Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Konserve für ein Lebensgefühl: Das Jahrbuch

| 14 Lesermeinungen

Wie unterm Jungbrunnen fühlt man sich, trifft man nur einen alten Bekannten und lässt Vergangenes wieder aufleben. Im Vergleich dazu steht ein Klassentreffen für die Niagarafälle.

Es gibt Menschen, die kann man zehn Jahre lang nicht gesehen haben, und dennoch vom ersten Moment an wieder mit ihnen vertraut sein, als wäre keine Zeit vergangen. Das ist dann eine tolle Sache: Man umarmt sich, plaudert von früher und kann nicht fassen, dass es einem vorkommt, als wäre in den vergangenen zehn Jahren nichts weiter passiert als ein bisschen Leben.

Am besten ist man auf so einen Moment vorbereitet. Ärgerlich, wenn die Chance auf diese Jungdusche verstreicht, nur weil man gerade im Stress ist. Also meistens. Man lieber die Straßenseite frühzeitig gewechselt hätte oder das ausgeschaltete Handy ans Ohr hält, um Ablenkung vorzutäuschen. Die Vorsicht ist berechtigt, denn ein misslungener Smalltalk kann schmerzende Folgen haben: Allzu leicht bricht postpupertäres Unbehagen wieder aus.

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Viel schöner ist es doch, wenn man den Damaligen im passenden Rahmen trifft und Muße hat für den längsten Smalltalk der Welt: wie auf einem Klassentreffen, auf dem jeder jedem dieselben Fragen stellt. Was machst du? Wo lebst du? Wie liebst du?

Natürlich liefert der Vergleich des Schwarzweiß-Fotos im Jahrbuch mit dem lebendigen Original ein paar Überraschungen: Einer, von dem man sicher war, dass er niemals wieder eine Schule betreten würde, ist heute Lehrer. Der größte Aufreißer der Stufe, mit dem so gut wie jede und jeder schon mal rumgeknutscht hat, ist schon verheiratet. Die selbstvergessene Träumerin, die den Lehrern mit ihrer einzig relevanten Uhrzeit – ihrer inneren – größte Sorge bereitete, führt heute ihr eigenes Unternehmen.

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Es wird promoviert, manche jagen durch Karrierestufen; darunter mischen sich Kreative, die ihr Künstlerleben niemals gegen einen Krawatten-Job tauschen würden. Viele sind in festen Beziehungen oder haben es mit einem Trauschein noch weiter getrieben. Bestimmt ein Drittel meines Jahrgangs hat schon eigene Kinder. Andere wollen sich für das nächste Treffen ein Baby mieten.

Mich verleitet mein Klassentreffen zu einer Mini-wini-Analyse meiner Generation, Baujahr 1983/84. Schließlich konnte man sich die Klassenkameraden nicht aussuchen wie seine Freunde und Feinde, sondern wurde fremdbestimmt mit ihnen zusammengewürfelt.

Was uns zweifellos antreibt: Gestaltungswille im Beruf und Familie. Also, liebe Sozial-Etikettierer und Werbetexter, korrigiert Euer Klischee von der Maybe-Generation: Wir plätschern nicht seicht durchs System und stranden hilflos in der Mittelmäßigkeit. Nach der aufreibenden Phase der Selbstsuche ab zwanzig, in der Optionen tatsächlich überwältigen und in einen Abgrund führen können, sind wir im Umgang mit unserer persönlichen Freiheit im hohen Maß geschult.

Viel mehr wohl als unsere Elterngeneration, die vor allem erst mal Nein sagte zu Konventionen. Wobei natürlich anerkannt bleibt, dass unsere Freiheit darauf beruht, dass vor uns gründlich aufgeräumt wurde mit den gängigen Vorstellungen von richtig und falsch. Man kann behaupten: Es wurde uns ein leerer Werte-Korb überreicht und wir packen ihn wieder voll, – mit einem pluralistischen Konservatismus. Das verblüfft oder enttäuscht sogar so manchen ewigen 68er. Doch ihre Warnungen vor Spießigkeit verhallen.

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Denn es gibt eine Medizin, sollten Leitlinien, auch die selbstgewählten, einen zu sehr bedrängen: Es ist das Vergnügen. Um den Zwängen zu entkommen, geht man nicht demonstrieren, sondern tanzen. So wie mit achtzehn. Im Schatten der Nacht entgleist die Moral, aber was macht das schon: Schuld trägt der Rausch. Das kennt doch jeder. Ist entschuldigt. Es zählt am nächsten Tag nicht mehr. Der nächste Tag ist sowieso zu vergessen, schließlich soll er nur schnell vorübergehen und mit ihm Kopfschmerzen und Übelkeit.

Am Montag Morgen schleicht man sich ins Büro mit blauen Streifen unter den Augen, heiserer Stimme und sagt einen Termin lieber ab als zu: Mit Anstrengung nimmt man sein Leben wieder auf und ist doch beseelt, dass sich eigentlich seit dem Abitur gar nicht viel verändert hat. Das man genauso mit den alten Kameraden durch die Nacht toben kann. Dass man immernoch an kleinen Gesten des anderen Gesinnung erkennt. Dass jeder äußere Umstand sich ändern kann, doch was bleibt, sind die Menschen, die man im Herzen trägt.


14 Lesermeinungen

  1. Margit sagt:

    Sehr schön!...
    Sehr schön!

  2. FAZ-soma sagt:

    danke sehr....
    danke sehr.

  3. stimmviech sagt:

    <p>Was mich hier stört? Was...
    Was mich hier stört? Was ist mit den Lebensversagern aus ihrem Jahrgang? Die, die durch Unfall gelähmt wurden. ( Von denen, die es seit der Geburt waren, nicht zu reden). Denen, die kriminell wurden und jetzt im Knast sitzen.Die, die Selbstmord begingen. Oder , etwas weniger dramatisch, die einfach nur, vom Leben überfordert, arbeits- und beziehungslos abhängen. Ich glaube schon, daß es die gibt.
    Ich war nie ein Fan der 68er, aber diesbezüglich erscheinen sie mir ehrlicher und sympathischer als die „Generation Karriere“.

  4. abf sagt:

    in der tat. sehr schoen....
    in der tat. sehr schoen.

  5. taxator13 sagt:

    <p>Schöner Fast-Schluss-Satz:...
    Schöner Fast-Schluss-Satz: „Dass man immernoch an kleinen Gesten des anderen Gesinnung erkennt“. Als inzwischen Mitt-Vierziger stelle ich überraschend fest, dass die von Sophie beschriebene Stimmung auch auf (m)ein 25-jähriges Klassentreffen übertragen werden kann – die besondere Vertrautheit und das Gefühl, dass „dazwischen nur ein bisschen Leben passiert ist“, stellt sich auch nach Jahrzehnten noch und immer wieder ein.
    Ich rätsel dann immer ein wenig darüber, warum sich diese Art von besonderer Nähe und Verbundenheit mit später gewonnenen Freunden kaum erreichen lässt…

  6. Don Ferrando sagt:

    "Kreative, die ihr...
    „Kreative, die ihr Künstlerleben niemals gegen einen Krawatten-Job tauschen würden“
    .
    Was ist denn das für ein spießiges Vorurteil?
    Als ob es in Krawatten-Jobs keine Kreativität gäbe!

  7. FAZ-soma sagt:

    Das gibt es natürlich, es...
    Das gibt es natürlich, es traf nur bei mir nicht zu. Bei mir ist alles ganz normal.

  8. Moritz sagt:

    Werte Frau von Maltzahn,
    ich...

    Werte Frau von Maltzahn,
    ich fand die Wendung „pluralistischer Konservatismus“ gut, aus meiner Sicht sehr treffend. Mein Gefühl ist da ganz ähnlich, irgendwie findet man die Generation der Eltern hat aufgeräumt, wir wissen jetzt dass Atomkraft doof ist und wir finden die politische Linke irgendwie sympathischer als die Rechte, kreisen aber doch immer um die Mitte. Konservativ sind wir in dem Maße, dass wir gerne das Lebensgefühl der späten 80er wieder hätten, die Nachmittage mit Tennistraining und Brauner Bär-Eis und dem Gefühl, dass es eigentlich nicht besser sein könnte, das Leben.
    So eine Partynacht holt dieses Gefühl irgendwie wieder zurück, auch wenn man die Coladose gegen Hendrick’s mit Tonic eingetauscht hat, und mal unmoralisch zu sein gibt diesem unendlich öden Dasein eine gewisse Würze.
    Wir drehen uns um selbst denn was passiert passiert,
    schöne Grüße aus dem Norden
    Moritz

  9. Die besondere Verbundenheit...
    Die besondere Verbundenheit der Jugendjahre ruehrt aus wenigen sehr wichtigen Faktoren her: Es wird eine wirklich grosze Menge an Zeit waehrend der Schule gemeinsam verbracht. Man erlebt den anderen in verschiedenen Situationen und entbloeszt sich in verschiedenen, z.B. den strengen des Geruegtwerdens, den beschaemenden des Bloszgestelltwerdens, den stolzen des Etwas-Wissens oder -Koennes, den persoenlichen des ersten Rausches, ersten Kusses in der Oeffentlichkeit etc. Wie verbindet das doch, dieses familiaere Gefuehl des Man-kennt-sich! Weiterhin erleben Menschen psychologisch die Heranwachsensjahre als freie, wodurch Jugenderinnerungen und -bekanntschaften verklaert werden, via Amygdalaverknuepfungen mit vielen positiven Impulsen verknuepft werden.
    Wie armselig sind da unsere neuen Nachbarschafts- oder Berufsfreunde, die wir nicht so intensiv und unter diesen goldenen Momenten kennenlernen, ich gebe taxator13 und SvM recht!
    Diese Sehnsucht nach Jugend ist mit auch wieso Menschen ungebunden so lange verweilen.
    Es koennte ein psychologisches Traktat auf diesen Text aufgebaut werden.

  10. Nachtrag: Es schosz mir ein...
    Nachtrag: Es schosz mir ein Gedanke durch den Kopf. Wie schoen wenn wir einmal diesen Blog in reeller Diskussionsrunde verfeiern koennten! Dann wuerde man vielleicht merken wie irritierend ich bin (oder nett, das ueberlasse ich dem einzelnen), wie spontan die Anderen sind etc.
    Mensch, dafuer wuerde ich 1000 Euro in die Partykasse beitragen und aus den USA anfliegen.
    Wer organisierts?
    Ach so, virtuelle Traeume sind, nun ja, virtuell…
    Habs vergessen – die Piratenpartei als virtuelle Kaempfer leben es ja vor.

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