Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Schütze, kenne Deine Grenzen! – Der Kugelschuss

| 74 Lesermeinungen

Es ist Jagdsaison in deutschen Wäldern. Doch mancher Schuss schlägt fehl, genauso wie die Haltung so manchen Jägers. Höchste Zeit, den Finger in die Wunde zu legen.

„Nicht die Dinge bringen die Menschen in Verwirrung,
sondern die Ansichten über die Dinge“
Epiktet

Ich muss ein Beichte ablegen: In meinem ersten Blogbeitrag zum Thema Jagd (Das Jagdmesser oder wie nah komme ich meinem Steak) habe ich den Jäger beschrieben, wie ich ihn mir wünsche und habe beiseite geschoben, wie es tatsächlich um die Moral so manchen Jägers steht. Das muss nachgeholt werden, es wäre unverantwortlich ein Idealbild stehen zu lassen, wenn doch die Diskrepanz zur Realität regelmäßig Wutanfälle auslöst, – übrigens nicht nur bei mir, anderen Jägern geht es ähnlich. Deswegen soll dieser Angriff nicht der allgemeinen Jägerschaft gelten, sondern jenen beschämenden Einzelnen, die immer noch meinen, die Jagd sei ein Sport.

Zurzeit ist Hochsaison in deutschen Wäldern. Jedes Wochenende tönen Hörner durch die rot und gelb gefärbten Wälder, das Wild kommt auf die Läufe und versucht, den Treibern zu entkommen, die Hunde folgen mit enthusiastischem Gebell ihren Spuren. Schüsse knallen wie an Silvester. Doch nicht jeder von ihnen tötet, manche verletzen nur. Darauf ist man vorbereitet bei Bewegungsjagden, die Tiere werden schließlich nicht angepflockt und aus idealer Distanz in Breitseite vorgeführt, sodass ein Schuss das Blatt, also die Herzgegend, kaum verfehlen kann. Ohne Bewegungsjagden wäre der Abschussplan im Revier nicht einzuhalten, der das natürliche Gleichgewicht im Wald bewahrt. Der Nutzen einer Drückjagd steht außer Frage.

Bild zu: Schütze, kenne Deine Grenzen! - Der Kugelschuss

Liegt ein Tier nicht sofort im Schuss und bricht auch nicht wenige Meter später zusammen, wird eine Nachsuche mit Hund angesetzt. So brutal es für den Nicht-Jäger klingen mag, der nicht tödliche Schuss ist einkalkuliert. Mehrere Hundeführer mit ausgezeichneten Tieren stehen deswegen bei jeder dieser Jagden bereit. Das Risiko wird in Kauf genommen und die traurige Wahrheit ist: Nicht alle getroffenen Tiere kann man einholen und erlösen. Ich möchte behaupten: Bei jeder Jagd gibt es Nachsuchen, die erfolglos bleiben.

Dennoch, Fehlschuss ist nicht gleich Fehlschuss; doch der eine ist ein Unfall und der andere beruht auf Übermut und Selbstüberschätzung. Ich möchte Ihnen von einer Begebenheit erzählen, bei der meine Ohren vor Zorn zu klingeln angefangen haben.

Meinem Hochsitz nähern sich zwei Stück Rotwild, beide weiblich. Vorweg die Mutter, ihr folgt das Kalb. Schon im Anmarsch zwischen dichtem Gestrüb merke ich, dass das Alttier stark wankt, als hätte es Wodka statt Wasser getrunken. Tatsächlich sehe ich, als sie auf die Schneise treten, dass es den Vorderlauf schont. Mein Schuss fällt, drei Sprünge noch, dann bricht sie zusammen, es ist vollendet. Das Junge jagt davon. Hoffentlich ist es tough genug, dass es den Winter gut übersteht. Bis zu den entbehrungsreichen Monaten ist es noch ein bißchen hin, die Chancen stehen nicht schlecht. Dennoch, ideal ist das nicht.

Bild zu: Schütze, kenne Deine Grenzen! - Der Kugelschuss

Als ich mir nach der Jagd das Tier ansehe, wird schnell klar, dass ein Schuss den Lauf zertrümmert hat. Ein Schuss, der nicht einmal im oberen Drittel des Beins eingeschlagen ist, was sich mit einem kleinen Verriss beim Abkommen noch erklären ließe. Nein, er traf tief unten kurz über den Schalen. Man muss sich das mal vorstellen: So ein Alttier ist größer als ein Pony! Und, nicht nur, dass der Schütze dermaßen miserabel getroffen hat, er schoss auch noch auf das falsche Stück. Niemals schießt man das führende Tier, immer den Nachwuchs.

Doch damit nicht genug: Nach der Jagd, als alle Schützen zusammen kommen und angeben, was sie geschossen haben und ob bei ihnen eine Nachsuche durchgeführt werden muss, macht keiner eine Meldung, der man mein angeschossenes Stück zuordnen könnte. Auch noch feige, vor dem Jagdherrn das Maleur zuzugeben! Auch noch verantwortungslos, wenigstens eine Kontrollsuche beim Anschuss zu erwirken! Auch noch kaltherzig, dieser Schütze! 

Kaltherzigkeit ist leider eine verbreitete Krankheit unter Jägern. Gleich am Abend bewies sie sich mir erneut, als ich einem Schützen von meinem Erlebnis erzählte.

Kommentar Nr. 1:

„Wenn nur sichere Schüsse abgegeben werden, kommt auch keine Strecke zusammen.“

Kommentar Nr. 2:

„Vielleicht hättest du gar keinen Jagderfolg gehabt, wenn es hochflüchtig an dir vorbeigekommen wäre.“

Bei solchen Reaktionen platzt mir beinahe die Pulsader, weil sie so stark zu pochen beginnt. Die Jagd ist nicht zum experimentieren da. Wer wissen will, wie gut er trifft, soll ins Schießkino gehen oder Sportschütze werden.

Bild zu: Schütze, kenne Deine Grenzen! - Der Kugelschuss

Und, der Wald ist kein Fußballfeld, wo einer dem anderen einen Torschuss vorbereitet. Wäre das Alttier zweihundert Meter weiter aus der Dickung gekommen, hätte ich nichts machen können.

Schlimm genug, dass dieser Schütze an Selbstüberschätzung und mangelnder Sorgfalt leidet. Doch wenn solche Fehler vom sozialen Umfeld nicht mehr verurteilt, sondern heruntergespielt werden, dann sind wir auf dem falschen Weg. Ich fordere eine Korrektur!


74 Lesermeinungen

  1. Jeeves sagt:

    <p>Ein Ausflug in den...
    Ein Ausflug in den Spreewald mit abendlicher Bootsfahrt durch die Kanäle wäre wunderba gewesen, alles ist schon fast dunkel, alles ist ruhig, nur ein wenig plätschert das Ruder…
    …wenn da nicht der einheimische Ruderer wäre, der stolz und ununterbrochen davon plapperte, wie er als Jäger-Neuling endlich mal mit dabei sein durfte, beim eingeschworenen Spreewanldjägerverein und wie man dann die Viecher gejagt und abgeschossen hat, wie man das dann gefeiert hat und wie man dann die Beute fachmännisch auseinander nahm. Es wurde blutig und sehr eklig.
    Ich weiß nicht, wie’s den andern etwa zehn im Boot mitsitzenden Touristen ging, denn ich saß ganz vorn und schaute nicht nach hinten, auch war es, wie gesagt, schon recht dunkel. Aber mir wurde es zuviel. Laut forderte ich den rudernden, laut plappernden „Jäger“ auf, endlich mal die Klappe zu halten. Was er dann prompt tat. Von den anderen kam nix. Irgendwie war’s peinlich. Ich weiß bis heute nicht: für mich? für den Jäger-Ruderer?
    Zuvor waren wir alle natürlich in einem Restaurant, da gab’s sogar ein kleines Jägerkonzert mit Jagdhörnern, gespielt von Männern in Jägerkluft. Es war sehr laut …und wohl gerade Jagdsaison.
    Das war mein letzter Besuch dort. Positive Gefühle für Jäger sind nicht dazugekommen.

  2. FAZ-soma sagt:

    Nicht umsonst ist der...
    Nicht umsonst ist der röhrende Hirsch zum Sprichwort geworden 🙂

  3. Franziska sagt:

    <p>Guter Artikel, teile deine...
    Guter Artikel, teile deine Meinung zu 100%! Feige Rambos haben auf Jagden nichts zu suchen.

  4. Bergfex sagt:

    <p>Ein herrlicher und dringend...
    Ein herrlicher und dringend notwendiger Beitrag! Wie ich schon im ersten Jagdblog kommentiert habe: „Jeder Schütze muss selbst entscheiden, wann er letztendlich den Finger krumm macht. Eine gesunde Selbsteinschätzung und eiserne Disziplin machen den wahren Jäger aus und unterscheidet ihn vom reinen „Schiesser“.
    Zur dieser gesunden Selbsteinschätzung kommt noch hinzu, dass sich jeder Jäger der Verantwortung bewusst sein sollte, die er bei der Jagd trägt. Ein krankgeschossenes Stück Wild zu melden und eine Nachsuche anzufordern ist für einen anständigen Jäger keine Schande, sondern eine Selbstverständlichkeit. Es nicht zu tun ist einfach feige, unwaidmännisch und erbärmlich.
    Schön, dass es in diesem Blog zu einer Selbstreflexion der Jäger kommt!
    In diesem Sinne: WMH!

  5. Jordanus sagt:

    <p>Schön, dass auch mal über...
    Schön, dass auch mal über so etwas gesprochen wird. Das Thema Jagd wird oft in den Medien zu undifferenziert behandelt. Hier wird immerhin deutlich, dass es solche und solche Jäger gibt. Kommentar Nr. 2 klingt fast ein wenig chauvinistisch.
    Mir fehlte zum Jagdschein damals die Lust auf den Wald. Ich wollte nur ballern. Von daher ganz gut, dass ich gar nicht erst damit angefangen habe.

  6. Kalchas sagt:

    <p>Ich kenne aus eigener...
    Ich kenne aus eigener Anschauung die Jagd, den Mastbetrieb, die Großschlachterei, den Fischmarkt, und einen Angler habe ich auch in der Verwandtschaft. Wenn es schon sein müßte, würde ich lieber von einem entsprechend ausgebildeten Fachmann (meinetwegen auch Fachfrau, aber das schon weniger gerne, da selbst Chauvi ♂) aus dem Hinterhalt erschossen als irgendeinem der anderen Verfahren zum Opfer zu fallen. Mit den Treib-, Drück-, Hetz- und Fuchsjagden ist das auch so eine Sache (s. o.).
    Leider bin ich nicht so konsequent wie der Don, der sich von Torten ernährt.
    Gruß K

  7. FAZ-soma sagt:

    Jaja, der Don....
    Jaja, der Don.

  8. Max sagt:

    <p>Guter Beitrag zum Geschehen...
    Guter Beitrag zum Geschehen „Aigles im Buchenwald“. Nur liebe Frau v. Maltzahn, das Alttier hätte mit einem Vorderlaufschuss gut überleben und ihr Kälber durch den Winter bringen können. Das nächste Mal in so einem Fall: Finger gerade lassen und Wunde ausheilen lassen. Das wäre dann Waidgerechtigkeit par excellence.

  9. FAZ-soma sagt:

    Weiß man's?...
    Weiß man’s?

  10. <p>Danke fuer die...
    Danke fuer die Jagdgeschichte! Ich teile als Reaktion hierauf meine mit Ihnen:
    Es ging ein Jaeger einst jagen: Breitschultrig und trotz seiner 63 Lenzen kraftstrotzend. Er war die Lokaljagd und das im Mittleren Westen zu erjagende Vieh – Rehe, Fasane, Enten, Elche und gelegentliche Baeren – leid. Er wollte wirkliche Jagd erleben und ging daher fuer drei Wochen in das ehemalige Suedrhodesien, heute besser bekannt als Simbabwe. Das Safariziel war einfach: Sieben Grosztiere erjagen und ihre Trophaeen einsammeln: Nashorn, Giraffe, Elephant und andere Spezies, deren Namen ich vergasz.
    Er jagte erfolgreich und berichtete, wie er sich beispielsweise dem erlegten Elephanten naeherte, eingedeckt mit Tausenden von Zecken. Wie er diese Zecken abkratzte und einige ihn befielen. Wie er an die Trophaee kam und welcher Art das war blieb sein Geheimnis.
    Er blieb eine Woche laenger im Simbabwe – zum Feiern.
    Zwei Wochen spaeter dann im Krankenhaus, Fieber, septischer Schock. Die Ursache, Rickettsia africae, war mit Doxyzyklin leicht zu therapieren und nach wenigen Tagen Intensivstation konnte er wieder zur Jagd zurueckkehren.
    An der Reaktion auf diese Geschichte in meinem Kollegenkreis erkannte man, wer von uns Nichtjaeger (also Sammler), wer Jaeger war: Diejenigen, die ihm volle Genesung wuenschten und sich ueber seinen Jagderfolg freuten, waren Jaeger in reinster Form. Alles andere Schattierungen eines Sammlertypus.

Kommentare sind deaktiviert.