Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Bürgerwillen auf Bettlaken: Das Transparent

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Wenn sich in der Mitte der Gesellschaft Widerstand formt, äußert er sich mithilfe eines altbewährten Arsenals an Ausdrucksformen: Trillerpfeife, handkopierte Handzettel und natürlich das liebevoll als Transpi bezeichnete Bettlaken. Keine Demo kommt ohne aus, und auch die Kameras der Sender freuen sich, etwas zum Abfilmen zu haben.

Meine letzte Demonstration ist schon eine Weile her, ich müsste überlegen, was war das noch, weiß nicht mehr, kann nicht so wichtig gewesen sein, aber an meine erste erinnere ich mich noch sehr genau. Wir waren in der elften Klasse und verließen die Schule so gut wie kollektiv, um gegen den ersten Golfkrieg zu protestieren. Man trug aus irgendwelchen Gründen weiße Armbinden, wahrscheinlich für den Frieden, und rief „Kein Blut für Öl“. Etwas später brachte sich Hoyerswerda auf ziemlich unrühmliche Weise das erste und bislang einzige Mal ins nationale Gedächtnis, man trug Kerzen und demonstrierte gegen rechts. Ich befand mich in guter Gesellschaft, es waren immer so um die zehntausend Leute auf der Straße.

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Diese ersten Demonstrationen waren welche, die mich vor allem aus Idealismus auf die Straße trieben (das Wort „Gutmensch“ war damals nicht im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitet). Später ging es an die Existenz, nämlich gegen Kürzungen im Bildungsbereich und gegen Studiengebühren. Das trieb mich vom schmutzigen Linoleumfußboden eines Vorlesungssaales in die Öffentlichkeit, und wieder befand ich mich in guter und zahlreicher Gesellschaft. Neu war allerdings, dass ich diesmal in all die seltsamen Abläufe eingebunden war, die solchen Demonstrationen vorausgehen. Die Versammlung nannte sich Streikkomitee und traf sich im Studentenzentrum, um die Abläufe zu koordinieren.

Ich erinnere mich dunkel, für das Abfassen von Pressemeldungen zuständig gewesen sein, das war ich meistens, andere hatten andere Aufgaben: Anmeldung, Glühweinversorgung (es war ja verdammt kalt), Drucken von Handzetteln. Oder die Koordination des Nachmittagstermins „gemeinsames Transpimalen“, der jeder ordentlichen Demonstration vorausgeht. Denn der Bürgerwille artikuliert sich zumeist auf ausgedienten Bettlaken, an Latten getackert und mit Löchern gegen den Luftwiderstand versehen. In dieser Form wird er hoch in die Luft und in die Kameras gehalten, wo er in den Abendnachrichten die Kernbotschaft verkündet: In großen, selbstgemalten oder selbstgesprühten (eher ungern, weil schlecht für die Umwelt) Versalien, die sich am rechten Rand gern ein wenig drängen, die Verschreiber weiß übermalt.

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Unsere Fachschaft Anglistik hatte einige Traditionen, an denen sie hartnäckig festhielt und vermutlich bis heute festhält. Das Zimmer 17, das einige Umzüge später längst eine andere Nummer hatte, aber immer noch so hieß. Das Motivationsschild am Fachschaftsraum, das Erstsemester warnte: „Suffering is mandatory“. Und ein legendäres Transparent, auf Demodeutsch „Transpi“ genannt, das zu allen möglichen Gelegenheiten hervorgeholt wurde. Es passte auch immer irgendwie, mit einem Darth-Vader-Kopf und der schönen Aufschrift: „Spar Wars – Das Uni-versum schlägt zurück“. Alle anderen mussten den Nachmittagstermin „gemeinsames Transpimalen“ leider wahrnehmen und sich zusammen mit buntgekleideten Mädchen über am Boden ausgebreitete Bettlaken beugen, Ringbuchblätter mit Sprüchen neben sich, Pinsel, Dispersionsfarbe, dann ging es los. Medial besonders Ambitionierte bastelten Särge, in denen die Bildung zu Grabe getragen wurde, die wurden von den Lokalnachrichten immer gern gefilmt.

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Ich versammelte mich gern mit den anderen Anglisten hinter dem Spar-Wars-Plakat, denn abseits dessen wurde es gern peinlich. Auf jeder Demonstration finden sich Protestierer, die das Standardrepertoire brüllen, das seit gut vierzig Jahren gebrüllt wird: Hoch die internationale Solidarität, Deutsche Polizisten schützen die Faschisten, und mit den Studiengebühren werden in einem Handstreich gleich noch Kapitalismus und Staat mit abgeschafft, weil wir gerade dabei sind. Es waren vielleicht nur einige unter den tausenden, aber es waren immer die lautesten. Man gab sich große Mühe, auf Passanten halbwegs zurechnungsfähig zu wirken, und neben einem stand jemand und wollte Anarchie.

Wer demonstrieren will, muß das ertragen können. Er muß auch die ständig wackelige Lautsprecheranlage ertragen, plärrende Mikrophone, dekorierte Kinder und Hunde, Trillerpfeifen und Ratschen. Er muß notorisch schlecht vorgetragene Forderungslisten ertragen, unverständlich gebrüllte Solidaritätsadressen, vom Winde verwehte Reden von Gewerkschaftsangehörigen. Man muß die Peinlichkeit ertragen, die die kollektive Empörung fast immer hervorbringt, es ist kein schöner Anblick. Und es ist sehr leicht, sich darüber lustig zu machen, herabzusehen auf die ewig Bewegten, die Weltverbesserer, die Möchtegernrevolutionäre. Es ist sehr leicht, sich fremdzuschämen.

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So hat man immer dieses ungute Gefühl der Vergeblichkeit, wenn man das Transpi einrollt und nach der Kundgebung nach Hause geht. Der Golfkrieg ist geführt, in doppelter Ausführung gar, Start- und Landebahnen wurden gebaut, und um Stuttgart 21 führt wohl auch kein Weg herum. Bislang hält sich auch der Kapitalismus noch halbwegs aufrecht.

Gegen das Gefühl der Vergeblichkeit hilft vielleicht nur der Gedanke an ein paar sehr hartnäckige Leipziger, die so lange immer mehr wurden, bis der Rest nicht nur sprichwörtliche Geschichte wurde. Eines der berühmtesten Bilder von Barbara Klemm zeigt das Brandenburger Tor am Tag seiner Öffnung am 22. Dezember 1989. Das Gebäude überragt die Menschenmenge, kleine Silhouetten mit Schirmen, und da unten rechts: Ein klassisches Bettlaken-Transpi wie aus dem Demonstrationsbilderbuch. Das Licht strahlt hindurch, und spiegelverkehrt kann man lesen: Deutschland einig Vaterland. Die Schrift ist ein bisschen schief, aber was macht das schon? In so einem Moment?


22 Lesermeinungen

  1. muscat sagt:

    Man muss ja sagen, in Blogs...
    Man muss ja sagen, in Blogs protestiert es sich schon deutlich gemütlicher…
    Herzlichen Dank für die wie immer erbaulichen Zeilen.

  2. Schöne Beschreibung :-)....
    Schöne Beschreibung :-). (Späte) Jugenderinnerungen: Abschlusskundgebung der Friedensbewegung gegen den ersten Golfkrieg (Rausschmiss des Irak aus Kuwait). 60.000 Teilnehmer (Polizeiangaben) im Bonner Hofgarten.
    Mitten drin 15 Verrückte, die FÜR die NATO demonstrierten (Demo-Hijacking) und sich in der Demo bis zur Tribüne vorarbeiteten, weil da die Pressefotografen sassen. Mit Riesen-Transparent, selbstgemalt, einer der Transparenthalter – ich :-).
    Am schönsten war der wütende Leserbrief ein paar Tage später in der WELT – nach Pressefotos hätte es so ausgesehen, als wenn man mit dem RCDS für die NATO demonstriert hätte.
    Schlimmster Moment – als sich ein schwarzer Block zu uns durcharbeitete. Bester Moment – als der Chef der sozialistischen Jugend „Die Falken“ seine Leute zur Abschirmung um uns herum gruppierte. Sein Kommentar auf unsere erstaunte Frage, warum er das macht: „Meinungsfreiheit gilt für alle“. Ein Hoch auf das grosse Herz dieses Mannes, dessen Namen ich nie erfuhr.
    Gruss,
    Thorsten Haupts

  3. fraudiener sagt:

    Danke, Muscat. Fehlt nur der...
    Danke, Muscat. Fehlt nur der Glühwein.
    Thorsten Haupts, das war in der Tat bewundernswert von dem Herrn. Niederbrüllen ist ja leicht, draufhauen ist auch leicht, man ist ja viele, das geht ganz einfach. Sich da dazwischenzustellen, weil die Freiheit zur Meinung wichtiger ist als die Meinung selbst, ist wirklich mutig.

  4. Phantastische Bilder und...
    Phantastische Bilder und Beschreibung – ich erlebte Aehnliches im Studium, wenngleich aus Sicht eines urspruenglich Geistenswissenschaftlers, der dann zur Naturwissenschaft konvertierte: Die in den Medien vielgepriesenen MINT-Studenten (zumindest diejenigen, die ihr Studium ernst nahmen) studieren und erschaffen Welten waehrend die nichtnaturwissenschaftliche Studenten sehr viel mit Worthuelsen um sich werfen. Entsprechend suchen sie Betaetigung in ihnen bekannte und genehme Aktivitaeten und rotten sich gerne zusammen: Auf Feiern, in Diskussionveranstaltungen oder eben in Demonstrationszuegen.
    Manche werden mich fuer die Haerte der Meinung nicht moegen: Aber Welten werden durch Taten erschaffen und nicht Worte. Demonstrationen sind in dem Sinne eher den Wortgefechten zuzuordnen. Sie ziehen deshalb die wort-, aber nicht tathungrige Menschen an. Eine kritische Masse musz erreicht werden, um zu Veraenderungen zu fuehren: Kritisch einerseits, dasz eine grosze Masse teilnimmt (und nicht beispielsweise wenige Hanseln, die behaupten fuer die 99% der Bevoelkerung zu sprechen), anderseits dasz tatenkraeftige Menschen in diesem Zug mitlaufen und vor Lust ad actionem kochen.
    So gelang Leipzig. Und deshalb wird „Besetzt Wall-Street“ eben nicht gelingen.
    Danke AD!

  5. fraudiener sagt:

    Ich als...
    Ich als Nichtnaturwissenschaftler habe ja vor allem Englisch gelernt, um die Fehler auszubügeln, die die machen, die behaupten, auch Englisch zu können. Außerdem habe ich gelernt, gerade Sätze zu schreiben, unter anderem auch, um normalen Menschen vermitteln zu können, was Naturwissenschaftler tun, was sie selbst aber nicht in gerade Sätze bringen können.
    Tun Sie doch bitte nicht so, als würden die Spezialisten des Wortes nicht gebraucht, als wären das alles nur Laberfächer ohne Sinn und Zweck. Gegen diese Haltung möchte ich mich doch ganz gerne verwehren. Ich habe durchaus etwas gelernt, auch wenn sich das Außenstehenden auf den ersten Blick nicht erschließen mag (und aus den meisten meiner Kommilitonen ist etwas anständiges geworden).

  6. Merzmensch sagt:

    Ja, diese Demo-Welt habe ich,...
    Ja, diese Demo-Welt habe ich, nach meiner Ankunft aus der damals bereits ehemaligen UdSSR, in vollen Zügen erlebt.
    Zugegeben, es war etwas befremdlich für mich, hier die Internationale zu hören, die gerade dort, wo ich nicht mehr war, nunmal eher zu einem abgelaufenen Symbol der totalitären Staatsgewalt gehörte.
    Zugegeben, die roten Fahnen mit Hammer und Sichel wirkten für mich ebenso etwas befremdlich vor dem Hintergrund des Bildungsstreiks – das damalige Thema meiner ersten Demo. Ich verfasste einen kleinen Text darüber, der in der FAZ „kleine zeitung“ veröffentlicht wurde (zugegeben, mit einem von der FAZ Redaktion unautorisiert gegebenen seltsamen Titel – und daher ziemlich reaktionär wirkend, wie viel Macht steckt in der Titelgebung!..).
    Zugegeben, die Einladung zu Marx-Lese-Abenden, die ich von meinen Mitschülern (war noch im Gymnasium) nach der Veröffentlichung erhalten habe („Du hast doch gar nichts verstanden“), musste ich leider aus Zeitgründen absagen.
    Doch nach und nach war ich auf allen möglichen Demos, da ich gesehen habe, wie viel es heutzulande und hierzutage schief läuft. Die Atmosphäre, die Du hier beschreibst, ist grandios getroffen – ich füllte mich wie ein Demo-Anfänger, umgeben von den Demo-Profis. Doch dabei sein war wichtig, denn die Themen waren konkret und dringend. Es war auf einmal kein Demo-Seeing mehr, es war keine „coolness“, oder kein nihilistisches „Gegen-alles-sein“-Spiel, es war einfach… dringend und notwendig.
    Dann die Demos gegen Studiengebühren, dann andere und andere Demos, und jetzt Occupy – diese Entwicklung hat mich positiv überrascht: man geht heutzutage zu Demos ohne bierernste Verbitterung, aber auch nicht als Party-Gang, sondern mit einem subversiven Lächeln. Mit Gewissheit, dass wenn auch nicht jetzt, dann irgendwie doch. Es ändert sich was.

  7. schusch sagt:

    Zimmer 17. Kettenhofweg?...
    Zimmer 17. Kettenhofweg?

  8. fraudiener sagt:

    Schusch,...
    Schusch, naturally!
    Merzmensch, es muß vermutlich noch eine Ecke befremdlicher sein, wenn das, was als fehlgelaufene Entwicklung hinter einem liegt, woanders noch immer als Utopie propagiert wird. Mir ging es einfach nur auf die Nerven, aber, eben: Es war dringend und notwendig. Es ging um Meinungsäußerung für etwas, von dem man überzeugt ist, in unserem Fall die Erhaltung der Universität in ihrer alten Form. Hat ja immerhin teilweise funktioniert.

  9. Nachtrag:
    Seit der...

    Nachtrag:
    Seit der Industrialisierung sind Nichttechniker im Nachteil. Es ist ein unermeszlicher Wohlstand geschaffen worden wie nie zuvor – kann sich ein Mensch wirklich vorstellen wie das Leben im 17. Jahrhundert war? Die Industralisierung ist erst durch den Techniker, den Produzierenden und damit den Naturwissenschaftler im engeren Sinne ermoeglicht worden. Er hat sie geschaffen, sie hat ihn im Gegenzug inthronisiert.
    Wenn in meinem Beitrag die Wortgewalt des Nicht-MINTler gegen die Tatgewalt des MINTler ausgespielt wird, dann musz das vor diesem Hintergrund gesehen werden. Denn der Nichttechniker, und im etwas weiter gefaszten Rahmen der Nichtnaturwissenschaftler hat latent ein Erklaerungsbeduerfnis was er denn im Getriebe einer technisierten Welt erschafft. Demonstrationslust unter Nichtnaturwissenschaftler mag unter anderem hieraus erwachsen.
    Am Rande: Natuerlich hat die Industrialisierung viele Opfer gefordert. Das ist alles wohl bekannt.

  10. E.R.Langen sagt:

    Dass das Engagement anderer...
    Dass das Engagement anderer Sie beschämt, verstehe ich. Aber muss man es deshalb herabwürdigen?

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