Ding und Dinglichkeit

Ein Königreich für eine gute Idee: Der Leberfleck

Seit eineinhalb Jahren schon suche ich nach Dingen und ihrer Dinglichkeit. Was war in dieser Woche relevant? Nicht unbedingt in der Weltgeschichte, sondern vielmehr unter der Käseglocke des Alltags? Auf der Suche nach dem Motiv kommt mit stetig steigender Unentschlossenheit jedes Detail in Frage. Zitronenfalter in der Sommerluft, zum Beispiel. Wie hübsch, warum nicht mal einen Beitrag über flirtende Schmetterlinge schreiben?

Vor kurzem las ich ein Interview mit einem Schriftsteller, der den Leberfleck auf dem Kehlkopf des Journalisten bewunderte. „Der schafft es in den nächsten Roman. Das ist so gut, das könnte man sich niemals ausdenken.“

Eine Freundin von mir hat einen guten Blick. Sie schreibt nicht, sie fotografiert. Ähnlich wie Frida Kahlo war sie lange aus gesundheitlichen Gründen ans Bett gefesselt. Aber sie ist wieder auf den Beinen und nimmt ihr Umfeld mit einer Intensität auf, die ich sehr bewundere. Schau mal, unsere Schatten auf der Sandsteinwand, zeig mir eine Pose.
Guck hier, wie die weißen Blumen sich um die Bank aus grünem Stein ranken, wunderbar. Ich sollte ihr vorschlagen, einen Gastbeitrag zu schreiben. Sie wird mir einen Vogel zeigen.

Während eines Redaktions-Praktikums zweifelte ein Kollegen an meinem Verstand, als ich sagte, später gerne Kolumnistin werden zu wollen. Das wäre das Mühsamste überhaupt, sagte er, und klickte sich weiter durch die Presseagenturmeldungen. Auf der Suche nach der relevantesten Meldung der vergangenen Stunde. Hallo? Distinktion? Wo bist du?

Natürlich: das Blog will keine Stilvorgabe wie die Zeitung. Keine Schablone. Das Blog ist autonom, aber anspruchsvoll. Was ihm bieten? Außer Zitronenfaltern? Obwohl, – ich liebe Zitronenfalter. Sie sind verspielt, man sieht sie nur bei gutem Wetter, sie machen gute Laune. Wenn man einen Zitronenfalter entdeckt, könnte man auch Eis essen gehen oder zum Picknick in den Park. Stopp. Das wars. Mehr habe ich über Zitronenfalter nicht zu sagen. Beim Poker nennen wir das „Anna Kournikova“. Dann hat man As und König auf der Hand. Sieht gut aus. Du meinst, damit hoch spielen zu können. Anna Kournikova kann aber nichts. Nicht mal gegen ein Zweierpaar kann das was.

Also weiter: Ideen suchen, finden, sammeln. Doch Ideen sind exaltierte, launische Biester. Entweder sie kommen rasant und alle auf einmal. Oder es passiert nichts. Dann muss ich sie hofieren. Indem ich erst einmal etwas anderes mache, um den Kopf frei zu kriegen. Joggen hilft. Oder bei mir tatsächlich auch Nägel lackieren. Oder kochen, also essen. Bin mittlerweile auf Rohkost umgestiegen. Karotten sind gut für den Kautrieb.

Manchmal versuche ich über die Wand gespielt, an Ideen ranzukommen. Erst Ablenkung, dann Vollgas. Oh, oh, ich beichte: dazu gehört, dass die besten Ideen beim Einschlafen kommen. Der Konflikt ist vorprogrammiert, man will schließlich arbeiten, nicht schlafen.

Aber dann, während man wie ein Kassettenrecorder auf „Aufnahme“ gestellt ist, kommt die Idee wie von alleine angeflogen. Verschwommen. Aber immerhin. Bei mir in folgender Situation:

Wir fahren zu einem Geburtstag. Ich öffne meine Abendhandtasche, will nochmal Puder auflegen. Doch ich habe nur den Puderpinsel eingesteckt. Ohne Puder.

Klingt banal, hat aber Ironie, denn: Wie lange habe ich bitte darüber nachgedacht, welche Klamotten ich für das Wochenende einpacken muss? Locker einen halben Tag. Neben allem anderen läuft das Spiel „Ich packe meinen Kofferâ“ und nehme mit: den Schal, den eine Freundin bei mit vergessen hat, die Karte zum Unterschreiben, Bargeld für das Sammelgeschenk, Zieladresse, Schlafanzug(!), Zahnpasta, das geniale Puder gegen müde Haut, Haarspray, Lockenmaschine, Abendhandtasche….was vergessen? Ja, flache Schuhe zum Wechseln. Alles muss gut geplant sein, denn, wie lange hatte ich Zeit zu packen? Keine halbe Stunde.  

Ankunft, Gepäck abladen, umziehen, umpacken von der großen Handtasche in die kleine. Was vergessen? Unten hupt das Taxi schon. Wir kommen! Bis dann doch der aktuelle Stand lautet: Puder vergessen. Nach all dem Aufwand.

Doch auf dem Nachhauseweg fällt mir auf, dass ich mich den ganzen Abend lang nicht nachgeschminkt habe. Hab ich nicht mal dran gedacht.

Geboren ist die Dinglichkeit: Dinge, die man meint zu brauchen, tut es aber nicht. In meinem Fall war es das Puder. Funktioniert aber auch mit fast leeren Milchtüten, die wieder in den Kühlschrank wandern. Obwohl der Schluck nicht mal mehr für einen Kaffee reicht. Oder: alte Nagellack-Flaschen. Man schmeisst sie nicht weg, obwohl sie häßlich schlieren.

Sehr gute Lehren kriegt man auch beim Kochen erteilt. Man meint, unbedingt jungen Knoblauch zu brauchen. Der Supermarkt führt aber keinen jungen Knoblauch. Der nächste Laden auch nicht. Man geht genervt nach Hause. Bis man die Pasta dann mit Salbei versucht. Was richtig gut schmeckt. Mal was anderes.

Die Idee ist also gefunden. Jetzt den Blogtext daraus zimmern.

Kleiner Scherz. Diesmal war der Weg das Ziel.

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