Ding und Dinglichkeit

Zuständig sind immer die anderen! Am Serviceschalter

„Haben Sie besser kein Problem“ sollte hinter dem Serviceschalter des Media-Kaufhauses stehen. Stattdessen flöten mich auf der dicht beklebten Werbewand Versprechungen auf orange-blauen Bannern an: 24-Stunden-Lieferung, persönlicher Installations-Trainer, dazwischen peitscht der Gute-Laune-Treiber: geil, geil, geil. Im Grunde sollte ich mir keine Sorgen machen und mich mit voller Zuversicht dem Marktgiganten anvertrauen. Schließlich vertritt er meine Interessen, denn ich bin seine Kundin. Er tut alles für mich: sortiert die besten Angebote vor, verhandelt mit den Fabrikanten, garantiert mir Qualität. Ich glaube ihm, ich habe ihn gewählt, ihm meine Unterschrift gegeben und mein Geld.

Fast plagen mich Gewissensbisse, wie die einer Ungläubigen. Ich fürchte, vor gerümpften Nasen meine Argumente vorzutragen, denn: Ich muss reklamieren. Du, werde ich sagen, hast mir ein fehlerhaftes Produkt verkauft. Mich trifft keine Schuld. Ich habe alle Unterlagen dabei, die mir beim Kauf ausgehändigt wurden, auch die später per Post und per Email kamen, außerdem den Originalkarton und sogar die Aufkleber in Apfelform. Alles unbenutzt.

Die Schlange vor der Abfertigung windet sich zäh durch die Plastikpfeiler. Zwei von fünf Schaltern sind besetzt. Einen von ihnen blockiert seit fünfzehn Minuten ein älterer Mann, den ich nicht von vorne sehen kann. Doch auch von hinten ist es ein Schauspiel: Seine Faust schießt geballt in die Luft, die andere Hand wedelt aufgeregt mit Papieren, die Füße trampeln im Takt seines Zorns. Fetzen aus gebrochenem Deutsch erreichen uns Wartende. Wir blicken auf den Boden.

Beim zweiten Schalter geht die Abfolge schneller. „Sie müssen sich an den Hersteller wenden“ sagt der Mitarbeiter zu dem Jungen, dessen Smartphone nach de-, re- und reset-Installationen nicht mehr  weiß, wie es heißt. „Sie müssen sich an den Hersteller wenden“ auch zu der Frau, die ihm erklärt, welche Schraube bei ihrem Fön locker sitzt. Dann übertrete ich den Sicherheitsabstand und darf meine Petition vortragen. Mein neues Handy ist stumm, sage ich. Er schaut dumm. Drückt dieselben Knöpfe wie ich vorher auch, doch es ist kein Bedienungsfehler.

Himmel, und nun? Was soll er jetzt tun, wenn vom Produktionsband tatsächlich ein Telefon gefallen ist, das keinen Lautsprecher zu haben scheint? Und hier verkauft wurde? Wieso ist er nicht Beamter geworden oder Astronaut? Dann fällt ihm die Lösung ein. „Wenden Sie sich an die Verkaufsabteilung. Die sollen Ihnen ein neues geben.“

„Da war ich schon, man hat mich zu Ihnen geschickt.“ Er blickt sich nach seinem Kollegen um, doch der hat seine Ohren abgestellt, denn vor ihm wird immer noch geschimpft. „Lassen Sie sich nicht von denen abwimmeln“, flüstert er mir zu. „Sie müssen sich durchsetzen!“ 

Gewiss hat er recht. Es war mein Fehler, dass ich nicht besser weiß, an wen in welcher Unter-Abteilung ich mich mit einem defekten Handy wenden muss. Jetzt werde ich es denen zeigen, die müssen mir ein funktionierendes Gerät geben, jawohl!

„Was für ein Hemd hatte der Verkäufer an?“ Damit habe ich nicht gerechnet. Alle meine Papiere hätte ich vorlegen können, eine Notiz vom Service-Schalter auch, aber die Kragenweite des Verkäufers? Ich wollte doch ein Handy kaufen und nicht mit ihm Abendessen gehen. „Hatte er ein blaues Hemd an wie ich oder eins wie die da hinten?“ Über blinkende Regale hinweg versuche ich die Hemdfarbe von denen da hinten zu erkennen. „Wenn Sie mit denen einen Vertrag abgeschlossen haben, können wir nichts für Sie tun.“

Heiliger Saturnus, ich flehe Dich an, einige die Deinen in Deinem Namen. Führe mich auf den richtigen Wegen durch die Wirren der Zwischenhändler und lass mich die Kragenfarbe Deiner Priester erinnern! Doch der Gott offenbart sich nicht. Klappt wohl doch nur auf dem Acker, schließlich ist das sein Zuständigkeitsbereich seit jeher. Was hat er denn bitte im Technik-Center zu suchen? Wortlos reiche ich meine Verträge wie Bittzettel über den Tisch. Auf den vier Blättern ändert sich der Name des Vertragspartners drei Mal. Keiner davon ist auf den Werbebannern über den Verkaufstischen aufgeführt, da stehen nur die Bekannten wie Vodafone, O2 und Telekom. Doch die werden dem Kunden gar nicht offeriert. Die Schulung der Zwischenhändler hat Früchte bei den Verkäufern getragen. Man wusste mir etwas viel, viel Besseres anzubieten. Wer’s glaubt, unterschreibt. Doch da hatte noch keiner mit einem Problem gerechnet. „Halil, hatten wir am Samstag das Superflat-4-you-Spezial im Angebot?“ Ruft mein Verkäufer über die Tische. Was weiß Halil? Er nickt. Jetzt bin ich akzeptiert. Nur das bringt mein Telefon noch lange nicht zum Piepsen.

„So was hatten wir noch nie. Am besten gehen Sie in den Apple-Store und tauschen es dort um. Sollte kein Problem sein. Sie sind schließlich im Recht.“ Mein Komplize am Serviceschalter schießt mir durch den Kopf: Lassen Sie sich nicht abwimmeln! Wir rufen den Abteilungsleiter hinzu. „Gehen Sie ins Fachgeschäft, im Erdgeschoß der Mall ist eins. Das ist ein Produktionsfehler, dafür können wir auch nichts.“

Im Fachgeschäft: Gelächter. Ja, das sei ein Produktionsfehler, aber bei Fremdverträgen seien sie nicht zuständig. Also wieder die vier Rolltreppen hinauf, zurück auf den Basar für SIM-Karten, in der Schlange angestellt. Sie schon wieder? Ja, ich bin es noch – und noch nicht Mürbeteig. Ich erkläre ihm die Rechtslage, bald mache ich ein Diplom. Schulterzucken. Wir können Ihnen nicht helfen, bitte wenden Sie sich an den Service-Schalter!

Nach vier Stunden warten, erklären, warten, überzeugen und wieder warten fühle ich mich meinem Idol Don Quijote so nah wie selten. Erschöpft rette ich mich nach draußen. Sofort rempelt mich ein Fahrradfahrer auf der dicht verstopften Fußgängermeile an. Doch ich bin zu erschöpft, um mich zu wehren. Jetzt nicht mehr. Ich mag keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, denn vor mir stehen zehn Polizisten. Ich habe nichts getan, will ich rufen, doch sie sind nicht meinetwegen hier. Hinter der Wand aus breiten Schultern haben sich Aktivisten aufgebaut, um gegen den Kapitalismus zu protestieren. Als wären wir in den Siebzigern. Können die nicht ihr Programm etwas aktualisieren? Für mehr Kundenrechte vielleicht? Mehr Transparenz? Meinetwegen, wenn sie darauf bestehen, auch mehr Liebe zwischen den Gängen? Ich bin dafür.

 

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