In den hintersten Nischen deutscher Warenhäuser haben sie überdauert. Sie hängen an Bügeln und kauern verschämt in rosa Pappschachteln, die in Resopaschubladen die Wände bedecken. Sie haben Namen, die wahlweise an orthopädische Stützstrümpfe denken lassen oder an Schlagersängerinnen der Siebziger Jahre. Sie sind nicht schön, beim besten Willen nicht, aber ihre Trägerin sollen sie schönmachen, oder zumindest versuchen, sie in eine gewisse Form zu pressen. Ich habe völlig vergessen, dass es so etwas noch geben könnte.
Dann stand ich letztens bei einer großen schwedischen Bekleidungskette in der Unterwäscheabteilung, weil ich dort immer Strumpfhosen kaufe (nur falls jemand nachfragt – Sie wären nicht der erste). Und dort hingen sie, gummiglänzend und in einem Ton, den man gemeinhin mit möglichst viel Verachtung in der Stimme als „fleischfarben“ bezeichnet. „Fleischfarben“ heißt heute und immer dann, wenn es nicht mit Verachtung gemeint ist, „nude“. Klingt auch besser, njuud, nach Sanddüne und Strandvergnügen, „fleischfaben“ hingegen klingt ja immer gleich nach oberhessischen Wurstwaren, aus einer braungekachelten Marktbude herausgereicht von mittelalten rotwangigen Metzgerinnen. Das mag für manchen auch eine gewisse Erotik bergen. Das will ich gar nicht hinterfragen. Auch nicht hinterfragen müssen.
Aber diese Gummihülsen, die sich laut Etikett zwischen erhöhter Taille und Knie um die Kontrolle der Körperform kümmern sollen, waren eindeutig fleischfarben und von sehr begrenzter Frivolität. Sie hießen Shaper. Aber so leicht lasse ich mich nicht täuschen, ich weiß genau, was das ist, das ist nämlich nichts anderes als ein ordinärer Hüfthalter. Und zwar nicht eines dieser dekorativen Modelle, das sich mehr an der Hüfte festhält als sie an ihm, sondern ein sehr funktionelles Teil, das vor allem wirkt. Nämlich hüfthaltend.
Und da fiel mir ein, wann ich das letzte Mal etwas über Hüfthalter gelesen habe. Das war in einem Artikel über die Kostüme der Fernsehserie Mad Men, in dem die Ausstatterin Janie Bryant sagte, in die Kleider passe Christina Hendricks, die die Chefsekretärin Joan spielt, nur hinein, weil sie Hüfthalter trage. Ohne Hüfthalter ginge das nicht, der ganze Look sei überhaupt nur mit Hüfthalter möglich. Aha, dachte ich mir damals, so bekommt man das also hin mit der Taille. Und dass sich vermutlich die Hausfrauen der fünfziger und sechziger Jahre darüber ausgetauscht haben, von Mutter zu Tochter, von Nachbarin zu Nachbarin, sah ja niemand, was drunter war, gab ja noch keine Hüfthosen, blieb ja Geheimnis bis ungefähr zur Hochzeitsnacht, im Idealfall zumindest.
Nur einige wenige Wochen später las ich einen weiteren Artikel über Christina Hendricks‘ Taille. Diesmal war es ein Interview mit einem Fitness-Spezialisten, der uns Leserinnen erklärte, wie unfassbar hart das Training sein muß, das diese Frau erduldet, damit die Kleider so sitzen, wie sie sitzen. Täglich, am besten stundenlang, schweißtreibend, begleitet von einem rigorosen Ernährungsplan. Das sei für uns Normalsterbliche kaum zu schaffen (eine Anleitung gab der Fitness-Spezialist trotzdem, versteht sich). Ich las das, schüttelte den Kopf und dachte: Hüfthalter! Die trägt doch Hüfthalter!
Anscheinend funktionieren sie ja auch, wenn Fitness-Spezialisten die Welt und ihre Taillen nicht mehr verstehen. Wenn Menschen allen Ernstes glauben, auch die gewagteste Körperform sei antrainiert und angehungert und verdanke sich nicht einfach einer geschickten Anordnung von Gummi und Stoff. Für Frauen vor fünfzig Jahren war das noch eine Selbstverständlichkeit, für uns heutzutage ist das völlig aus dem Blickfeld gerückt. Wir gehen davon aus, daß die Formen sich stets zu Vor- oder Nachteil frei entfalten und ziehen nicht in Betracht, daß jemand nachhilft. Wenn es sich nicht gerade um eine achtzigjährige Erbtante handelt, die sich in ihre fleischfarbenen Hüft- und sonstigen Halter preßt. Die Vorstellung ist ja auch nicht schön und nicht nude und ganz nahe an den oberhessischen Wurstwaren.
Dennoch. Ich bewundere die schwedische Bekleidungskette für ihre Konsequenz. Wer Mad-Men-Mode verkauft, muß auch die passenden Hüfthalter dazu liefern und nicht einfach fordern, sich die entsprechenden Körperformen hart und schweißtreibend anzutrainieren, denn das ist ziemlich verlogen. Das führt wieder nur dazu, dass sechzehnjährige Mädchen in den Spiegel starren und an sich zweifeln. Oder sechsundzwanzigjährige Mädchen. Alle aus der Post-Hüfthalter-Periode der Textilgeschichte eben, die sich in Retro-Mode versuchen und am eigenen Körper verzweifeln, der nicht ins Gesamtbild passen mag. Alljene möchte ich aufrütteln und ihnen zurufen: Frauen! Gedenkt des Hüfthalters! Verbrennt Formunterwäsche nicht voreilig, es könnte sein, dass sie immer noch feministischer ist als die zeitgenössischen Alternativen, die die Fitness-Spezialisten euch verkaufen wollen.
Also, einer alten Reklame bei...
Also, einer alten Reklame bei Schkopau an der ehem. Transitstrecke nach Hof gedenkend: lieber drumherum elaste statt innendrin plaste!
Herzlichen Dank für den Artikel und gesgnete Feiertage.
Soso, es ist also...
Soso, es ist also feministischer, sich ein wenig zurechtzuquetschen. Das wirkt ein wenig wie der Weg zurück zum guten alten Korsett, und das ist doch eigentlich so eine Art eiserne Jungfrau für den Feminismus.
So ein Hüfthalter ist natürlich noch lange nicht so selbstzerstörerisch wie sog. ganzheitliche Diät-und-Fitnesskonzepte, aber wäre es nicht besser, falsche Ansprüche/Erwartungen/Ideale als solche zu erkennen und zu verwerfen?
Eine liebe Freundin,...
Eine liebe Freundin, wunderbare Köchin und etwas mollig, hatte sich vor Jahren solche schlauchförmigen shaper extra aus den USA geordert und mit ihrem prachtvollen Decolletee und den geshapten Kurven die erwünschten Wirkungen erzielt. Nach dem großartigen Essen, den begleitenden Weinen, dem Kaffee, dem Cognac aber wurde ihr heiß, schrecklich heiß und sie wollte sich der shaper diskret entledigen. Das ging aber nicht, ihr Mann mußte die Dinger dann mit der Geflügelschere seitlich aufschneiden, um sie zu befreien.
Darum: diese Schnürtaillen waren gar nicht so dumm, da kam frau schließlich wieder raus, und Ähnliches, bunt, aus Seide (mit festem Unterbau), sündteuer und ebenfalls schnürbar, bekommt frau (nach Maß) in Paris bei Poupie Cadolle
https://www.cadolle.fr/fr/news
Die Niederländer haben eine...
Die Niederländer haben eine ganz unfeministische Idee. Man diesen Jüngling an jeder Starßenecke bewundern:
https://www.thestar.com/living/fashion/article/1102264–dutch-company-uses-androgynous-male-model-to-sell-push-up-bras
Ja!!! Genau!!!
Die Teile...
Ja!!! Genau!!!
Die Teile eignen sich auch hervorragend zum Verschenken. An eine liebe, gut gepolsterte Freundin, verbunden mit einem Gutschein für drei Banana Splits im Eiscafé ihrer Wahl, versteht sich. Habe es schon ausprobiert – mit großem Erfolg.
Das Leben ist doch manchmal einfacher als man denkt…
"Mein Hüfthalter bringt mich...
„Mein Hüfthalter bringt mich um!“
.
Die älteren unter uns erinnern sich sicher noch an die Fernsehwerbung!
.
Danke Frau Diener für diesen Beitrag, der den Titel des Blogs Ding und Dinglichkeit wie seit langem nicht mehr auszudrücken vermag!
Da möchte ich doch noch ein...
Da möchte ich doch noch ein Detail beisteuern, dass ich nur dank meiner ausgeprägten Vorliebe für Verknüpfungen und Zusammenhänge behalten habe. Nämlich, dass die Taille, wie wir sie kennen, eine Erfindungen von Kaiserin Sisi ist, die mit ihrer Sehnsucht nach der schmalen Silhouette Aufsehen und Erregung errregte.
Frauen, die sich über das gängige Schönheitsideal beschweren, mögen sich also bitte in den kommenden Tagen die Tränen verkneifen und einen bitteren Fluch durch die geschlossenen Zähne zischen, wenn auf Sat.1 wieder das Franz’l verheiratet wird.
Eigentlich wollte ich als...
Eigentlich wollte ich als Erster kommentieren, habe mich aber nicht getraut.
.
Meine fruehere Freundin, genannt Vera Kallipygos, meinte sich in ein solches Teil hineinkneten zu muessen. Als ihr damaliger Freund sich an diesem stabilen, zaehen Teil abgearbeitet hatte und das natuerliche Ergebnis seiner Muehen im sanften Glanze des Kerzenlichtes sah, fragte er sich, warum in des Teufels Namen wohlproportionierte Maedchen sich sowas antun. Ihre Taille war so zart, dass beim Umfassen derselben seine Fingerspitzen sich beinahe haetten berueren koennen. Kein Wunder, dass Vera im Verhaeltnis zur schmalen Taille die Huefte zu breit fand.
.
Damit „Tschuess“. Ich verfalle in traurige Nostalgie, und erst ab 22 Uhr gibts Geistlichen Trost. Apfelgeist.
Nee, Clelia, denn dass hiesse...
Nee, Clelia, denn dass hiesse in die Falle sämtlicher Verbesserungsfreunde zu fallen und die Rechnung ohne den Menschen zu machen.
Meiner Erfahrung ist das Problem deutscher Feministinnen mit ihrer eigenen Sexualität und auch Anziehungsfähigkeit längs zu kommen: warum eigentlich diese verklemmte Mischung von Prüderie und Totalität des Sexus?
In Frankreich wurde kürzlich das Tragen eines Rockes (es wurde mehr an Geschmackvolles zwischen Zelt und Schlüpferfrei gedacht) als feministische Geste entdeckt.
Die Mode der geschnürten...
Die Mode der geschnürten Taillen ist mindestens hundert Jahre älter als Sisi, Andreas, und verliert sich womöglich im Dunkel der Geschichte. Im übrigen meine ich, daß sich die Damenwelt nicht wegen uns leicht zu beeindruckenden Mannsbildern solchen Martern unterwirft, sondern um untereinander einen Fernwettkampf auszutragen. Ich kann mich noch an den Tag erinnern als mir eröffnet wurde, daß rote Schuhsohlen nicht affig, sondern eine Art Clubausweis sind.