Die Weihnachtszeit ist sonderbar, sogar für die Gelehrten. Sie meint es doch gut mit den Menschen und dennoch verbreitet der Advent eine Ruhe, die oft in Schwermut kippt.
Es passt nicht zusammen, schließlich trägt doch Weihnachtsluft so viel Schönes in sich. Kinder lachen vor Schaufenstern, dahinter schneit es von der Decke. Immer neue Flocken fallen auf die Spieleisenbahn, auf ihren rot bemäntelten Schaffner und seine bunten Fahrgäste aus Plüsch.
Bald werden sie im Kunstschnee versinken, nur der Affe mit den beweglichen Gelenken winkt sich fleißig frei. Lichter formen sich über den Restauranteingängen zu Rentieren, Schlitten oder Sternschnuppen; unzählige Händler bieten ihre Hilfe an, damit die Wahl der Geschenke leichter fällt. Das Fernsehen denkt an die Hungrigen unserer Welt und ruft zu Gaben auf. Man sollte die aufsteigende Herzenswärme genießen, doch man kann es nicht, – noch nicht.
Denn auch Schenken ist ambivalent. Während man überlegt, womit man seinen Liebsten eine Freude bereiten kann, macht man sich zugleich die Dinge bewusst, die ihnen fehlen. Ein unerfüllter Kinderwunsch lindert sich vielleicht mit einer Biographie von Simone de Beauvoir. Sorge um die Opfer fordernde Karriere rückt durch einen Massage-Gutschein in den letzten drei bis acht Minuten am Ende der Stunde in den Hintergrund.
Natürlich gibt es auch die Gesättigten: Sie sind besonders schwer zu beschenken, sie haben scheinbar alles. Ihr Begehren ist exquisit und Unpassendes landet im privaten Gruselkabinett. Am besten besorgt man wohl Konzerkarten, dann hat man wenigstens gemeinsame Zeit geschenkt.
In den Adventswochen denkt man immer öfter an das bevorstehende Fest, und damit auch, mit wem man anstoßen wird.
In Großfamilien heizt die Frage die Nerven an, zehn bis zwanzig Leute an einen Ort zu kriegen, das erfordert eine ausgeklügelte Organisation. Aber es stellt sich höchstens die Frage, wer in diesem Jahr die Anreise auf sich nimmt. Es ist nicht gerecht, wenn es immer dieselben trifft. Um den vierzehn-Stunden-Stau auf der A7 reißt sich keiner.
Wer keine feste Weihnachtsbesetzung hat, den treibt eine ganz andere Frage um: Mit wem wird man dieses Jahr feiern? Bitte nicht einsam vor dem Fernseher. So sicher wie das Amen in der Kirche wird einen dann die „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens erwischen, in der Ebenezer Scrooge sich der peinigenden Frage unterzieht, was für ein schlechter Mensch er ist, dass er in der Heiligen Nacht alleine ist. Dringende Empfehlung: eine dreifache Dosis Johanneskraut, mindestens.
Solo feiern ist keine schöne Alternative, also muss ein Urteil fallen, wer von all den Freunden weihnachtswürdig ist und wer nicht, oder nicht mehr. Ein harter Prozess, denn dazu gehört natürlich nicht nur die Untertscheidung, wen man besonders gerne hat, sondern auch, wer einem im Grunde nicht so nahe steht, dass man in enger Gemeinschaft zwei oder drei Tage miteinander verbringen möchte.
Noch ein Nährboden für wachsende Melancholie: Eine Woche drauf steht die jährliche Zäsur an. Automatisch scheidet sich das Leben in ein davor und ein danach. Es drängt sich auf, was ist in diesem Jahr immer noch nicht passiert ist, aber doch bitte endlich von der Sehnsuchts- und Wunschliste erlöschen könnte.
Es ist unangenehm, sich solche Gedanken zu machen. Dennoch sind sie Teil eines Prozesses, der am Ende heilsam enden kann. Es ist wohl bloß der steinige Weg zur Besinnlichkeit.
Trotzdem, am liebsten möchte man sich dieser Erwachsenensorgen einfach entledigen. Könnte man doch selbst wieder jung sein und vor den Schaufenstern stehen und lachen, statt sich über den Kitsch darin zu ärgern.
Kleiner möchte ich werden, wie ein Kind. Kleiner mehr wie ein Däumling. Weiter, weiter schrumpfen. So groß bloß einer Elfe gleich, dass ich in eine Weihnachtskugel schlüpfen kann. Dort bleibe ich und komme erst wieder heraus, wenn auch das Ros‘ entsprungen ist. Wohl zu der Heiligen Nacht.