Gäbe es die 3-Punkte-Regel nicht, sähe die Spitze der Bundesligatabelle derzeit (5. April 2009, mittags) so aus: 1. Wolfsburg 2. HSV 3. Bayern 4. Hertha BSC 5 – und auf den Abstiegsplätzen stünden Gladbach, Cottbus sowie der KSC. Das verrrät nicht gerade grundstürzende Effekte der seit 1995/96 weltweit eingeführten Regel. Insgesamt wären es nur die Unentschiedenkönige aus Dortmund, Bielefeld und Bochum, die derzeit spürbar etwas von der alten Zählweise hätten. Mehr als ein Tabellenplatz spränge für niemanden heraus.
Schaut man sich die Schlußtabellen der vergangenen zehn Jahre an, so wäre – wenn wir richtig nachgerechnet haben – keine Meisterschaft, aber immerhin ein Abstiegfall anders entschieden worden: Frankfurt, nicht Nürnberg hätte 98/99 absteigen müssen. Die notorischen Unentschiedenspieler als Nürnberg und Dortmund hätten jeweils auch noch ein weiteres Mal etwas vom 2-Punkte-System gehabt: Nürnberg hätte sich 2006/7 statt Leverkusens für den UEFA-Cup qualifiziert, Dortmund 2002/3 direkt für die Champions-League, statt Bremen, das auch 2004/5 seinen Platz an Hertha BSC hätte abtreten müssen, die wiederum 1999/2000 im, Uefa-Cup durch Wolfsburg ersetzt worden wären. In zehn Spielzeiten also fünf Platzänderungen im Qualifikationsbereich.
Nun gut, mag man sagen, der Zweck der Regel liegt im einzelnen Spiel, nicht im Saisonverlauf. Die Forschung zu den Wirkungen der 3-Punkte-Regel zeigt aber ein ähnlich gemischtes Bild. Das Ziel eines offensiveren Spiels, das sich nicht mit dem Unentschieden zufrieden gibt, weil es einen Extrapunkt dafür gibt, es zu vermeiden, scheint in den verschiedenen europäischen Ligen mal erreicht und mal nicht erreicht worden zu sein. Für die Bundesliga gilt: nicht erreicht. Denn man hat die Tore vor und nach Einführung der Regel gezählt, die Zahl der Angriffe und die Spieldauer bis zum ersten Tor – und in keiner dieser Dimensionen zeigten sich nachweisbare Effekte.
Vor zwei Jahren allerdings hatten die Münsteraner Ökonomen Dilger und Geyer die 6194 Spiele der letzten zehn Bundesligajahre ausgewertet und kamen dabei auf 25,75 Prozent Unentschieden im Vergleich zu 29,23 Prozent in den zehn Jahren vor der Regeländerung. Ihrem Schluß, das liegen an den veränderten „Anreizen”, die Regel sei insofern erfolgreich, widersprechen jetzt ihre Münsteraner Kollegen Strauß, Hagemann und Loffing von der Sportpsychologie (in: Sportwissenschaft, Jg. 39/2009).
Wie können sie das, wo doch die Zahlen eindeutig zu sein scheinen? Sehen wir einmal von den komplizierten statistischen Argumenten ab – wie signifikant ist eine Verteilungszahl, wenn der Anteil der zu erklärenden Fälle (hier: der Unentschieden) sehr hoch und die Stichprobe mit der Gesamtheit der Vorkommnisse identisch ist? -, dann bleibt zum einen die Frage, ob es für die Abnahme bei den Unentschieden nicht auch noch andere Erklärungen als die Einführung der 3-Punkte-Regel geben kann. Wie kann man ausschließen, dass sich das Gewicht von Angriff und Verteidigung über die Jahre hinweg mal zur einen, mal zur anderen Seite verschiebt?
Zum anderen aber haben die Sportpsychologen herausgefunden, dass sich die Prozentzahlen ändern je nachdem, welchen Zeitraum man betrachtet. Im Jahr nach der Einführung der Dreier-Regel gab es die meisten Unentschieden der Bundesligageschichte überhaupt, gut 35 Prozent aller Spiele endete damals remis. Die wenigsten Unentschieden hingegen hatte die Saison 1977/78 mit 19,6 Prozent. Betrachtet man alle Zeiträume und nicht nur den willkürlich gewählten zehn Jahre vor und zehn Jahre nach der Regeländerung, dann bleibt von der Behauptung, die Unentschieden nähmen ab, nichts übrig. Was abnimmt, ist der Heimvorteil, mit ihm die Tordifferenz und die Zahl der geschossenen Tore, die aber schon seit der Mitte der achtziger Jahre fällt.