Die mittägliche, im Ganzen friedvolle – wenn auch leicht geschäftige – Atmosphäre bei meinem Lieblingsitaliener wurde je unterbrochen. Mit einem geschmetterten „Mahlzeit“ setzten sich drei Männer in die Runde und schaufelten kurz darauf das Tagesgericht in sich hinein. Ich weiß nicht mehr, wieso in diesem Moment die Pressemitteilung über die Weltrekordler im Essen-Verschlingen vor meinem geistigen Auge auftauchte. Gehört hier auch eigentlich nicht hin. Jedenfalls gewann eine Frau – Sonja Thomas – mit 173 Chicken Wings vor kurzem das National-Buffalo-Wing-Festival.
Was ich mich vor meinen Gnocchi Gorgonzola aber viel mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass „Mahlzeit“ als Gruß offensichtlich nicht auszurotten ist. Von Flensburg bis Lörrach maaahlzeitet es in Büros, Praxen, Werk- und Verkaufsstätten jeder Art. Und wie erlebt, auch auf neutralem Terrain. Als Tagesgruß war Mahlzeit nie gedacht. In grauer Vorzeit wurde zu bestimmten Zeiten das Korn gemahlen und sofort zu Fladen gebacken. Es war also Mahlzeit. Man setzte sich zu Tisch und eröffnete das Essen mit „gesegnete Mahlzeit“.
Wenn heute der Arbeitnehmer zwischen 11:00 und 15:30 Uhr auf andere Arbeitnehmer trifft, ist dieser „Gruß“ wahrscheinlich am unverfänglichsten. Und am scheußlichsten. Wie wär’s denn mal mit einem ordentlichen Tagesgruß oder bei Zwanglosigkeit mit einem Hallo? Wer sich das zweite Mal am Tag über den Weg läuft, braucht nur noch anzulächeln. Und garantiert wird ein vollständiger Satz: „Ich gehe jetzt zu Tisch“ auch verstanden. Ein Unternehmen richtete eine „Mahlzeit-Kasse“ ein: drei Euro jedes Mal für das böse Wort. Ich muss mal nachfragen, ob schon ein rauschendes Fest gefeiert wurde!
Mit den modernen Umgangsformen haben wir die Möglichkeit, nichts sagende Redensarten und Fragen durch aussagefähige Bitten und Wünsche zu ersetzen. Und bleiben so in guter Erinnerung.
Wir sagen: „Guten Appetit“ und meinen: „Jetzt geht’s los“ – warum sagen wir dann nicht: „Lassen Sie uns anfangen“, „Lassen Sie es sich schmecken“, „Ich freue mich, dass Sie meine Gäste sind“ oder etwas Lobendes über die Speisen.
„Guten Appetit“ wünscht die Gastgeberin oder der Gastgeber, denn diese spendieren uns das Mahl. „Guten Appetit“ zu sagen ist in Frankreich spießig – elegante Leute haben keinen Appetit, sie essen zum Zeitvertreib („bon consommation“ = „guten Verzehr“).
Natürlich verließen unsere drei Mitesser (nach unglaublich kurzer Zeit) das Restaurant – wieder mit einem deutlichen „Mahlzeit“, wie Sie sich denken können. Meine feinen Gnocchi nahmen es gelassen, denn immerhin war es höflich gemeint.