Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Niemals krank werden: Der Dienstplan

| 30 Lesermeinungen

Presslufthammer auf dem Kopf, rote Ameisen in den Gliedern - doch ich will nicht fehlen, ich habe Dienst. Wer will stetig neue Aufgaben übernehmen und sich unersetzlich machen? Ich, ich, ich. Dankbar für meine Anstellung trage ich mich in jeden Dienstplan ein, denn ich bin ein Krisenkind. Schwächeln gehört sich nicht. Drum halten wir es mit Friedrich III.: Lerne leiden, ohne zu klagen.

„Lerne leiden, ohne zu klagen“ Friedrich III.

Die Augen glühen und zwicken mich in die Lider. Es drückt von innen an meine Stirn. Was ist mit mir? Heiß-kalt habe ich, das in jedem Fall. Und schwere Arme. Über den Rest spricht man nicht. Meine Kondition ist unerwünscht, ich habe schließlich Pläne. Meine Leistung habe ich bereits einkalkuliert, bis  über- und übermorgen. Ich will nicht unterbrechen, nicht einen Tag lang. Man rechnet mit mir: am Schreibtisch, am Telefon, zum Mittagstermin; als Tröster, Lacher, Kofferträger. Ich bin nicht wegzudenken, nicht für mich. Ich habe Dienst. Wie stehen denn die Kollegen da, wenn ich fehle? Wo ist..? Wer hat..? Könnte einer ..? Ich, ich und wieder ich.

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Eine kluge Kollegin sagte mir, die Friedhöfe seien voll mit unersetzlichen Menschen. Tot zu sein ist ein guter Grund zu fehlen. Aber ich bin verfügbar. Ich bin ein Krisenkind.

Zu meinem Jahrgang zählt, wer sich seit drei, höchstens vier Jahren um ein Berufsleben bemüht. Wir sind die, die mitten in der Bankenkrise unsere Examina ablegten. Mit besiegelten Zeugnissen und notariell beglaubigter Qualifikation standen wir vor schweren Schwenktüren. Oh ja, auf uns hatte man gewartet!

Überqualifiziert für feste Arbeit, dafür genau recht als Praktikant mit symbolischem Taschengeld. Der Jahrgang über mir zählt eigentlich auch noch dazu. Seit ein oder zwei Jahren durften sie damals schon dienen – mit Arbeitsvertrag. Und erlebten resignierende Kündigungswellen. Sie regten sich lieber nicht, übten biegsam zu sein und funktional. Alles tun, nur bleiben dürfen. Keine Forderungen stellen. Es wurde ihnen von oberer Stelle angeraten: Haltet die Füße still, draußen tobt ein Krieg.

Und jetzt, da der Weg in den Beruf gebahnt und die Frage nach dem Sonderdienst im Raum steht? Natürlich trage ich mich ein. Als ginge es mir hier um die Arbeit! Endlich ist es für uns alle soweit, wir tragen uns ein. Der eigene Name glänzt wie Gold zwischen denen, die wir früher aus weiter Ferne erblickten.

Das Blatt hat sich gewendet im fetten Deutschland. Wir backen jetzt große Brötchen. Ununterbrochen. Nein, da ist kein Krümel auf der weißen Bluse. Keine Mogelpackung mit latenten Lastern, die bei der Einstellung nicht zu Protokoll gegeben wurden. Belastbar auf ein Fingerschnipsen. Niemand fordert mehr von uns als wir selbst. Denn wir haben es geschafft. Und seit es passierte, steht die Sonne hoch am Himmel.

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Doch jetzt das: Wackelpudding in den Knien, Ohrensausen, Gliederschmerzen. Zwei Wellen Zipperlein habe ich schon abgewartet. Was von allein kommt, geht auch wieder von allein. Man muss nur konsequent ignorieren können.

Aber jetzt hämmert mein Kopf auf Beton. Dafür muss ich ihn nur leicht bewegen, bumm, aua. Stunde um Stunde, Schicht für Schicht. Die Physik schlägt zurück und sie liebt das Drama. Was waren noch die Symptome von Ehec, Noro, Vogelgrippe, BSE und Borreliose? Selbstuntersuchungen sind am wenigsten zielführend. Dicht gefolgt von Ferndiagnosen. Wer war das noch, der hatte doch..? Der Klügere verliert den Kampf gegen die Optionen und macht sich einen Termin bei der Ärztin.

Was führt Sie zu mir, fragt sie mich und dreht mir dann den Rücken zu. Ich spreche, sie tippt. Sie schaut mich an, dann auf die Uhr, mit verzerrten Augenbrauen wieder auf den Bildschirm. Das kriegen wir aber nicht alles in einem Fünfzehn-Minuten-Termin geglättet. Wir denken gemeinsam über schnellst mögliche Heilungsstrategien nach. Sie fragt nach meiner Lebensweise und Essgewohnheiten. Sogleich haben wir drei mögliche Ursachen gefunden. Ich wusste, dass ich selbst schuld bin, wenn ich krank werde, sage ich. Sie widerspricht, but I am not convinced. So werde ich nie ein guter Soldat.

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Hier in Frankfurt gibt es gute Soldaten. Hier arbeitet einer für drei, an kranken wie gesunden Tagen. Sie verschwinden in hohen Bürotürmen und kommen erst wieder raus, wenn in Singapur die Sonne aufgeht. Über die Gesichter wabbelt blasse Winterhaut im Juli, unter den Augen kleben schwarze Furchen. Mit geröteten Pupillen stehen sie vor dem Mittagsrestaurant, warten noch auf den Kollegen, der zahlt. Abends werden sie sich Pizza ins Büro liefern lassen. Jede Woche ein abgesagtes Rendezvous, ein Geburtstag oder Gottesdienst. Es musste gearbeitet werden.

Wieso das alles für den Job opfern? Manchmal erschließt es sich mir nicht. Dabei lasse ich mich auch gerne von Aufgaben antreiben und schubse Projekte weiter voran. Es gibt immer, noch mehr zu tun.

Ein Banker-Boy berichtete mir mal, was mit ihnen passiert, wenn sich der kleine Uhrzeiger im Großraumbüro immer schlaffer zur Erde neigt. Ein Wind aus vergangener Preußen-Zeit wehe dann auf:  Fleiß, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Treue. Keiner geht ohne den anderen und wenn doch, dann mit schlechtem Gewissen. Wundert es mich?

Nein, irgendwie nicht.

 


30 Lesermeinungen

  1. erinnye sagt:

    <p>Leider wird zunehmend...
    Leider wird zunehmend Präsenz mit Effektivität gleichgesetzt. Wer seine Arbeit in der arbeitsvertraglich vereinbarten Zeit absolviert, läuft schnell in der Kategorie Nonperformer, wobei sich dieses Naturgesetz in den obersten Levels der Hierarchie ins Gegenteil verkehrt.

  2. kcw1 sagt:

    <p>Elegant geschrieben...
    Elegant geschrieben fürwahr, man merkt die Lust an der geschliffenen Formulierung. Karl Kraus gelesen?
    Das Thema? Der Dauerpraktikantenstatus ist wohl ein Phänomen der letzten Jahre. Doch die Larmoyanz über den eigenen Arbeitsalltag findet sich in allen Generationen. Wobei die Älteren behaupten, man müsse heute nichts rechtes mehr leisten, die Jüngeren, dies sei früher so gewesen. Am lautesten aber schimpfen diejenigen in unkündbarem öffentlichen Arbeitsverhältnis oder die Beamten, da wars aber vielleicht früher wirklich noch kommoder.

  3. <p>Wie sagte jemand so schön:...
    Wie sagte jemand so schön: „Sie sind für unsere Firma unersetzlich – wir versuchen es trotzdem mal“. Daher: niemand ist so wichtig und einmalig, dass er nicht durch jemand anderen ersetzbar wäre. Und genau das ist die Selbstlüge, in die leider viele verfallen – sie halten sich für das Zentrum der Firma. Und wenn sie dann noch der Meinung sind, ihre Untergebenen müßten das genauso sehen, dann kann das ziemlich nervig werden.

  4. FAZ-soma sagt:

    wie war, wie war...
    wie war, wie war

  5. aboekstegers sagt:

    by the way: wie wahr, wie wahr...
    by the way: wie wahr, wie wahr – kommt doch von Wahrheit, oder?

  6. FAZ-soma sagt:

    Nein, nein: Das ist ein Hybrid...
    Nein, nein: Das ist ein Hybrid aus Vergangenheit und Wahrheit. Windsbraut sei Dank (s.o.)

  7. Roger_Lebien sagt:

    <p>Sehr geehrte Frau von...
    Sehr geehrte Frau von Maltzahn,
    es dauert noch seeeehr lange, bis FRAUEN in (WEST-)Deutschland sich das Recht ERARBEITET haben, in solch larmoyanter Art und Weise über die Lasten einer Vollzeiterwerbstätigkeit zu jammern.
    Bitte sterben Sie – als Frauen – erstmal genauso früh wie Männer. Möglicherweise unter der Last, ihre Familien alleine ernähren zu müssen (weil ihre Männer zu dumm und/oder zu faul sind, einen nennenswerten Beitrag zum Familienunterhalt zu leisten), dann dürfen Sie ggf. mit den männlichen Wölfen heulen.
    Aber die Realität sieht leider anders aus: Selbst diejenigen unter den sog. „Alphaweibchen“, die es mit Hilfe von Quotenregelungen und ausgerollten, roten Teppichen in die gleiche Hierarchieeben geschafft haben, wie Männer, denken ja nicht im Traum daran, sich mit einem Mann „unter ihrem Niveau“ zu verpartnern und mit ihm eine Familie zu gründen.
    Und deswegen bleibt zu konstatieren, dass die Masse der Frauen in Deutschland ihre rechtliche Gleichstellung „nicht verdient“ hat.

  8. aboekstegers sagt:

    <p>Vielen Dank, liebe Sophie,...
    Vielen Dank, liebe Sophie, ich hatte mich ja auch schon über (s.o.) gewundert!
    Und der Blog macht mir richtig Spaß!

  9. aboekstegers sagt:

    Wieder peinlich: es heißt ja...
    Wieder peinlich: es heißt ja das Blog!

  10. Elsa sagt:

    <p>@ Doctor Snuggles: Stimmt....
    @ Doctor Snuggles: Stimmt. „Bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie könnten sich hier alles erlauben … Leute wie sie gibt’s wie Sand am Meer.“ So wurde mir zusammen mit einigen Kollegen einmal bescheinigt. (Im Ton lag unmissverständlich „Kusch!“) Nachdem ich dann Jahre später und aus einem Grund, der absolut überhaupt nichts mit meiner Arbeit dort zu tun hatte, das Unternehmen verließ, brach es in zwei Teile. Ich mache mich heute noch dafür verantwortlich. 😉
    @ Sophie von Maltzahn: Schöner Text, auch wenn er mich etwas melancholisch gestimmt hat. Es wird also doch alles immer schlimmer und schlimmer. Schade, dabei kann es so schön sein, zu arbeiten. (… Wenn man nicht gerade Sand am Meer ist.)

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