Ding und Dinglichkeit

Auf den Thron passt nur einer: Das Lenkrad

Liebe Leser, im Auto mag nur einer am Lenkrad drehen können – im Blog möchten Andrea Diener und ich diesmal gemeinsam Ihnen ein Stück vortragen. Die melodisch Begabten unter Ihnen können sich das Ganze auch als Nummer im Varieté-Theater vorstellen: Andrea und ich würden dann mit Stock, im Plusterblumenrock und einer Blume am Hut auftreten, um Ihnen folgende Situation vor die Nase zu führen. Ich, Sophie, fange an:

Gibt es einen hierarchischeren Ort als das Auto? Der Fahrer hat immer Recht, der Fahrer bestimmt die Musik und die Reisegeschwindigkeit. Der Fahrer möchte Ruhe/Der Fahrer möchte unterhalten werden. Der Fahrer bestimmt über Pipi- und Raucherpausen, der Fahrer ist mit Ihre Hoheit anzusprechen. Wie in allen hierarchischen Räumen wird von den Mitmenschen ein zustimmendes „Mäh“ erwartet, abweichende Haltungen stören die Harmonie und revolutionäres Drängen auf eine divergentes Zeitmanagement wird sofort mit aufgedrehter Lautstärke übertönt.

Nur unter höchstem Druck oder kurz vom Sekundenschlaf ist Hoheit bereit, die Macht abzutreten und andere steuern zu lassen.  Warum ist das so? Warum schwindet Toleranz und Empfindsamkeit für anderer Leute Befindlichkeit selbst bei Charakteren, deren höchste Erfüllung normalerweise die Glückseligkeit von ihren Mitmenschen ist?

Andrea: Vielleicht weil Du, verehrte Sophie, die falschen Fahrer kennst.

Dazu die Stimme aus dem Papierkorb: Sophie ist selbst so eine.

Andrea: Gut, ich kenne solche ja auch, die lieber durchfahren, als meinem Rücken auch nur drei Minuten Erholung von dem Brett zu gönnen, das in Golfs anstelle eines Sitzes verbaut ist.  Oder in den ersten zwei Kilometern sechsmal anhalten, weil sie ihre sieben Zwetschgen nicht sortiert haben, und dabei vier Telefonate mit den fünf Mitbewohnern führen.

Vielleicht liegt es aber auch daran, das wäre die sozialgeschichtliche Version, dass der Fahrersitz des Fahrzeugs traditionell eine Domäne männlicher Ernährer ist, was ich nicht gutheiße, was aber vielfach noch zu beobachten ist.  Diese alten Männer, die sonntags mit viel Umstand und Getue ihre als „Wagen“ bezeichneten Autos aus den Garagen mit Holzflügeltüren kramen, während die Gattin ganz aufrecht in Habachtstellung an irgendeinem Tor steht und Ausschau hält.  Die sich immer sehr konzentrieren müssen, wenn sie eine Ausfahrt nehmen oder auf dem Beschleunigungsstreifen so ungefähr alles tun, nur nicht das, wozu er da ist. Diese ganze Überforderung. Der Fahrer ist meistens überfordert, so einfach ist das, schon vom Verkehr, und dann kommt auch noch der Beifahrer dazu mit seinen eigenen Grundbedürfnissen, dann wird es eng.

Sophie: Außerdem übernimmt der Fahrer Verantwortung für das Leben der Anderen und merkt selbst, dass er damit seine Zuständigkeit um Längen überschreitet. So entsteht Stress. Zum anderen ist der Autofahrer seinem Gefühl nach der Freiere. Man ist eben nicht mehr dem Zugnetz unterworfen, das fünfzig Kilometer vorm Ziel die Reisegeschwindigkeit auf Bummelniveau drosselt und für die letzten dreißig Kilometer ein Ausweichen auf Bus erzwingt. Alternativ muss ein Taxi bezahlt werden, das teuerer ist, als die gesamte Fahrt bisher.

Für Eskapisten und Ausbrecher ist allein die Option, den Weg spontan zu ändern und über die Alpen nach Italien zu fahren, so erreichbar wie sonst nie. Der Plan muss ja nicht ausgeführt werden; von der Idee allein wird die Seele schon schwer umschmeichelt.

Andrea: Und dann der Beifahrer, der unfrei macht.  Der Beifahrer, der Tod aller Spontaneität. Der Beifahrer, die Fußfessel des Bleifußes. Vor einem das Alpenpanorama,  neben einem die Sachzwänge.

Sophie: Gewisse Restriktionen lassen sich natürlich nicht leugnen: Geschwindigkeitsbegrenzung, Rückstau, Ampeln, – sie alle sind zu tolerieren. Nur eins nicht: Die Stimme aus dem Navi. Keine andere würde sich derart zu echauffieren wagen, dass man sich gegen ihre Anweisung entscheidet. Es grenzt an Majestätsbeleidigung. „Drehen Sie in 300 Metern um“, „Drehen Sie in 200 Metern um“, „Jetzt umdrehen.“ Nein, hallo! Ich weiß es besser. Vor allem im Stadtverkehr. Bis die dumme Nuss im Mini-Computer verstanden hat, dass ich niemals um diese Uhrzeit über die Bockenheimer Landstraße fahre, bin ich schon dreimal am Ziel angekommen. Nerv mich nicht.

Andrea: Allein schon die Stimme,  die einen mit dieser unfassbaren Selbstsicherheit in die Irre oder sonstwohin führt.  Dagegen ist „Nächster Halt: Offenbach“ reine kleine Nachtmusik. Wo des Beifahrers Stimme einen durch zuviel Emotion nervt („Duhuu, ich müsst jetzt aber echt mal dringend, und voll wichtig, und nein! Mann! Doch nicht da lang!“), erreicht die Navi-Stimme durch exakt das Gegenteil exakt das Gleiche: Die innere Emigration des Fahrers inklusive stumpfen Geradeausstarrens, sinnloser Überholerei und eine Mimik, die vor allem durch wiederholtes Augenrollen geprägt ist.

Sophie: Bei Fahrten auf mein geliebtes Land, weit weg von Straßenschilder und Bundestraßen, vertraue ich Dir erst recht nicht. Einmal schon führtest Du mich auf schlechten Weg: direkt in eine gesperrte Dorfstraße und damit ins Nimmerland. Weil ich Dir vertraute, habe ich die Zeichen nicht mehr gelesen und war verloren. Die Bürgersteige waren hochgeklappt, die Menschen in ihren gemütlich erleuchteten Häusern und der Regen peitschte meine Windschutzscheibe. Wie viel Mühe hat es mich gekostet, meine Koordinaten rauszufinden.

Andrea : Dabei wäre genau das die Aufgabe des Navis gewesen.  Wozu hat man so ein Ding schließlich, wenn man eins hat?

Sophie: Das mache ich nie wieder.

Andrea: Nein, es gibt Orte, da müssen Frau und Mann entweder alleine durch oder sich wenigstens durchsetzen. Wer das Lenkrad in der Hand hat, ist König. Wer raus will, hat verloren.

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