Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Liebe braucht Minuten: Die Minute

| 31 Lesermeinungen

Achtung, Poesiealarm der Stufe sechs bis sieben. Schließen Sie Fenster und Türen und legen den Hörer neben das Telefon. Es dauert auch nur eine Minute.

Es ging so schnell, dass man nicht ein Mal tief Atem holen konnte. Wahrscheinlich ist auch, dass man die ganze Zeit über die Luft anhielt.

Es ist nicht sicher, wann es begann: ein Blick, zwei Worte am Ohr, drei gewöhnliche Begegnungen und tausend Schmetterlinge im Kopf, die mit flirrenden Flügeln jeden vernünftigen Gedanken verjagten, sollte er es wagen.

Doch es legt sich ein Rahmen um diese Liebesgeschichte, der vielleicht sogar die Wahrheit ist: für den, der glaubt und zwar gerne.  

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Wenn die Abfolge so stimmt – und das tut sie ja in einer Geschichte ganz so, wie es dem Autor beliebt – dann beginnt es noch vor dem großen Beben mit dem Treffen auf eine Frau, die ihren Glauben an Gott befremdlich lebendig vor sich hertrug. Wie ein Wasserfall erzählte sie davon und begründete jeden Regenschauer mit einem Eingreifen des Herrn, dass es einem unheimlich wurde. Da fiel auf: Die letzten zwei, drei Monate war es doch recht still geworden im inneren Zwiegespräch nach Oben. Und so sanken die Knie zu Boden und es entfloh der rührenden Seele nun doch der ernste Wunsch, an eine Bitte angebunden.

Es war ein Gebet nach Liebe in Worten, wie sie die Lippen eigentlich nur ungern verlassen. Der Stolz duldet normalerweile sowas schon im Ansatz nicht; soll es besser für andere reichen: des Schöpfers Erbarmen. Man kann doch nicht jetzt schon beim letzten Ausweg angelangt sein. Es gibt doch tausend Türen!

Nur wenige Tage später schon rissen die Dämme. Man lief sich wieder über den Weg und sofort, von der ersten Minute an, mit einem Lachen, mit frechem Necken, mit Augen in Wonne getränkt hielt er meine ganze Welt in seiner Hand. Die ganze Welt hielt er in seiner Hand. Er hielt sich und mich in seiner Hand, nur mich und sich in seiner Hand, die vibrierte. In seiner Hand hielt er Zukunft und Passé, hielt die Freunde und die Feinde. Er hielt Kinder und ihre Enkelkinder wie Blumen in seiner Hand. Komm, sagt es allen weiter, hier wurde heute eine Liebe geboren. Wenn sie das nicht war, was dann?

Konnte es wirklich sein, dass nun zusammenfindet, was zusammengehört? Was sollte hiernach noch kommen und wen würde es interessieren?

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Doch der Schlag traf hart. Es gab hier kein Gras, kein Ufer. Verheiratet, vergeben, vier Kinder. Es war ein Präsident, ein Idol, es war der Lehrer, der Ex-Mann oder einer, der zwei Kontinente entfernt lebte; ein viel zu alter oder viel zu junger. Einer, der seine Wirkung genüsslich an Ergebenheit rieb, die bei aller Mühe sie zu verbergen, doch offenlag.

Engelchen und Teufelchen, eben noch aufs bitterste verstritten, zuckten bald bloß noch mit den Schultern, denn ich konnte sie nicht hören: In mir spielte ein Orchester. Ich könnte seine June Carter sein. Mit ihm möchte ich auf den Grund des Ozeans sinken. Dann begehrte ich eben den Abgrund, in meinen Träumen kann ich fliegen.

Liebe macht wahnsinnig, – da war doch was.

Kein „Nein“ und auch kein „das geht nicht gut“ setzten sich durch. Pein, Euphorie, Schock, Hysterie und Hoffnung brachen wie meterhohe Wellen hinab. Da möchte man doch lieber achtzig Jahre alt sein und fertig mit dem Leben. Steht keine Strafe darauf, dass man Liebe nicht abtreiben darf? War es nur wieder zum aus dem Kopf schlagen? Wie sollte das gehen, wenn er in mir steckte wie ein giftiges Bonbon, das seine Wirkung wie Heroin in die Adern schießt? Mach kaputt, was dich kaputt macht, – Rio Reiser kennt natürlich die Tapetentüren in der Hölle.

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Jungfrau mild, seh der Jungfrau Sorgen, lass mich sicher schlafen bis zum Morgen, dass ich nicht zerdrückt werde in dieser dunklen Felsenkluft, die stetig schmaler wird. Verjage die Dämonen, sie dürfen hier nicht wohnen. Die Zeit wird den Schock überwinden, und wenn der Mann schon nicht zu vergessen ist, dann gehört er zumindest tief hinten abgestellt in der ungefegten Ecke. Sollen doch die Spinnweben ihn umarmen, so fest, dass er nicht mehr durch sie hindurch scheinen kann, und ich werde sein von guten Mächten wunderbar geborgen, behütet und getröstet.

Wie soll man sich das alles erklären? Wie kann, was erst wahrhaftig schien, doch und bloß ein Trugschluss sein? Irgendwann wird man darüber schmunzeln können, Gottes Humor ist auch nicht zu unterschätzen. Nichts ist endgültig, denn es endet nichts. Man steht nur jetzt im nächsten Lebensraum. Mit wieder tausend Türen.


31 Lesermeinungen

  1. T.I.M. sagt:

    Werte Sophie,
    der Gott, der...

    Werte Sophie,
    der Gott, der fuer jeden kleinen Regenschauer verantwortlich ist, ueberlaesst Flutkatastrophen und Erdbeben dann sicher nicht dem Zufall, oder? Und genau dieser Halunke soll die Protagonistin Ihrer Geschichte dann dazu gebracht haben, sein eigenes Gebot (Begehre nicht…) zu missachten, das sein angeblicher Sohnemann auch noch radikal verschaerft hat (welcher Kastrat kann da noch von „froher“ Botschaft sprechen!)? Wenn Ihnen (verzeihen Sie, wenn ich nur unsauber zwischen Ihrem wahren und lyrischen Ich unterscheide) die naturwissenschaftlichen Erklaerungen nicht passend erscheinen und Sie unbedingt am Gottesursprung des Verliebtseins (darum geht es ja hier, nicht um die Liebe an sich!) festhalten wollen, dann werden Sie doch einfach Polytheistin! Werfen Sie die Lustfeindlichkeit des abrahamitischen Trios in den Orkus, und schon koennen Sie frei von Gewissensbissen die Gnadenantraege der Beduerftigen ungestoert von Zeus/Odin/Jupiter/Baal bearbeiten lassen, waehrend Sie Ihren Liebeswunsch an die dafuer zustaendigen Aphrodite/Freija/Venus/Astarte/Lada… herantragen.
    .
    Ansonsten bleibt Ihnen wohl nicht viel mehr als bei Scott/Storck zu verharren:
    Wir woll’n uns still dem Schicksal beugen.
    Oder pfeiffen Sie auf die verdammten Konventionen, Gott, die Hoelle und die Gesellschaft und nehmen Sie sich den Mann!

  2. FAZ-soma sagt:

    <p>Lieber Herr Binsack, vielen...
    Lieber Herr Binsack, vielen Dank für Ihren spannenden Beitrag. Der Satz „Nichts ist endgültig, denn es endet nichts“ stammt so oder so ähnlich aus dem Kinderzeichentrickfilm „Das letzte Einhorn“. Und ist mir nie wieder aus dem Kopf gegangen.

  3. FAZ-soma sagt:

    Werter T.I.M.: "der Gott, der...
    Werter T.I.M.: „der Gott, der fuer jeden kleinen Regenschauer verantwortlich ist“ – in meinem Verständnis müsste es heißen „der Gott, der für jeden Regenschauer verantwortlich gemacht wird“

  4. Moritz sagt:

    Werte Frau von...
    Werte Frau von Maltzahn,
    vielen Dank für diese Zeilen, die bringen mich auf bewegende Weise in den Feierabend.
    Aber ein Mann, der sich an Ergebenheit weidet, nein, der ist es nicht wert – doch es ist was es ist, sagt die Liebe.
    Schöne Grüße aus dem Norden,
    Moritz

  5. Michael sagt:

    Traurig. Kennt eigendlich...
    Traurig. Kennt eigendlich jede(r). Geht auch vorbei. Nur kein Trübsal blasen.
    https://www.youtube.com/watch?v=_NSuDMEOijs&feature=related

  6. <p>Nur eine Minute. Nach dem...
    Nur eine Minute. Nach dem zweiten Mal lesen und ohne nur zu schreiben: schön, auch ein paar Worte mehr zu dem mir auffälligen: @Sophie: „Es war ein Gebet nach Liebe in Worten …“, wenn ich die Zuneigung zur Sprache je in solch innigem, sehnendem, gläubigem Gefühl äussern wollte, dann genau so! Und ich war der Sprache erlegen, habe sie (die Sprache) herangelockt, die Scheue und doch so allgegenwärtige, und sie hereingebeten in mich, obwohl sie dort schon längst Platz genommen hatte, schon im Mutterbauch hat sie Wort für Wort in mir geklungen, aber jetzt ist sie ich, AUCH ich, sich; und wartet auf ihr (@Sophie) Gebet, aber ich bin längst aufgestanden, die Knie vom erliegen geheilt und schreibe: Nun will ich das Handeln hinter den Worten werten, heissen Worten zuliebe waren die Knie schon zu lange aufgeschürft, jetzt handeln die Worte oder sie landen im Schredder, wäre doch gelacht!
    Verschenkte Liebe? @Sophie: „…mit Augen in Wonne getränkt hielt er meine ganze Welt in seiner Hand.“, einfach schön. Wie bereit wir Menschen doch oft sind, das Selbst und alles was darin und darum ist, eines Anderes zu überlassen: „mach, was Du willst mit mir, nur …“, als sei das Selbst nur einen Schmetterlingsflug wert, mit dem allerdings nützlichen Nebeneffekt des Bestäubens. Können Wir wirklich so wenig mit der Selbst-Lebendigkeit anfangen? Irgendwas bezahlt Mensch doch dafür, nur was!?
    Alles hat ein Ende nur die Wurscht hat zwei, zugegeben, Ihr Spruch vom Einhorn ist besser, aber wenn die Liebe wie ein Kind ist („…, dass man Liebe nicht abtreiben darf?“), dann ist sie irgendwann auch einmal wieder weg, entweder aus einem Selbst, oder wenn Sie (die Liebe) erwachsen ist, draussen ist und andere Wege geht; nur, die WarteRaumZeit ist oft so lang, dass Mensch es kaum aushält, aber dann: endlich!
    Wenn es dann soweit ist, und Mensch ist befreit und steht allein und plötzlich tun sich tausend Richtungen auf, Sie (@Sophie) schreiben: „Mit wieder tausend Türen.“, dann ist Eines oft geplättet und irrt auf der Stelle herum und wünscht meist nur Eines herbei: „… ein Gebet nach Liebe in Worten …“, und alles geht wieder von vorne los. Da könnte Eines fast auf die Idee kommen, zu meinen: So ist das mit der Lebendigkeit. Sie kreist um das Selbst und gebiert doch nur ein Ei, oder zwei und ist bald vorbei. Da öffne ich besser die Türen, mal schauen …
    Danke nochmal, für die Inspiration. Guten Abend.

  7. <p>Gibt es eine...
    Gibt es eine Steigerungsform von traurig? Fuer den einzelnen traurigen Menschen scheint es nicht der Fall zu sein, aber fuerwahr, es gibt sie, grammatikalisch, literarisch, reell.
    Was ist wenn man die vermeintlich grosze Liebe gefunden, mit ihr wunderschoene Kinder erschaffen hat, aber es dann scheitert? Das schmerzt, lassen Sie es sich sagen, verehrte SvM und Mitlesende… Die Traum gewordene Realitaet wird wieder Traum…

  8. FAZ-soma sagt:

    ... und endet nicht, denn es...
    … und endet nicht, denn es endet nichts.

  9. Gent sagt:

    <p>Sag:</p>
    <p>„Ich...

    Sag:
    „Ich fühle mich von Dir wie noch von niemandem in meinem Leben geliebt!“
    oder:
    Reiss’ mir das Herz heraus und es wird diese Wahrheit bluten.

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