„Fußball ist nie Gegenwart, sondern immer Zukunft”, hat „The Prof from Hoff” in einem Interview mit Spiegel online gesagt, als wäre er ein neuer Philosoph, der statt steiler Pässe steile Thesen auflegt – die in ihrer Zuspitzung so nicht stimmen (weil Präsenz oder: Präsens im Fußball den entscheidenden Moment ausmacht), die aber etwas treffen. Und wie Ralf Rangnick da redet, das wird mal wieder alle aufregen, die ihn für den Besserwisser schlechthin halten. Es gibt ja ein nicht auszurottendes Misstrauen gegenüber Leuten im Fußball, die sich klar und präzise artikulieren können, randlose Brillen tragen und denen angeblich fehlt, was in der SPD „Stallgeruch” heißt und die „Ochsentour” voraussetzt. Sie waren keine Profis, weshalb ein als Spieler wie als Manager sehr limitierter Mann wie Schalkes Andreas Müller gesagt hat: „Ralf wirkt halt, ich will nicht sagen lehrerhaft, aber so richtig Fußballer ist er ja nicht.” Wenn Müllers Personalpolitik (von seinen öffentlichen Auftritten und rhetorischen Möglichkeiten reden wir mal lieber nicht) den „richtigen Fußballer” erkennen ließe, müsste man bei allen Lehrern Abbitte leisten.
Als Rangnick vor zehn Jahren im „Sportstudio” die Viererkette erklärte – was war daran eigentlich so lächerlich? Das Gros des Publikums glaubte damals doch noch, wie Erich Ribbeck selig, an den Libero und seine Inkarnation durch Loddar Matthäus, vermutlich hätten auch manche deutsche Trainer kaum erklären können, wie die Viererkette funktionierte, und hielten sie auch nach der EM 2000 für ein merkwürdiges Geduldsspiel.
Ich kenne Ralf Rangnick nicht persönlich. Keine Ahnung, ob er mir sympathisch wäre. Aber ich achte seine Kompetenz und ich kann mich auch noch gut an Hennes Weisweiler erinnern, der, wenn er im Fernsehen befragt wurde, die unerbittlichsten Analysen und drastischsten Urteile äußerte, statt dieser wattierten Phrasen, mit denen einen seit Jahren die Kahnschollnetzer quälen, die viel zu viel Angst vor Ärger mit alten Spezln haben, um die Wahrheit zu sagen. Selbst ein Jürgen Klopp ist, bei aller Präzision seiner Einschätzungen, lieber nicht dorthin gegangen, wo es tut.
Sie sollten sich alle mal ein Beispiel an der Schauspielerin Jessica Schwarz nehmen, die im Bildungsbürgerprestigefilm „Buddenbrooks” die Tony spielt und nun mehr oder minder deutlich gesagt hat, im Prinzip könne der Regisseur Heinrich Breloer nicht inszenieren. Das löst natürlich den üblichen bedingten Nestbeschmutzerreflex aus – selbst wenn es die Wahrheit ist. Mir hat das vor Jahren schon in einem Interview, off the record natürlich, eine bekannte deutsche Schauspielerin als Begründung dafür genannt, warum sie in dem sogenannten Dokudrama „Die Manns” nicht mitspielen wollte.
Im Kino wie im Fußball kommt so viel Offenherzigkeit fast nie vor, weil sie geschäftschädigend wäre. Ansonsten kann sie gar nichts schaden, weshalb mir auch die klare, analytische Sprache eines Ralf Rangnick lieber ist als dieses Gebrabbel vom Durchbeißen, Arsch zusammenkneifen oder Durch-Kampf-zum-Spiel-Finden. Da ist Fußball weder Gegenwart noch Zukunft, sondern bloß von Gestern.