An die Macht des Schicksal habe ich zwar noch nie geglaubt, aber der Begriff klingt nach dem großen Ganzen, nach dem Unabwendbaren, nach Tragik und hat insofern eine entschieden größere Suggestionskraft als, sagen wir mal, der Zufall. Leider ist es aber nur ein Zufall, dass ich als gebürtiger Bielefelder seit Jahren in Berlin lebe und seit einiger Zeit täglich Nieder- und Untergangsszenarien aus den beiden Fußballwelten lesen muss.
Statt Geschick gibt es lediglich viel Ungeschick und vor allem massives Unvermögen, die dazu geführt haben, dass zwei Vereine, die, sehr freundlich gesagt, in den letzten vierzig Jahren eine gewisse Anfälligkeit für Skandale, Krisen und Misswirtschaft gezeigt haben haben, nun wieder von ihrer jeweiligen Vergangenheit eingeholt werden, der sie mehrfach ein für alle Mal abgeschworen hatten. Die handelnden Personen sind andere als zum Beispiel 1970, die Vereine, die Stadien, die Mehrzahl der Fans, und die Zeiten sind es auch, aber man muss da schon an den Philosophen David Hume denken, der die schlaue Frage gestellt hat, ob man ein Schiff, an dem über die Jahre nacheinander sämtliche Planken ausgetauscht wurden, noch als dasselbe bezeichnen könne.
Beantworten lässt sich diese Frage nach der Identität immer nur unzureichend, aber wenn man sich umschaut, wenn man die Reaktionen der lokalen Medien und der Fans in den Foren sieht, dann gibt es zumindest so etwas wie eine negative Identität: Die momentane Misere scheint fast automatisch auf die früheren Miseren zu verweisen. Und wenn in Berlin Gespenster wie Röber oder Götz erneut auftauchen und in Bielefeld hartnäckig Rettung von Middendorp oder Rappolder erhofft wird, ist das natürlich auch ein missglückter Versuch zur Identitätsstiftung. Es ist jene Art von Nostalgie, deren Wirksamkeit der amerikanische Kulturwissenschaftler Norman M. Klein damit erklärt hat, dass das ursprüngliche Ereignis längst vergessen sei, auf das sie sich bezieht.
Aber es gibt, in Berlin wie in Bielefeld, ganz offenbar ein Klima, einen Handlungsrahmen, ein spezifisches Milieu, das immer wieder bestimmte Akteure aus Wirtschaft, Verwaltung, Politik auftauchen und sich als „starke Männer” im Verein betätigen lässt – mit bekannten Folgen. Natürlich nicht nur in Berlin und Bielefeld, aber dort ist man augenblicklich halt mal wieder im vertrauten Tal der Tränen angelangt: sportlicher Misserfolg, gekoppelt mit finanzieller Schieflage, Verbindlichkeiten in Höhe von 3,5 (oder doch 4,2 Millionen Euro?) beziehungsweise rund 25 Millionen.
Wut und Enttäuschung über den Zustand des Vereins haben sich in Berlin anders ausgetobt – und die üblichen populistische Reflexe aktiviert, wenn Polizeigewerkschaftler, nur zum Beispiel, ein Stehplatzverbot fordern, obwohl es in der Ostkurve des Olympiastadions längst keine Stehplätze mehr gibt. Aber wenn Worte auch keine Fahnenstangen sind und sich mit Sätzen keine Sitzbänke beschädigen lassen, so sind doch die verbalradikalen Forderungen der Fans, die den Rücktritt aller Verantwortlichen fordern und tabula rasa machen wollen, aus derselben Wut und Enttäuschung gespeist, die nachvollziehbar sind. Es ist, in beiden Fällen, die Ohnmacht der Fans angesichts von Misswirtschaft und sportlichem Scheitern, und für diejenigen, die schon länger dabei sind, ist es ein besonders hässliches Deja-vu.
Jede genaue Recherche, jeder Blick in Bücher und Bilanzen der letzten Jahre würde zutage fördern, welche Fehler jeweils begangen wurden, welche unseriösen Finanzierungen es gab und welche fatalen Personalentscheidungen – die sich alle nicht unmittelbar als Reaktionen auf sportlichen Erfolg oder Misserfolg interpretieren lassen. Nun aber sind die Anfälle provinzieller Großmannssucht, die verstiegenen Ambitionen und Illusionen – für welche in Berlin nicht allein, aber sehr wohl exemplarisch Dieter Hoeneß und in Bielefeld Roland Kentsch stehen – mal wieder in sich zusammengesunken.
Als langjähriger Anhänger des einen Vereins, als Bewohner der Stadt, in welcher der andere beheimatet ist, und schließlich als jemand, dem am regelmäßigen Besuch von Erstligaspielen gelegen ist, kann ich mir nur wünschen, dass es sie dann doch mal gibt, in beiden Städten: die Kraft zur Erneuerung, die Geduld, die Fähigkeit, dort auszuharren, wo man nicht hinzugehören glaubt; an einer Entwicklung zu arbeiten, die eben nicht mit einer merkwürdigen Zwanghaftigkeit dazu führt, dass man die Fehler der Vergangenheit wiederholt.
Michael Preetz hat immerhin angedeutet, dass Funkel im Falle des Abstiegs nicht bleiben wird; das kann man auch so deuten, dass Preetz den Klassenerhalt, bei dessen Erreichen sich Funkels Vertrag verlängerte, mittlerweile für völlig ausgeschlossen hält. Ich halte Preetz jedenfalls für so lernfähig als Manager, dass er begriffen hat, wohin der Weg mit Funkel führen würde: ins Tabellen-Niemandsland der 2. Liga. Ganz davon abgesehen, dass schwer abzusehen ist, wie die DFL Herthas finanziellen Zustand bewerten wird, nachdem schon zu Beginn der Saison 2009/2010 ein Transferüberschuss von fünf Millionen verordnet wurde. Viele Spieler werden da nicht übrig bleiben, mit denen man einen Wiederaufstieg angehen könnte.
In Bielefeld ist inzwischen nicht mal mehr der Lizenzentzug als worst case auszuschließen, weshalb, wenigstens das, wohl vorerst auch keiner der beliebten Wiedergänger auf der Trainerbank Platz nehmen wird. Die Frage ist dann bloß, ob der von vielen, auch von Manager Dammeier favorisierte Michael Oenning noch nach Ostwestfalen kommen mag, wenn die DFL die erwartet harten Auflagen verhängen wird und der neue Trainer einen Kader vorfindet, mit dem man allenfalls den Klassenerhalt in der 2. Liga anstreben kann.
In Abenteuerfilmen würde man jetzt wohl von einem Fluch reden, der auf beiden Vereinen liegt; im Bundesligageschäft gibt es zwar auch genug Abenteurer, aber keinen Indiana Jones, der am Ende in den Sonnenuntergang reitet. Für Arminia und Hertha gibt es nur eine bleierne Zeit und leere Stadien, denen sie jetzt entgegensehen.
<blockquote>Ganz davon...
Das stimmt so nicht. Den Transferüberschuss hat sich Hertha selbst verordnet und nicht die DFL. Quelle: Präsident Gegenbauer in einem Interview mit der Märkischen Allgemeinen Zeitung.