass man sich neugierig mit Fremden unterhalten wollte.

Als ich Erich Kästner las und der vor den großen Leuten warnte, die ihre Kindheit ablegten wie einen alten Hut. Ich wollte es mir merken für die Zeit, in der ich nicht mehr Kind sein würde, obgleich unvorstellbar. Aber Du bist kein Hut, eher eine affige Franzosenkappe. Versteh doch, mit deiner Vorstufe kann ich flirten, aber von Dir will ich nichts mehr. Vielleicht kommen wir zu einem anderen Zeitpunkt noch mal ins Geschäft, aber jetzt nicht. Hex hex, und du bist weg.

Fotos: Kunsthaus Tacheles, Berlin, Skulptur von Hüseyin Arda.

 

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