Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Katerfrühstück – Das Mädchen mit der Wasserflasche

| 27 Lesermeinungen

In der Nacht stand man auf der Tanzfläche und konnte mit Fremden beste Freunde werden. Sechs Stunden später verdampft die Euphorie mit der Anzahl der Kaffeetassen. Stattdessen: Konvention. Wie schaffen die Leute den Sprung in die Normalität?

Das Mädchen trinkt einen Schluck Wasser aus der Flasche. Um sie herum stehen ihre Freunde, manche sitzen auch am Tisch und frühstücken noch. Ihr Haar wuselt im Nacken durcheinander, die Spitzen vertüddeln sich in kleinen Knoten. Ihr großzügig aufgetragenes Make-up verdeckt nur mühsam die Schatten der Nacht.

Ich weiß nicht, wer sie ist, aber ich kenne sie. Von letzter Nacht. Von vor sechs Stunden. Als sie jubelnd auf der Tanzfläche stand. Als sie vor ihrem Tanzpartner den Liedtext mitgesungen hat, als stünde sie beim Popkonzert in der ersten Reihe und hinter ihr eine euphorische Masse im Taumel der Klänge.

Bild zu: Katerfrühstück - Das Mädchen mit der Wasserflasche
Heute wirkt sie schüchtern. Spricht wenig und wenn doch, dann mit tief kratzender Stimme. Gestern hätten wir nebeneinander stehen und uns nach Minuten vorkommen können wie beste Freundinnen. Hätten einstimmig lachen, singen und tanzen können. Doch heute ist der Zauber der Musik dem Kopfschmerz gewichen. Immerhin hat sie es zum Brunch geschafft und ist nicht mit Sozialkater im Bett geblieben: Was gestern lustig war, scheint heute peinlich. Was gestern interessant war – Lebenslauf, Beziehungskiste, haltlose Aversion – strengt heute den Zuhörer an.

Am nächsten Morgen beim Katerfrühstück mag man nicht mit Fremden sprechen. Die Schublade mit neuen Eindrücken ist rappelvoll, eine zusätzliche Information kann schnell Ernüchterung hervorrufen. Aber mit Unachtsamkeit den anderen beleidigen will man auch nicht. Lieber auf Tuchfühlung mit den Wohlfühlmenschen bleiben, mit denen, die einen kennen und auch schweigend in die Luft starren lassen, statt eine Antwort zu fordern.

Physisch anwesend, doch noch nicht wach. Noch im Traumland. Noch auf der Tanzfläche. Wie heillos doch alle durcheinander gewirbelt sind, die heute wieder gerade stehen und sich bei den Gastgebern höflich verabschieden.

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Langsam gewinnt die Konvention wieder Oberhand. Gleich wird sie ihr eigenes Fest feiern. Dann, wenn es ans Verabschieden geht. Beim Einhalten der nicht formal festgeschriebenen Verabschiedungs-Regeln, die von einer Gruppe von Menschen aufgrund eines Konsenses eingehalten werden, bilden sich unterschiedliche Typen raus:

Der bequeme Typ:
Bleibt am liebsten an seinem einmal eingenommenen Platz und lässt die anderen zu sich kommen. Winkt lieber über den Tisch rüber, statt sich mühsam aus der Reihe auf der Bierbank zu schälen. Muss er selbst bald aufbrechen, hängt er sich an seine Begleitung, die die konversative Führung übernimmt, sodass er nur noch zu nicken braucht.

Der minimalistische Typ:
Nimmt nur den Weg zu den Gastgebern auf, um sich zu bedanken, den Blumenschmuck zu loben und zu verabschieden und möglichst zu niemandem sonst. Auf die Frage, wohin er denn nun noch fahren muss, sagt er Berlin und nicht Neustrelitz oder Frankfurt statt Flughafen, womit er sich die Erläuterung spart, wohin sein Flugzeug geht und was er dort macht und wie lange schon.

Der sportliche Typ
Hat den Ehrgeiz, allen auf Wiedersehen zu sagen. Gibt jedem ein Bussi oder einen Handschlag, auch denen, die er gar nicht kennt. Hält seine Konversation aber knapp. Es bleibt beim harmlosen Geplänkel über die kürzeste Route nach Hause oder die nächste Möglichkeit sich wiederzusehen.

Der barocke Typ
Das dauert. Hauptsächlich bei weiblichen Gästen zu beobachten. Es wird der Koffer wieder abgestellt und nochmal auf halber Pobacke Platz genommen. Nun hat man einmal noch die Chance, das Gespräch vom Vorabend zu Ende zu führen. Man versichert sich, wie herrlich man es fand, sich endlich mal wiedergesehen zu haben und, dass man das unbedingt wiederholen müsse. Wann könnte das möglich sein? Kalender werden verglichen, die Infrastruktur zwischen Schlafplatz, Ab- und Anreise und Kleiderwahl schon angerissen. Das Ganze mit so vielen wie möglich. Bis die Reisegruppe ungeduldig wird, mit der man nach Hause fährt. Aber man hat ja noch gar nicht den Gastgebern Tschüß gesagt. Das muss noch sein. Und auf dem Weg zu ihnen jedem, den man noch dazwischen schieben kann.

Bild zu: Katerfrühstück - Das Mädchen mit der Wasserflasche

Das Mädchen mit der Wasserflasche oszilliert wahrscheinlich zwischen der ersten und der zweiten Kategorie, merke ich, als sie mit ihrer Reisegruppe eigentlich schon am Ausgang steht, sich die Gruppe aber nur mit 2m/10min voran bewegt, weil immer einer ausbricht, um kurz dem und dem noch tschüß zu sagen. Ich laufe mit einer Freundin an ihnen vorbei, weil sie ihr Gepäck aus meinem Auto holen muss. Wir verabschieden uns von jedem einzelnen, die Gruppe ist überschaubar und fast alle meine Freunde. Als ich dem Mädchen mit der Wasserflasche ein Küßchen rechts und links gebe – die Hand reichen ist doch schrecklich förmlich in unserem Alter – sagt sie nichts außer leise ,ciao‘.

In keinem Winkel ihres Gesichts steht, dass sie sich an mich erinnert.

Doch dann: ein Zwinkern.


27 Lesermeinungen

  1. muscat sagt:

    <p>Liebe Sophie, wie kam denn...
    Liebe Sophie, wie kam denn der Johnnie auf das letzte Bild, neben die (einst) hübschen Pumps? Bäh. Dieses widerliche Gesöff ist ein triftiger Grund, überhaupt erst gar nicht zu einer Party zu erscheinen; spart nicht zuletzt den mehr oder weniger bemühten Abschied am nächsten Morgen…

  2. FAZ-soma sagt:

    Ist mehr ein Stimmungs- und...
    Ist mehr ein Stimmungs- und Inspirationsschnipsel als Realität auf nem Katerfrühstück.

  3. Christian sagt:

    Sehr schöner Text - vielen...
    Sehr schöner Text – vielen Dank.

  4. Jeeves sagt:

    <p>Ach, ich hoffte, nach...
    Ach, ich hoffte, nach dieser Überschrift, dass ich endlich mal eine Polemik gegen die alberne Mode: „in Großstädten mit Wasserflasche rumlaufen als ob man eine Wüstenwanderung mache“ lesen könnte.
    War leider nicht. Vielleicht das nächste Mal.

  5. FAZ-soma sagt:

    Gute Idee....
    Gute Idee.

  6. Moritz sagt:

    <p>Liebe Sophie,</p>
    <p>(ich...

    Liebe Sophie,
    (ich hoffe Sie gestatten mir die hanseatische Anrede)
    eine treffende Beschreibung des Augenblicks wenn die Kutsche wieder zum Kürbis geworden ist und der Ballsaal seinen geschickt in der Dunkelheit verborgenen renovierungsbedürftigen Zustand offenbart….
    Irgendwas fehlt aber an der Geschichte, oder? Ich vermute Ihre vornehme Zurückhaltung und der Umstand, dass Sie Ihre Freunde beschreiben hat Sie dazu bewegt, keine Vermutungen über erotische Eskapaden anzustellen?
    Aber vielleicht hat sich in den ca. 10 Jahren die uns trennen auch etwas Grundlegendes geändert wenn junge Menschen sich treffen, an einem Ort übernachten und Alkohol im Spiel ist…hmmm…
    Schöne Grüße aus dem Norden
    Moritz

  7. FAZ-soma sagt:

    Lieber Moritz, danke, dass Sie...
    Lieber Moritz, danke, dass Sie mir das Aschenputtel auf diese Weise neu interpretieren. Wunderbar. Den Aspekt hatte ich übersehen, nehme ihn in jedem Fall ins Repertoire. Auch wenn ich ihn wohl eher auf nächtliche Schönheiten übersetzen kann, die mir so begegnen. Nachts ein Held, tagsüber glatt übersehen.
    Und für den Rest: FAZ ist nunmal kein Tagebuch.

  8. Die Taten des Maedchens fallen...
    Die Taten des Maedchens fallen in welche Kategorie: Instinkthaftes oder sinnvolles Handeln? Der abendliche Tanz und Umtrunk zielen unbewuszt wohl, wenn man sich in die Tiefen seiner Seele traut, auf Triebbefriedigung ab, zumeist sinnlicher Art. Der moderne Kierkegaard ist Hesses Steppenwolf: Jedes einem begegnende Wesen kann nicht nur, sondern will verfuehrt werden. Die Geschichte des Maedchens nimmt dann einen Steppenwolf- und damit Hollywoodausklang wenn sie morgens im Arm eines perfekten Partners sich wiederfindet, und beide ueber ihre kleinen Suenden lachen und den Balztanz nun kognitiv klarer fortfahren. Dann musz nicht Bussibussi in halbwachem Zustand in einem Hotelsaal gemacht werden.
    Doch das ist Maerchenstunde, aber wohl oft Motivation des Ausgehens. Am Ende endet es fast immer im Katerausklang, ob nun Kater als Folge der insuffizienten Koituswahl oder der nun leider folgenmuessenden Restitutio ad integrum nach Intoxikation und/oder koerperlicher Auszehrung.

  9. nobody sagt:

    Schön ist der Text nicht;...
    Schön ist der Text nicht; denn schöne Texte tragen immer Poesie in sich, dieser wird von ihr nicht getragen, daher ist es nur nüchterne Prosa. Man findet alles schön, wo von man keinen Begriff hat, und es irgendwo doch einem gefällt, aber nicht weiß genau was. In der ersten Strophe letzte Zeile würde ich statt „Schatten der Nacht“ (Spuren der Nacht) und in Zeile zwanzig statt “ Physisch anwesend, doch noch nicht wach.“ (Physisch anwesend und geistig abwesend) schreiben; mit der Begründung, weil man unter Spuren der Nacht sich die Müdigkeit sowohl als auch das Verlaufen des Make-Ups wesentlich angenehmer vorstellen kann als dahinter Schatten zu vermuten. Außerdem, finde ich, die Formulierung: „Physisch anwesend, doch noch nicht wach“ gerade das, „doch noch nicht wach“ eher das Gegenteil von, wie sagt man so gerne, Wortspielerei.
    Doch, wieviel Meinungsverschiedenheiten treten zwischen den Ansprüchen des Autors und Lesers nicht alles auf?
    Viele Grüße.

  10. FAZ-soma sagt:

    Das ist wohl Geschmackssache....
    Das ist wohl Geschmackssache. Und eine Frage der Phantasie. Schatten der Nacht können aus solche sein, wie sie um die blaue Alice im Wunderland hüpfen. Wem man alles in der Vorstellung begegnet ist: böse Monsterboys, hinterlistige Zwergzicken, wunderschön sanften Elfendamen. Die Nacht ist voll solcher Gestalten. Doch bei Tageslicht sieht man davon nichts.

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