Ding und Dinglichkeit

Stadt warm, Füße kühl: Im Brunnen

Die Hitze kommt von oben, der Asphalt heizt sich auf, die Pflastersteine, dann kommt die Hitze auch von unten. Die Mauern heizen seitlich, und von vorne oder hinten weht ein Wind, warm wie ein Föhn ohne Komfortkühltaste. Es ist überhaupt nicht auszuhalten, und nachts kühlt es kein bißchen herunter, wie irgendwelche von Joe Cocker gecoverten und in diesen Tagen im Dudelfunk gern wiedergespielten Hits uns weismachen wollen. Man sucht sich also seine Nischen, entdeckt unter dem Pflaster ein bißchen Strand oder klimatisiert sich seine Aufenthaltsräume mit den Mitteln der Technik. Und entdeckt jede Pfütze als willkommene Gelegenheit zur ambulanten Abkühlung.

Die Fahrradfahrer in ihren Ganzkörperkondomen halten wenigstens die qualmenden Füße kurz ins Wasser, die älteren Herrschaften pitscheln ein wenig mit ihren Händen herum und die Kinder springen so gut wie vollständig ins Becken. Hunde werden ekstatisch und hüpfen wie die Flummis in die Fontänen. Schön, daß diese Dinger wenigstens zu was nutze sind. Moderne Brunnen leiden ja unter der gleichen Krankheit wie alle Stadtverschönerungsbemühungen: Sie verschönern nicht. Sie stehen herum und sorgen dafür, daß halt etwas da ist und nicht nichts, was für so ziemlich jedes Ding die allerunterste Grundexistenzberechtigung darstellt. Daher die vielen seltsamen Betonquader und Kugeln in den Fußgängerzonen. Und die weitere Zurücknahme der Formensprache in der Gegenwart: Brunnen als bloße Spritzlöcher. Kein Rand, kein Becken, bloße Reduktion auf die Fontäne. Zehn Monate im Jahr interessiert sich deshalb zu Recht auch kein Mensch für blöde Zierbrunnen, wenn sie nicht gerade Fontana di Trevi heißen, aber ein paar heiße Wochen im Jahr werden sie zum heimlichen Mittelpunkt der Stadt. Und man möchte sich hineinsetzen, wenn es denn zu einem Becken gereicht hat, einen Sonnenschirm aufbauen, ein Tischchen mit Kaffee vor sich und den ganzen Tag einfach hier sitzenbleiben.

Dieser Herr heißt Nenad, wird aber von allen Sascha genannt. Ich treffe ihn am Brunnen in der Taunusanlage in der Nähe der alten Oper zwischen drei Bronzeklumpen, die die Rheintöchter darstellen sollen, aber aussehen wie in der Hitze geschmolzene Wachsengel. Passen würde das ja, so rein klimatisch. Sascha sitzt immer hier, oder besser gesagt, immer dann, wenn es das Wetter erlaubt. Früher, als er noch Kellner war, saß er nach Dienstschluß in Cafés, aber seit er sozusagen „between Jobs“ ist, fehlt ihm dafür das Geld. Anfangs saß er auf seinem Balkon, aber da wurde es ihm bald zu stickig und zu einsam. Also zog er um, und zwar hinaus. Nahm einen Holzstuhl, denn es soll ja halbwegs stilvoll zugehen, ein Tischchen und ordentliches Porzellangeschirr. „Irgendwo da hinten schwimmt noch eine Wasserflasche“, sagt er, die bleibt im Wasser auch schön kühl. Tagsüber sitzt er unterm Sonnenschirm, und abends hat er Kerzen dabei, die stehen dann auch auf dem Tischchen. All das ist billig, aber es wahrt die Form.

Das es mit dem kostenfreien Sitzen in der Öffentlichkeit nicht zum besten und üppigsten bestellt ist, habe ich an anderer Stelle ja bereits beklagt. Hier hat nun jemand einen ziemlich konsequenten Weg gefunden, exponiert zu sitzen. Immer mal kommt jemand vorbei, dafür steht auch ein zweiter Stuhl da, kein Problem, der Brunnen ist ja groß genug für alle. Vorhin war auch RTL schon da. Manchmal kommen Leute und sagen, mit der Idee müsste man doch irgendwie Geld machen können. Aber Sascha sagt, er hat noch haufenweise andere Ideen, Ideen ohne Ende, und eigentlich müßte er bei einer Eventagentur arbeiten. Vielleicht geht ja über RTL was. Hauptsache, man versteckt sich nicht und sitzt draußen und redet mit Leuten. Das hat sogar das Ordnungsamt eingesehen. Die waren natürlich als allererste da und fragten, was machen Sie denn da, und Sascha erklärte freundlich, daß er eben gern hier sitze. Eigentlich sei das ja nicht erlaubt, sagten die. Aber nehmen Sie denn auch ihre ganzen Sachen wieder mit? Natürlich, sagte Sascha. Und damit war die Sache erledigt.

Interessant, daß jemand, der das tut, was alle gern tun würden, so viel Aufmerksamkeit erregen kann. Und so viele neidvolle Blicke ernten. Der hat’s gut, heißt es, dann seufzt es aus ihnen heraus, irgendwo auf halbem Wege zwischen Ray Ban und Krawattenknoten, während sie über den heißen Schotter hetzen, schnell rüber zum Starbucks oder zum Trendeisladen der Saison. Und wieder zurück in die klimatisierten Etagen. Und jedes Verlassen des Gebäudes ein Rennen gegen die Hitzewand. Es muß ja künstlich gekühlt werden, damit man sich ordnungsgemäß kleiden kann. Wenn die Kleidung keine Variable mehr bildet, wie im Büro, muß eben die Temperatur variabel sein, beziehungsweise konstant bei 21 Grad, egal welche Jahreszeit draußen gerade herrscht.

Es ist nicht schön in der heißen Stadt. Aber es gibt Brunnen, es gibt kühles Wasser, und es gibt Gespräche. Jedenfalls mehr Gespräche als im Winter. Das ist alles kostenlos. Also: Setzen wir uns ein bißchen der Hitze aus, anstatt über sie zu stöhnen. Brunenn suchen, Schuhe aus, Füße kühlen. Und kennen Sie eigentlich schon ihren Brunnenrandsitznachbar?

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