„Nicht die Dinge bringen die Menschen in Verwirrung,
sondern die Ansichten über die Dinge“
Epiktet
Ich muss ein Beichte ablegen: In meinem ersten Blogbeitrag zum Thema Jagd (Das Jagdmesser oder wie nah komme ich meinem Steak) habe ich den Jäger beschrieben, wie ich ihn mir wünsche und habe beiseite geschoben, wie es tatsächlich um die Moral so manchen Jägers steht. Das muss nachgeholt werden, es wäre unverantwortlich ein Idealbild stehen zu lassen, wenn doch die Diskrepanz zur Realität regelmäßig Wutanfälle auslöst, – übrigens nicht nur bei mir, anderen Jägern geht es ähnlich. Deswegen soll dieser Angriff nicht der allgemeinen Jägerschaft gelten, sondern jenen beschämenden Einzelnen, die immer noch meinen, die Jagd sei ein Sport.
Zurzeit ist Hochsaison in deutschen Wäldern. Jedes Wochenende tönen Hörner durch die rot und gelb gefärbten Wälder, das Wild kommt auf die Läufe und versucht, den Treibern zu entkommen, die Hunde folgen mit enthusiastischem Gebell ihren Spuren. Schüsse knallen wie an Silvester. Doch nicht jeder von ihnen tötet, manche verletzen nur. Darauf ist man vorbereitet bei Bewegungsjagden, die Tiere werden schließlich nicht angepflockt und aus idealer Distanz in Breitseite vorgeführt, sodass ein Schuss das Blatt, also die Herzgegend, kaum verfehlen kann. Ohne Bewegungsjagden wäre der Abschussplan im Revier nicht einzuhalten, der das natürliche Gleichgewicht im Wald bewahrt. Der Nutzen einer Drückjagd steht außer Frage.
Liegt ein Tier nicht sofort im Schuss und bricht auch nicht wenige Meter später zusammen, wird eine Nachsuche mit Hund angesetzt. So brutal es für den Nicht-Jäger klingen mag, der nicht tödliche Schuss ist einkalkuliert. Mehrere Hundeführer mit ausgezeichneten Tieren stehen deswegen bei jeder dieser Jagden bereit. Das Risiko wird in Kauf genommen und die traurige Wahrheit ist: Nicht alle getroffenen Tiere kann man einholen und erlösen. Ich möchte behaupten: Bei jeder Jagd gibt es Nachsuchen, die erfolglos bleiben.
Dennoch, Fehlschuss ist nicht gleich Fehlschuss; doch der eine ist ein Unfall und der andere beruht auf Übermut und Selbstüberschätzung. Ich möchte Ihnen von einer Begebenheit erzählen, bei der meine Ohren vor Zorn zu klingeln angefangen haben.
Meinem Hochsitz nähern sich zwei Stück Rotwild, beide weiblich. Vorweg die Mutter, ihr folgt das Kalb. Schon im Anmarsch zwischen dichtem Gestrüb merke ich, dass das Alttier stark wankt, als hätte es Wodka statt Wasser getrunken. Tatsächlich sehe ich, als sie auf die Schneise treten, dass es den Vorderlauf schont. Mein Schuss fällt, drei Sprünge noch, dann bricht sie zusammen, es ist vollendet. Das Junge jagt davon. Hoffentlich ist es tough genug, dass es den Winter gut übersteht. Bis zu den entbehrungsreichen Monaten ist es noch ein bißchen hin, die Chancen stehen nicht schlecht. Dennoch, ideal ist das nicht.
Als ich mir nach der Jagd das Tier ansehe, wird schnell klar, dass ein Schuss den Lauf zertrümmert hat. Ein Schuss, der nicht einmal im oberen Drittel des Beins eingeschlagen ist, was sich mit einem kleinen Verriss beim Abkommen noch erklären ließe. Nein, er traf tief unten kurz über den Schalen. Man muss sich das mal vorstellen: So ein Alttier ist größer als ein Pony! Und, nicht nur, dass der Schütze dermaßen miserabel getroffen hat, er schoss auch noch auf das falsche Stück. Niemals schießt man das führende Tier, immer den Nachwuchs.
Doch damit nicht genug: Nach der Jagd, als alle Schützen zusammen kommen und angeben, was sie geschossen haben und ob bei ihnen eine Nachsuche durchgeführt werden muss, macht keiner eine Meldung, der man mein angeschossenes Stück zuordnen könnte. Auch noch feige, vor dem Jagdherrn das Maleur zuzugeben! Auch noch verantwortungslos, wenigstens eine Kontrollsuche beim Anschuss zu erwirken! Auch noch kaltherzig, dieser Schütze!
Kaltherzigkeit ist leider eine verbreitete Krankheit unter Jägern. Gleich am Abend bewies sie sich mir erneut, als ich einem Schützen von meinem Erlebnis erzählte.
Kommentar Nr. 1:
„Wenn nur sichere Schüsse abgegeben werden, kommt auch keine Strecke zusammen.“
Kommentar Nr. 2:
„Vielleicht hättest du gar keinen Jagderfolg gehabt, wenn es hochflüchtig an dir vorbeigekommen wäre.“
Bei solchen Reaktionen platzt mir beinahe die Pulsader, weil sie so stark zu pochen beginnt. Die Jagd ist nicht zum experimentieren da. Wer wissen will, wie gut er trifft, soll ins Schießkino gehen oder Sportschütze werden.
Und, der Wald ist kein Fußballfeld, wo einer dem anderen einen Torschuss vorbereitet. Wäre das Alttier zweihundert Meter weiter aus der Dickung gekommen, hätte ich nichts machen können.
Schlimm genug, dass dieser Schütze an Selbstüberschätzung und mangelnder Sorgfalt leidet. Doch wenn solche Fehler vom sozialen Umfeld nicht mehr verurteilt, sondern heruntergespielt werden, dann sind wir auf dem falschen Weg. Ich fordere eine Korrektur!