Ding und Dinglichkeit

Ding und Dinglichkeit

Keine Frage, die Welt ist voller dinglicher Phänomene. Um viele davon wird einiges Gewese gemacht, etwa um Autos, Mobiltelefone, Schuhe. Das sind die

Ein Königreich für eine gute Idee: Der Leberfleck

| 36 Lesermeinungen

Künstler haben keine Ideen: sie liefern sich ihnen aus. Doch wenn es an die Umsetzung im Werk geht, muss Ordnung ins wirre Netz aus gesponnenen Möglichkeiten. Was sind die Wegweiser?

Seit eineinhalb Jahren schon suche ich nach Dingen und ihrer Dinglichkeit. Was war in dieser Woche relevant? Nicht unbedingt in der Weltgeschichte, sondern vielmehr unter der Käseglocke des Alltags? Auf der Suche nach dem Motiv kommt mit stetig steigender Unentschlossenheit jedes Detail in Frage. Zitronenfalter in der Sommerluft, zum Beispiel. Wie hübsch, warum nicht mal einen Beitrag über flirtende Schmetterlinge schreiben?

Vor kurzem las ich ein Interview mit einem Schriftsteller, der den Leberfleck auf dem Kehlkopf des Journalisten bewunderte. „Der schafft es in den nächsten Roman. Das ist so gut, das könnte man sich niemals ausdenken.“

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Eine Freundin von mir hat einen guten Blick. Sie schreibt nicht, sie fotografiert. Ähnlich wie Frida Kahlo war sie lange aus gesundheitlichen Gründen ans Bett gefesselt. Aber sie ist wieder auf den Beinen und nimmt ihr Umfeld mit einer Intensität auf, die ich sehr bewundere. Schau mal, unsere Schatten auf der Sandsteinwand, zeig mir eine Pose.
Guck hier, wie die weißen Blumen sich um die Bank aus grünem Stein ranken, wunderbar. Ich sollte ihr vorschlagen, einen Gastbeitrag zu schreiben. Sie wird mir einen Vogel zeigen.

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Während eines Redaktions-Praktikums zweifelte ein Kollegen an meinem Verstand, als ich sagte, später gerne Kolumnistin werden zu wollen. Das wäre das Mühsamste überhaupt, sagte er, und klickte sich weiter durch die Presseagenturmeldungen. Auf der Suche nach der relevantesten Meldung der vergangenen Stunde. Hallo? Distinktion? Wo bist du?

Natürlich: das Blog will keine Stilvorgabe wie die Zeitung. Keine Schablone. Das Blog ist autonom, aber anspruchsvoll. Was ihm bieten? Außer Zitronenfaltern? Obwohl, – ich liebe Zitronenfalter. Sie sind verspielt, man sieht sie nur bei gutem Wetter, sie machen gute Laune. Wenn man einen Zitronenfalter entdeckt, könnte man auch Eis essen gehen oder zum Picknick in den Park. Stopp. Das wars. Mehr habe ich über Zitronenfalter nicht zu sagen. Beim Poker nennen wir das „Anna Kournikova“. Dann hat man As und König auf der Hand. Sieht gut aus. Du meinst, damit hoch spielen zu können. Anna Kournikova kann aber nichts. Nicht mal gegen ein Zweierpaar kann das was.

Also weiter: Ideen suchen, finden, sammeln. Doch Ideen sind exaltierte, launische Biester. Entweder sie kommen rasant und alle auf einmal. Oder es passiert nichts. Dann muss ich sie hofieren. Indem ich erst einmal etwas anderes mache, um den Kopf frei zu kriegen. Joggen hilft. Oder bei mir tatsächlich auch Nägel lackieren. Oder kochen, also essen. Bin mittlerweile auf Rohkost umgestiegen. Karotten sind gut für den Kautrieb.

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Manchmal versuche ich über die Wand gespielt, an Ideen ranzukommen. Erst Ablenkung, dann Vollgas. Oh, oh, ich beichte: dazu gehört, dass die besten Ideen beim Einschlafen kommen. Der Konflikt ist vorprogrammiert, man will schließlich arbeiten, nicht schlafen.

Aber dann, während man wie ein Kassettenrecorder auf „Aufnahme“ gestellt ist, kommt die Idee wie von alleine angeflogen. Verschwommen. Aber immerhin. Bei mir in folgender Situation:

Wir fahren zu einem Geburtstag. Ich öffne meine Abendhandtasche, will nochmal Puder auflegen. Doch ich habe nur den Puderpinsel eingesteckt. Ohne Puder.

Klingt banal, hat aber Ironie, denn: Wie lange habe ich bitte darüber nachgedacht, welche Klamotten ich für das Wochenende einpacken muss? Locker einen halben Tag. Neben allem anderen läuft das Spiel „Ich packe meinen Kofferâ“ und nehme mit: den Schal, den eine Freundin bei mit vergessen hat, die Karte zum Unterschreiben, Bargeld für das Sammelgeschenk, Zieladresse, Schlafanzug(!), Zahnpasta, das geniale Puder gegen müde Haut, Haarspray, Lockenmaschine, Abendhandtasche….was vergessen? Ja, flache Schuhe zum Wechseln. Alles muss gut geplant sein, denn, wie lange hatte ich Zeit zu packen? Keine halbe Stunde.  

Ankunft, Gepäck abladen, umziehen, umpacken von der großen Handtasche in die kleine. Was vergessen? Unten hupt das Taxi schon. Wir kommen! Bis dann doch der aktuelle Stand lautet: Puder vergessen. Nach all dem Aufwand.

Doch auf dem Nachhauseweg fällt mir auf, dass ich mich den ganzen Abend lang nicht nachgeschminkt habe. Hab ich nicht mal dran gedacht.

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Geboren ist die Dinglichkeit: Dinge, die man meint zu brauchen, tut es aber nicht. In meinem Fall war es das Puder. Funktioniert aber auch mit fast leeren Milchtüten, die wieder in den Kühlschrank wandern. Obwohl der Schluck nicht mal mehr für einen Kaffee reicht. Oder: alte Nagellack-Flaschen. Man schmeisst sie nicht weg, obwohl sie häßlich schlieren.

Sehr gute Lehren kriegt man auch beim Kochen erteilt. Man meint, unbedingt jungen Knoblauch zu brauchen. Der Supermarkt führt aber keinen jungen Knoblauch. Der nächste Laden auch nicht. Man geht genervt nach Hause. Bis man die Pasta dann mit Salbei versucht. Was richtig gut schmeckt. Mal was anderes.

Die Idee ist also gefunden. Jetzt den Blogtext daraus zimmern.

Kleiner Scherz. Diesmal war der Weg das Ziel.


36 Lesermeinungen

  1. <p>Dieses Mal sehr menschlich,...
    Dieses Mal sehr menschlich, nur an der Oberflaeche analytisch, das Tiefgruendige umgehend: Ja, SvM ist auch nur ein Mensch mit seinen Dinglichkeitssorgen, authentisch und ehrlich. Danke, der Text hat mir wie stets sehr gefallen!
    Eine ernstgemeinte Frage: Sind Frauen dinglichkeitsaffiner und -aufgeschlossener? Sind sie damit besser aufgestellt fuer die Konsumwelt des Jetzt als der Mann (oder musz ich gar Heteromann schreiben?)?

  2. FAZ-soma sagt:

    Meinen Sie:
    Frauen sind der...

    Meinen Sie:
    Frauen sind der glitzernden Warenwelt mehr zugeneigt?
    Ich weiß es nicht, vielleicht bedient
    das große Angebot den alten Sammlertrieb.
    Zu jagen gibt es da nicht mehr viel.
    Außer natürlich große LCD-Fernseher,
    schnelle Autos und goldene Uhren.
    Die zählen wohl noch unter Jagdbeute.
    Vollautomatische Milchschäumer dafür weniger.

  3. <p>Ja - was kann der Mann denn...
    Ja – was kann der Mann denn jetzt noch jagen?
    Jagt er Wale, ist er grausam und wird als „Moerder“ beschimpft.
    Geht er auf Entdeckungsreise, stellt er fest, dasz alles schon entdeckt wurde.
    Forscht er, merkt er, dasz das langweiliges Statistikgeschiebe ist und nicht mehr das Knallen der Fruehchemie und das Aufspieszen der Insektenlarven und Ausstopfen von Groszwild.
    Will er sich einfach nur exzessiv betrinken, wird ihm beim Gang zur Tuer heraus entweder das noch von ihm zu wickelnde Kinde („Du bist dran“), eine Einkaufsliste (ebenfalls: „Du bist dran“) oder ein Paarabendvorschlag (dieses Mal: „Heute Abend bin ich dran“) aufgedraengelt.
    Da ist die Frau deutlich besser adaptiert; Gott hat sie wohl gesegnet.

  4. FAZ-soma sagt:

    Donde estas, Terra incognita?...
    Donde estas, Terra incognita?

  5. Gute Ideen kommen beim...
    Gute Ideen kommen beim Spazierengehen im Wald und in dieser kostbaren halben Stunde nach dem Aufwachen, wenn man noch nicht vom Alltag vereinnahmt worden ist.
    Wenn man viel reist oder zwischen Wohnsitzen pendelt, ist eine stets halbgepackt bereitstehene Reisetasche mit „essentials“ im Necessaire praktisch;
    auch eine Puderdose mit Farben für Sommer und Winterteint wie diese
    https://www.avene.de/produkte/dermatologisches-make-up/naturliches-tages-make-up/couvrance-mosaik-puder-naturel
    Fürs auch nur farblos und in einer Schicht Lackieren der Nägel und für vergängliche strukturelle Bemühungen am Haar hat meine Zeit und vielleicht auch meine Geduld noch nie gereicht.

  6. Raoul sagt:

    Werte Frau von Maltzahn, sie...
    Werte Frau von Maltzahn, sie sprechen mir aus der Seele! Zuweilen sind es eben doch die Erlebnisse und Beobachtungen des Alltags, die unser Leben bereichern und die unsere Kommunikation mit anderen bestimmen. Ich möchte auch nicht immer über die großen Probleme der Menscheit diskutieren, sondern mich an den Geschichten anderer erfreuen. Herrlich!
    Im übrigen fällt mir auf, dass vergleichsweise wenig Kommentare zum Beitrag eingegangen sind. Es geht halt mal nicht um das Austauschen von Ansichten, die in Ja, Nein, Vielleicht, ganz anderer Meinung und Ablehnung gipfeln. Ich finde das sehr angenehm.
    Hier zwei Geschichten (nichtkommerzielle Links) zum Thema Beobachtungen aus der Natur –
    Die Natur – Mein Garant für gute Laune: https://goodnewstoday.de/gute_nachrichten/2011/05/17/die-natur-mein-garant-fur-gute-laune/
    Ein Federgeistchen in der Küche – https://goodnewstoday.de/gute_nachrichten/2012/04/21/wesen-aus-einer-%E2%80%9Eanderen-welt-und-das-in-meiner-kuche/

  7. EgonOne sagt:

    Das mit dem Ideen finden,...
    Das mit dem Ideen finden, werte Sophie von Maltzahn, ist immer so ne Sache, wie Sie so passend in ihrem Kommentar schreiben.
    Manchmal kommen die aus blauem Himmel, oder waehrend einer schlaflosen Nacht, und keiner weiss warum das so ist.
    Ich finde die Zeit im taeglichen Autostau waerend der Rush Hour, immer hilfreich. Man kann ja nicht viel tun wenn man darinnen steckt und es ist immer eine gute Zeit um von dem Stress der Arbeit etwas dekompressioniern.
    „Wow, this job is just about killing me some times“, murmelt man dann.
    Da kommen aber dann manchmal auch gute Ideen. Man findet eine clevere Phrase fuer die naechst Praesentation auf der Arbeit, und man uebt so im Stillen eine schlaue Rede.
    Ploetzlich faehrt einer mit seinem Luxomobile einige Millimeter von meinem entlang, und man muss sich dann der Situation widmen, schimpfen oder sonst was tun und sagen was passend scheint. „Verdammter Anfaenger, Idiot“, sind so die Ausdruecke im Kopf herumwirbeln.
    Aber in dem Moment ist es bei mir leider dem „Eureka Moment“ vorbei. Die schlaue Phrase ist weg, total verschwunden, und egal wie ich mich anstrenge, ich bekomme die Sache nicht wieder zurueck. Irgendwie ist es dann nicht moeglich die wieder zusammen zu schmieden, egal wie ich mich anstrenge.
    A total blankout.
    So much for the decompression during rush hour.
    Nun, ja man versuchts halt. Manchmal klappts, manchmal nicht…..den elusiven Eureka Moment des Staus fest zu halten. Schade.
    Pax vobiscum

  8. nobody sagt:

    "Ja - was kann der Mann denn...
    „Ja – was kann der Mann denn jetzt noch jagen?“ – Zitronenfalter! – lieber Dr. Niemann, oder besser gesagt: Ideen. Ist es nicht ein kindliches Gefühl, SvM, empfinden wir dabei nicht Kindern gleich, wenn wir Ideen nachjagen, wie auf Wiesen die Kinder nach Schmetterlingen greifen?
    Viele Grüße

  9. Jeeves sagt:

    Vielleicht mal einen Beitrag...
    Vielleicht mal einen Beitrag über Blogkommentare verfassen, die mittendrin plötzlich englische Sätze oder Modebegriffe verwenden. Haben Sie nicht einen befreundeten Psychologen, der dies mal untersuchen und darüber launig, flauschig schreiben kann?
    Die ebenso gar nicht seltenen „Armes Deutschland“-Schreiber kann er dann gleich mit verarzten.
    .
    Die Vorstellung, „die besten Ideen kommen im Halbschlaf im Bett“, hatte ich auch mal. Ich war noch jung. Nahm ein kleines Band-Aufnahmegerät mit ins Bett und quatschte dann manchmal meine genialen Ideen darauf. Am nächsten Tag löschte ich den Unsinn peinlich berührt ganz schnell.
    .
    Zitronenfalter, sind das nicht diese zarten kleinen Flieger, die massenhaft von Kuhfladen und noch feuchten Stellen auf lehmigen Wegen auffliegen, wenn man ihnen zu nahe kommt?
    .
    Wenn man einen Satz anfängt, soll man ihn auch
    .
    .
    (auch ein kleiner Scherz)

  10. ernesto sagt:

    Lange nicht so etwas Seichtes...
    Lange nicht so etwas Seichtes in der Faz gelesen… Ist Ihr 2wöchentliches Geschreibsel hier eigentlich Ihr Hauptjob?

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