Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Auf den Thron passt nur einer: Das Lenkrad

| 20 Lesermeinungen

Das Auto ist die kleinste diktatorische Einheit. Wie es dazu kommt? Andrea Diener und ich möchten dazu diese Woche ein gemeinsames Stück vortragen.

Liebe Leser, im Auto mag nur einer am Lenkrad drehen können – im Blog möchten Andrea Diener und ich diesmal gemeinsam Ihnen ein Stück vortragen. Die melodisch Begabten unter Ihnen können sich das Ganze auch als Nummer im Varieté-Theater vorstellen: Andrea und ich würden dann mit Stock, im Plusterblumenrock und einer Blume am Hut auftreten, um Ihnen folgende Situation vor die Nase zu führen. Ich, Sophie, fange an:

Gibt es einen hierarchischeren Ort als das Auto? Der Fahrer hat immer Recht, der Fahrer bestimmt die Musik und die Reisegeschwindigkeit. Der Fahrer möchte Ruhe/Der Fahrer möchte unterhalten werden. Der Fahrer bestimmt über Pipi- und Raucherpausen, der Fahrer ist mit Ihre Hoheit anzusprechen. Wie in allen hierarchischen Räumen wird von den Mitmenschen ein zustimmendes „Mäh“ erwartet, abweichende Haltungen stören die Harmonie und revolutionäres Drängen auf eine divergentes Zeitmanagement wird sofort mit aufgedrehter Lautstärke übertönt.

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Nur unter höchstem Druck oder kurz vom Sekundenschlaf ist Hoheit bereit, die Macht abzutreten und andere steuern zu lassen.  Warum ist das so? Warum schwindet Toleranz und Empfindsamkeit für anderer Leute Befindlichkeit selbst bei Charakteren, deren höchste Erfüllung normalerweise die Glückseligkeit von ihren Mitmenschen ist?

Andrea: Vielleicht weil Du, verehrte Sophie, die falschen Fahrer kennst.

Dazu die Stimme aus dem Papierkorb: Sophie ist selbst so eine.

Andrea: Gut, ich kenne solche ja auch, die lieber durchfahren, als meinem Rücken auch nur drei Minuten Erholung von dem Brett zu gönnen, das in Golfs anstelle eines Sitzes verbaut ist.  Oder in den ersten zwei Kilometern sechsmal anhalten, weil sie ihre sieben Zwetschgen nicht sortiert haben, und dabei vier Telefonate mit den fünf Mitbewohnern führen.

Vielleicht liegt es aber auch daran, das wäre die sozialgeschichtliche Version, dass der Fahrersitz des Fahrzeugs traditionell eine Domäne männlicher Ernährer ist, was ich nicht gutheiße, was aber vielfach noch zu beobachten ist.  Diese alten Männer, die sonntags mit viel Umstand und Getue ihre als „Wagen“ bezeichneten Autos aus den Garagen mit Holzflügeltüren kramen, während die Gattin ganz aufrecht in Habachtstellung an irgendeinem Tor steht und Ausschau hält.  Die sich immer sehr konzentrieren müssen, wenn sie eine Ausfahrt nehmen oder auf dem Beschleunigungsstreifen so ungefähr alles tun, nur nicht das, wozu er da ist. Diese ganze Überforderung. Der Fahrer ist meistens überfordert, so einfach ist das, schon vom Verkehr, und dann kommt auch noch der Beifahrer dazu mit seinen eigenen Grundbedürfnissen, dann wird es eng.

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Sophie: Außerdem übernimmt der Fahrer Verantwortung für das Leben der Anderen und merkt selbst, dass er damit seine Zuständigkeit um Längen überschreitet. So entsteht Stress. Zum anderen ist der Autofahrer seinem Gefühl nach der Freiere. Man ist eben nicht mehr dem Zugnetz unterworfen, das fünfzig Kilometer vorm Ziel die Reisegeschwindigkeit auf Bummelniveau drosselt und für die letzten dreißig Kilometer ein Ausweichen auf Bus erzwingt. Alternativ muss ein Taxi bezahlt werden, das teuerer ist, als die gesamte Fahrt bisher.

Für Eskapisten und Ausbrecher ist allein die Option, den Weg spontan zu ändern und über die Alpen nach Italien zu fahren, so erreichbar wie sonst nie. Der Plan muss ja nicht ausgeführt werden; von der Idee allein wird die Seele schon schwer umschmeichelt.

Andrea: Und dann der Beifahrer, der unfrei macht.  Der Beifahrer, der Tod aller Spontaneität. Der Beifahrer, die Fußfessel des Bleifußes. Vor einem das Alpenpanorama,  neben einem die Sachzwänge.

Sophie: Gewisse Restriktionen lassen sich natürlich nicht leugnen: Geschwindigkeitsbegrenzung, Rückstau, Ampeln, – sie alle sind zu tolerieren. Nur eins nicht: Die Stimme aus dem Navi. Keine andere würde sich derart zu echauffieren wagen, dass man sich gegen ihre Anweisung entscheidet. Es grenzt an Majestätsbeleidigung. „Drehen Sie in 300 Metern um“, „Drehen Sie in 200 Metern um“, „Jetzt umdrehen.“ Nein, hallo! Ich weiß es besser. Vor allem im Stadtverkehr. Bis die dumme Nuss im Mini-Computer verstanden hat, dass ich niemals um diese Uhrzeit über die Bockenheimer Landstraße fahre, bin ich schon dreimal am Ziel angekommen. Nerv mich nicht.

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Andrea: Allein schon die Stimme,  die einen mit dieser unfassbaren Selbstsicherheit in die Irre oder sonstwohin führt.  Dagegen ist „Nächster Halt: Offenbach“ reine kleine Nachtmusik. Wo des Beifahrers Stimme einen durch zuviel Emotion nervt („Duhuu, ich müsst jetzt aber echt mal dringend, und voll wichtig, und nein! Mann! Doch nicht da lang!“), erreicht die Navi-Stimme durch exakt das Gegenteil exakt das Gleiche: Die innere Emigration des Fahrers inklusive stumpfen Geradeausstarrens, sinnloser Überholerei und eine Mimik, die vor allem durch wiederholtes Augenrollen geprägt ist.

Sophie: Bei Fahrten auf mein geliebtes Land, weit weg von Straßenschilder und Bundestraßen, vertraue ich Dir erst recht nicht. Einmal schon führtest Du mich auf schlechten Weg: direkt in eine gesperrte Dorfstraße und damit ins Nimmerland. Weil ich Dir vertraute, habe ich die Zeichen nicht mehr gelesen und war verloren. Die Bürgersteige waren hochgeklappt, die Menschen in ihren gemütlich erleuchteten Häusern und der Regen peitschte meine Windschutzscheibe. Wie viel Mühe hat es mich gekostet, meine Koordinaten rauszufinden.

Andrea : Dabei wäre genau das die Aufgabe des Navis gewesen.  Wozu hat man so ein Ding schließlich, wenn man eins hat?

Sophie: Das mache ich nie wieder.

Andrea: Nein, es gibt Orte, da müssen Frau und Mann entweder alleine durch oder sich wenigstens durchsetzen. Wer das Lenkrad in der Hand hat, ist König. Wer raus will, hat verloren.


20 Lesermeinungen

  1. Von vielen denkbaren...
    Von vielen denkbaren Kommentaren will ich mich auf vier begrenzen:
    (1) Die Maennerquote ist in der Tat erschreckend hoch auf dem Fahrersitz. Dr. von der Leyen musz unbedingt per Gesetzesinitiative und Frauenquote uns zu einer besseren Gesellschaft helfen – wer schreibt sie an?
    (2) Die Autoren vernachlaessigen die gestische Macht des Beifahrers: Wenn zu schnell gefahren wird, haelt dieser sich aengstlich am Dachgriff fest, wenn zu dicht aufgefahren wird, dringt ein leises Stoehnen hervor, wenn zu stark gelenkt wird, wirft man sich theatralisch in den Sitz et cetera. Es kann fuer den aufmerksamen Beobachter, die vom Auto befoerderten Menschen eingeschlossen, Commedia auf hoechster Ebene sein.
    (3) Der per-pedis-Weg ist der freieste. Autos, das Radl, die Bahn und selbst das Flugzeug sind von logistischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen begrenzt. Wenn der Fuszweg nur nicht so langsam waere! – aber sonst wuerde man nicht die oben geschilderten Qualen ertragen.
    (4) Es gilt auch beim Autofahren die allgemeine Regel: Suche Dir Deine Gesellschaft sorgfaeltig aus. Sie wird Deine Zukunft/Fahrt bestimmen: Sanfte Fahrernatur wird verstaendnisvoll auf psychologischbedingte Blasenspasmen reagieren, Diktatorcharakter selbst bei Notfalldarmverstimmung weiter aufs Gas druecken.

  2. Dreiviertel sagt:

    Na sowas, Andrea & Sophie im...
    Na sowas, Andrea & Sophie im Doppelpack!
    Schöner Stil, würde ich gerne öfter lesen.
    Zustimmendes Mäh von meiner Seite.

  3. BÄHRING sagt:

    <p>Ansehenwert, deckt sich mit...
    Ansehenwert, deckt sich mit dem was mir so berichtet wurde:
    http://www.zdf.de/…/startseite

  4. <p>HYPO THEK (Hypochondrie...
    HYPO THEK (Hypochondrie dank Tresen/Thekenaufenthalt).

  5. RegExp sagt:

    Sophie (bitte in "Times New...
    Sophie (bitte in „Times New Roman“ denn nur so funktioniert das):
    AEH, ANDREA DAS ANDRE A BITTE!
    e a

  6. Der Copilot ist der Held im...
    Der Copilot ist der Held im Auto
    .
    Spätestens nach dem Strafzettel, den mir die Guardia Civil gnadenlos in Spanien gerade aufgebrummt hat, hätte ich die Fahrzeugführung liebend gern an meine Frau abgegeben. Doch die schien gar nicht so unglücklich darüber, dass sie im Mietwagenvertrag nicht als Fahrerin erfasst war. Und auch das Navi muss man im Ausland mit viel Geduld ertragen. So konnte sie lästern was das Zeug hielt, als ich aus Malaga-Stadt heraus den Flughafen einfach nicht auf die Route bekam. Hätte ich doch Torremolinos eingeben sollen? So musste ich mich eben durchfragen, was nicht ganz einfach war, mit meinem spanisch, das ich vor 40 Jahren mal auf irgendeiner Schulbank erworben habe. Ansonsten lasse ich mich eigentlich gerne chauffieren, auch und gerade von meiner Frau. Ist der Beifahrersitz doch der bequemste Platz im Auto. Und ist es doch der Beifahrer, der die Verkehrssituation in der Regel am besten erfasst. Nur muss er halt akzeptieren, dass er unmittelbar eben keinen Einfluss darauf hat. Nein: Der Copilot ist der Held im Auto, wenn er das zu genießen versteht.

  7. fraudiener sagt:

    Herr Binsack, ich habe den...
    Herr Binsack, ich habe den größten Teil meines Lebens auf dem Beifahrersitz verbracht, und es hat mich auch Nerven gekostet. Zugegeben. Allein nachts, wenn man Angst hat, daß der Fahrer übermüdet sein könnte. Dieser Unterhaltungsdruck, der Redezwang. Alles kein Spaß. Das hat mich letzten Endes in die Fahrschule getrieben.
    (Das gestische Theater, das Dr. Niemann unter 2. beschreibt, wäre mir natürlich nie, NIE!, in den Sinn gekommen.)
    .
    Und weil wir es ja alle so gern betonen, des Images wegen: Ich fahre auch mit dem Fahrrad in die Arbeit. Ich bin auch ein guter, fitter Mensch.

  8. Habseligkeit sagt:

    <p>Als Kind saß ich am...
    Als Kind saß ich am liebsten hinter meinem Vater, der das Auto fuhr. Ich fand es auch nett, mich im Rückspiegel beobachten zu können.
    Und bis heute schätze ich den Luxus, im Fond des Wagens, frei entscheiden zu können, ob ich reden will, ob ich Versorgungsstation spielen will…

  9. Der Vorzug des Vertrauens
    .
    Ja...

    Der Vorzug des Vertrauens
    .
    Ja ich kenne das Gefühl, liebe Frau Diener. Nachts fahre ich persönlich überhaupt nicht mehr. Nicht mehr, seitdem ich zwei Mal hintereinander in den Sekundenschlaf gefallen bin. Es ist nichts passiert, aber mir hat es gereicht. Man hat die Wahl: Habe ich das nötige Vertrauen als Beifahrer in den Fahrer, oder ertrage ich lieber das Misstrauen mir gegenüber, wenn ich selber fahre? Vertrauen finde ich persönlich attraktiver als Misstrauen. Also habe ich mich für die erste Version entschieden. Sollte mir das eines Tages zum Verhängnis werden, hätte ich zumindest bis dahin ruhiger gelebt.

  10. Kicher.
    "Der Beifahrer, die...

    Kicher.
    „Der Beifahrer, die Fußfessel des Bleifußes.“
    Das ist herrlich.
    Wer fährt ist König. Da gibts auch keinen Widerspruch!
    Und der Beifahrer der da oben in den Kommentare mit der Karte KNISTERT wird sofort angebrüllt! Womöglich noch mitm Kuli klicken?

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